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Biologie als Hassrede?

Ein schottisches Gesetz verursacht Wirbel um die twitterfreudige J.K. Rowling und Überlastungen bei der Polizei.
Startete einen Selbstversuch auf Twitter: J.K. Rowling testete das neue Gesetz gegen Hassrede in Schottland.
Foto: Keith Mayhew/Landmark Media (imago stock&people) | Startete einen Selbstversuch auf Twitter: J.K. Rowling testete das neue Gesetz gegen Hassrede in Schottland.

Die Debatte um das „Selbstbestimmungsgesetz“ nimmt nach langer Flaute wieder an Fahrt auf. Während die Diskussion um die medizinische Behandlung transgeschlechtlicher Menschen durch die „WPATH“-Files neue Nahrung erhalten hat, konzentrierte sich die Debatte in Deutschland bisher eher auf juristische Fragen, die mit der geplanten Neuregelung durch die Bundesregierung zusammenhingen. 

Für „Hasskriminalität“ sieben Jahre Gefängnis

Sollen Erziehungsberechtigte mitbestimmen dürfen, ob ein Jugendlicher seinen Geschlechtseintrag ändert? Wer darf beim Eintritt in Frauen-Saunas abgewiesen werden? Seit der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag im vergangenen November waren neue Nachrichten zunächst rar. Nun kommt es aber offensichtlich doch bald zur Abstimmung.  
In Schottland ist dafür am 1. April ein Gesetz in Kraft getreten, das ein Schlaglicht auf eines der Aufregerthemen des Selbstbestimmungsgesetzes wirft. So ist im deutschen Entwurf vorgesehen, das sogenannte „Deadnaming“ zu bestrafen. Bis zu 10.000 Euro Bußgeld soll derjenige zahlen müssen, der den alten Namen von vor der Personenstandsänderung und die vormalige Geschlechtszugehörigkeit der Transperson „offenbart“ und sie damit „absichtlich schädigt“. 

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Ein nun in Schottland geltendes Gesetz, das Minderheiten vor „Hasskriminalität“ schützen soll, besagt, dass das „Schüren von Hass“ mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft werden kann – unter anderem dann, wenn sich der Beschuldigte gegenüber einer Person, etwa aufgrund von deren Transgeschlechtlichkeit, so verhält, dass dies vernünftigerweise als bedrohlich oder ausfallend bewertet werden kann. Auch die Verbreitung von Material, das eine solche hassschürende Wirkung beabsichtigt, ist verboten.

Rowling im Selbstversuch

Was ist damit gemeint? Die Harry-Potter-Autorin und bekannte transkritische Feministin Joanne K. Rowling hatte einen Verdacht: Transpersonen sollten – wie in Deutschland geplant – nicht mehr als die Männer oder Frauen, die sie vor der Transition waren, benannt werden dürfen. In einer Art Selbstversuch bezeichnete sie am 2. April auf der Social-Media-Plattform X eine Reihe bekannter Transfrauen, darunter auch einen verurteilten Vergewaltiger, als Männer, und schrieb, falls dies nun als Delikt gelte, freue sie sich darauf, bei der Rückkehr in ihren Wohnort Edinburgh, die „Geburtsstätte der schottischen Aufklärung“, festgenommen zu werden.

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Seitdem kocht im Vereinigten Königreich die Debatte über Meinungsfreiheit und Transgeschlechtlichkeit schier über, auch wenn die schottische Polizei bereits einen Tag später verkündete, Rowlings Tweet stelle keinen strafwürdigen Verstoß dar. 
Was aber ist gemeint mit „bedrohlich oder ausfallend“ („threatening or abusive“)? Nicht ganz unschuldig an der Verwirrung war Siobhian Brown, die zuständige schottische „Ministerin für Opfer und Sicherheit lokaler Gemeinden“. Die hatte gegenüber der BBC zur Frage, ob „misgendering“, die Bezeichnung mit dem „falschen“ Geschlecht unter das neue Gesetz falle, gesagt, so etwas könne gemeldet und von der Polizei untersucht werden – die dann zu entscheiden habe, ob es sich um ein Verbrechen gehandelt habe. Auch hatte die schottische Regierung die Bürger mittels einer Anzeigenkampagne aufgefordert, Hassverbrechen zu melden.

Zumindest dies ist offenbar gelungen: Medienberichten zufolge sind im Lauf der ersten Woche nach Inkrafttreten des Gesetzes tausende Anzeigen bei der ohnehin als überlastet geltenden Polizei eingegangen. 
Was Deutschland daraus lernen kann? Zumindest bei der Polizei dürfte die Ausweitung des Schutzes sogenannter verletzlicher Minderheiten, wie sie auch das Selbstbestimmungsgesetz im Sinn hat, nicht nur für Freude sorgen.

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Jakob Ranke Deutscher Bundestag

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