Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Ein Jahr nach der Flut

Noch immer fehlen Material, Geld und Arbeitskräfte

Vor einem knappen Jahr sprach die „Die Tagespost“ zum ersten Mal mit Gastronomin Andrea Babic über die Flutkatastrophe erlebt haben. Wie geht es ihr heute?
Ein Jahr nach der Flutkatastrophe im Ahrtal
Foto: Boris Roessler (dpa) | „Das Ahrtal gibt nicht auf", steht auf de Fassade eines von der Flut zerstörten Hauses in Dernau. Zum ersten Jahrestag der Katastrophe wird am heutigen 14.

Ein Jahr ist seit der Schreckensnacht vom 14. auf den 15. Juli vergangen, als in Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen Regenfälle für bis dahin ungeahnte Wassermassen sorgten. Sturzfluten und Überschwemmungen waren die Folge, die Städte und ganze Landkreise schwer verwüsteten oder gar komplett zerstörten. Über 180 Menschen kamen in den Fluten ums Leben. Familienväter und -mütter, Kinder, Omas und Opas – kaum eine Familie in den betroffenen Regionen hatte nicht den Verlust eines geliebten Menschen zu beklagen. Tausende standen von einem Augenblick zum nächsten vor den Trümmern ihrer Existenz und hatten ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Das eigene Zuhause, die Arbeitsstelle ebenso der Lieblingsspielplatz um die Ecke, der Kindergarten und die Schule – mit einem Schlag war alles einfach weg. 

"Kommt in keinem Fall hierher zurück!“

Allein im Landkreis Ahrweiler, zu dem das rund 2.000 Einwohner zählende Altenahr gehört, kamen vor einem Jahr 134 Menschen ums Leben. Hier leben die Gastro-Familien Babic und Nelles. Im Herzen des Städtchens betreiben sie in bereits dritter Generation das Haus Caspari, zu dem vor der Flut neben einem Hotel, ein Restaurant sowie ein Café gehörten. „Bleibt wo ihr seid, kommt in keinem Fall hierher zurück!“ lautete die dramatische Botschaft, die Stefanie Nelles am frühen Abend des 14. Juli 2021 an Schwester Andrea sandte.

Lesen Sie auch:

Worte, die Andrea Babic auch ein Jahr später noch immer einen Schauer über den Rücken laufen lassen. Sie selbst war an jenem Mittwoch mit ihren beiden Kindern, der Nichte und zwei Hotelgästen am Nachmittag zu einem Kinobesuch nach Bonn aufgebrochen, um dem Dauerregen zu entfliehen. Nach mehreren Stunden Irrfahrt, zwischen Köln und Bonn steuerte Andrea das Zuhause der dritten Schwester Sabine in Heimerzheim Swisttal an. Auch hier kämpfte man bereits gegen die Flut. Das Zuhause der Schwester liegt glücklicherweise erhöht und blieb vom Hochwasser verschont. Hier saßen Andrea, die Kinder und Hotelgäste dann erst einmal von Mittwochabend bis Freitag fest. 

Alles war mit einem Schlag weg

Was sie bei ihrer Rückkehr nach Altenahr am Freitag, 16. Juli zu sehen bekam, riss ihr den Boden unter den Füßen weg. Einfach alles, was sie seit frühester Kindheit kannte, war mit einem Schlag weg. „Das, was ich 43 Jahre lang kannte, ist kaputt; das holt mich zwischendurch immer wieder ein, aber dann packen wir es an und machen weiter“, so Babic im September letzten Jahres.

Und angepackt haben sie! Die Trockenlegung der Gebäude ging gut voran und erste Ideen für den Wiederaufbau waren mit dem Architekten-Team schnell in Abstimmung. Doch die Herbst- und Wintermonate, in denen viele in Altenahr sich in einer Art Schwebezustand befanden und das Gefühl hatten, dass es an keiner Stelle so richtig weitergehe, waren schwierig. An allen Ecken und Enden hatten sie mit Organisations- und Logistikproblemen zu kämpfen – die viel zu komplizierte Beantragung der staatlichen Wiederaufbauhilfen und die mit großer Verspätung bereitgestellte Container-Schule waren nur zwei der vielen Schwierigkeiten – und fühlten sich von staatlicher Seite oft vergessen und im Stich gelassen. 

Mit den ersten Sonnenstrahlen im Frühjahr ging es endlich aufwärts und auch die Stimmung der Gastronomen-Familie hellte sich wieder auf. Das im Frühjahr ins Leben gerufene „Hüsje Caspari“ hatte daran großen Anteil. Denn mit dem Verkauf am Hüsje kehrt die Gastro-Familie langsam dahin zurück, wo sie hingehört: zu ihren Gästen. „Der Hüsje-Verkauf hat mich aus meinem Loch geholt; endlich hat mein Gastronomen-Herz wieder eine Aufgabe“, erzählte Babic im Frühjahr. 

Derzeit stocken die Arbeiten

Noch immer fehlt es an vielen Stellen an Material, Geld und vor allem Arbeitskräften, die Altenahr wieder zu dem machen, was es vor der Flut-Katastrophe war: eine lebendige Kleinstadt, in der das Leben pulsiert.  

Auch bei den Familien Babic und Nelles stocken die Arbeiten. So wird es über den Sommer und im Herbst auch beim Verkauf am Hüsje bleiben. Dafür wird das Angebot aber reicher und die bisher auf Kuchen spezialisierte Karte um dalmatinische Käse- und Wurstspezialitäten erweitert. Die Neueröffnung von Restaurant, Hotel und Co. ist erst für das nächste Jahr geplant. „Klar ist nichts mehr so, wie wir es kannten, aber mit der Flut sind auch drei Generationen Erwartung an uns weggespült worden. Jetzt können wir unseren Traum wahr werden lassen und das Haus so gestalten, wie wir es uns vorstellen.“ 

Mit einem nachhaltigen Konzept, das sich an den einzelnen Gast und nicht an Massen von Touristen richtet, will die Gastro-Familie eine neue, ganz besondere Wohlfühlatmosphäre schaffen. Und mit „Haus Caspari – Meins und Deins“ hat dieser Traum schon jetzt einen ganz realen Namen.

Zum ersten Jahrestag der Katastrophe wird am heutigen 14. Juli um 17.30 Uhr in einer offiziellen Gedenkfeier in Bad Neuenahr-Ahrweiler der Opfer der Flut gedacht. Auf großes offizielles Tamtam haben Babic und ihre Familie aber keine Lust. „Wir werden den Tag mit Familie und engen Freunden im Garten verbringen. Uns ist es wichtig, mit jenen zusammenzukommen, die mit uns durch diese harte Zeit gehen“, so Babic. Zudem versammeln sich die Altenahrer am kommenden Freitag unter dem Motto „Zusammen ist man weniger alleine“ zu einer Menschenkette und zum stillen Gedenken an der Altenahrer Brücke. 

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Natalie Nordio Die Tagespost Gedenkfeiern Hochwasser und Überschwemmung Ordensschwestern

Weitere Artikel

Kirche

Eine Tagung in Stift Heiligenkreuz mit Erzbischof Georg Gänswein und Kardinal Kurt Koch befasste sich mit der Relevanz des Priestertums heute. 
18.04.2024, 13 Uhr
Leander Lott