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Die älteste Orgel der Welt

Die älteste Orgel der Welt wird in Jerusalem untersucht und restauriert. Eine Rarität.
Orgelspieler im Heiligen Land
Foto: JZ | Eine Seltenheit: Ein Orgelspieler im Heiligen Land.

Orgeln im Heiligen Land haben es schwer. Sandstürme und die Tatsache, dass die Erde regelmäßig bebt, sind Erschwernisse, die in Mitteleuropa nahezu unbekannt sind. Im Jahr 2002 kam ein Instrument sogar unter die Räder des Nahostkonflikts, genauer: der zweiten Intifada, des palästinensischen Aufstands gegen die israelische Besatzungsmacht. Als in der Karwoche die Vorarlberger Orgelbaufirma Rieger Chor- und Emporenorgel in der römisch-katholischen Katharinenkirche neben der Geburtsbasilika Bethlehems aufbaute, trat die zweite Intifada in eine neue Phase der Eskalation; sie sollte am Ende viel blutiger als die erste werden. Besetzung der Geburtsstadt Jesu durch Israels Militär samt Scharfschützen und Panzer, verschanzte palästinensische Widerstandskämpfer und Zivilisten in der Geburtskirche sowie Ausgangssperre zwangen die Orgelbauer zur Evakuierung und schließlich zur Heimreise. Sieben Wochen mussten die Arbeiten ruhen.

In dieser für die Einwohner äußerst bangen Zeit schoss die israelische Armee Brandbomben in den Lagerraum der Orgelpfeifen im Franziskanerkloster und tötete einen Palästinenser, der das Feuer löschen wollte. Auch über 2 000 Pfeifen wurde das Leben ausgeblasen, noch vor dem ersten Ton. Nach Pfingsten zurückgekehrt, mussten die Orgelbauer alle Pfeifenstöcke ausbauen und nach Österreich schicken – um die neuen Pfeifen genau einpassen zu können. Erst eineinhalb Jahre später war die Königin der Instrumente mit stolzen 53 Registern endlich spielbereit. Für den Chef der Orgelmanufaktur Wendelin Eberle schloss sich damit, von der Auftragsvergabe an gerechnet, nach über fünf Jahren ein Kreis, ein „ungewöhnlich großer“.

60 Orgeln in Palästina

„Dass es in Israel und Palästina (…) überhaupt Orgeln gibt, erstaunt viele Leute. Wenn ich dann die Anzahl der Instrumente, ungefähr 60, benenne, wird das Erstaunen noch größer. Wo stehen denn diese vielen Orgeln?“, schreibt der deutsche Kirchenmusiker Gunter Martin Göttsche, der von 2013 bis 2018 an der evangelischen Erlöserkirche in Jerusalems Altstadt wirkte.

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50 000 Orgeln erklingen deutschlandweit – da sollen 60 viele sein? Das mag sogar der einwenden, der Landesfläche und Bevölkerungszahl in Israel (etwa neun Millionen) und Palästina (5 Million) berücksichtigt. Zu bedenken ist jedoch Grundsätzliches: Dass die Christen in Israel nur etwa zwei Prozent, in den besetzten palästinensischen Gebieten ein Prozent der Bevölkerung stellen; dass orthodoxe und altorientalische Kirchen die Königin der Instrumente als Begleitinstrument nicht kennen und dass in den wenigen israelischen Reformsynagogen – anders als in den USA – Orgeln nicht eingesetzt werden. Somit finden wir sie nur in katholischen und protestantischen Kirchen und Kapellen Israels und Palästinas, dazu an der Brigham Young Mormon University in Jerusalem sowie im Tagungszentrum Elma Arts Center in Zichron Ya'akov, in dem eine Bonner Klais-Orgel steht. Die anderen fünf Dutzend Orgeln des Heiligen Landes stammen mehrheitlich auch aus Europa: aus deutschen Orgelbaumanufakturen wie Eule oder Schuke, aus Frankreich, Dänemark, Österreich und Italien; daneben finden sich einige US-amerikanische Instrumente.

Es gibt nur 30 Organisten im Heiligen Land

Die erste Orgel eines deutschen Orgelbauers im Heiligen Land war die der Berliner Gebrüder Dinse. 1893 ertönte die zweimanualige Orgel mit acht Registern erstmals in der lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem. Über 100 Jahre später, im Jahr 2000 wurde sie durch den deutschstämmigen Orgelbauer Roland Rutz aus Minnesota, USA, abgebaut, verschifft und generalüberholt. Zurück kehrte sie mit elektrischer Traktur, Multiplex-Windladen und einer MIDI-Einrichtung versehen, sodass sie nun auch ohne Organist erklingen kann. Das ist bisweilen nicht nur in Bethlehem nötig, denn laut Göttsche stehen den 60 Orgeln des Heiligen Landes höchstens 30 Organisten gegenüber, von denen nur jeder zweite eine Ausbildung vorweisen kann. Nur wenige Hundert Meter entfernt von der evangelischen Weihnachtskirche wurde in Bethlehems Geburtsbasilika schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts die „wahrscheinlich älteste Orgel der Welt” entdeckt. An diesem Instrument aus dem 12. Jahrhundert hat vor einigen Wochen der spanische Musikologe und Mittelalterexperte David Catalunya seine Arbeit aufgenommen. Über sie, im Besitz der Franziskanerkustodie in Jerusalem befindlich, sagt der Musikwissenschaftler: „Das ist die einzige Orgel dieser Epoche, die sich in unglaublich gutem Zustand befindet.”

Festgefroren in der Zeit

Er geht davon aus, dass sie von französischen Kreuzfahrern ins Heilige Land gebracht wurde und fast ein Jahrhundert gespielt wurde. Um sie angesichts einer drohenden Invasion muslimischer Krieger im späten 12. Jahrhundert zu schützen, wurde sie abgebaut, „in der Hoffnung, eines Tages wieder auf ihr spielen zu können”. Für Catalunya ist die Orgel daher „wie festgefroren in der Zeit”. Begeistert ist der Forscher der Universität Oxford vom Zustand: „Es ist, als wären die Pfeifen erst gestern gefertigt worden.” Nun böte sich die Chance, mehr über mittelalterliche Orgeln zu lernen und ihre Bauweise zu verstehen, „um sie nachzubauen und ihren Klang neu aufleben zu lassen”. Möglicherweise können Forscher wie Catalunya nun eine Wissenslücke schließen, die fast ein halbes Jahrtausend christlicher und musikologischer Geschichte umfasst.

Das auf fünf Jahre angelegte Projekt zielt auf die vollständige Rekonstruktion der Orgel. Catalunya, der bereits an der Universität Würzburg tätig war, hofft, dass dann „die komplette Orgel wieder zu hören ist”. So wie die Dinse-Orgel in der Weihnachtskirche oder die der Firma Rieger in der Katharinenkirche Sonntag für Sonntag erklingen. Für deren Chef war es faszinierend, „auf geschichtsträchtigem Boden arbeiten” zu dürfen; beeindruckt hat ihn damals, „wie die Menschen gelernt haben, auf Sparflamme zu leben”.

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