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Das Haus Caspari: Eine Gastronomen-Familie geht durch die Flut 

Die „Die Tagespost“ hat mit Gastronomin und Hotelière Andrea Babic (45) darüber gesprochen, wie sie und ihre Familie die Flut und die darauffolgenden Wochen erleben und erlebt haben .
Flut in Altenahr
Foto: Andrea Babic | Ganz bald soll das Haus Caspari wieder zum Lieblingsplatz der Gäste werden – nichts wünschen sich Andrea Babic und ihre Familie mehr.

Zwei Monate sind seit dem 14. Juli und der darauffolgenden Nacht zum 15. Juli vergangen, als starke Regenfälle in Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein Westfalen für bis dahin ungeahnte Wassermassen sorgten. Innerhalb von 24 Stunden fielen unvorstellbare hundert bis hundertfünfzig Liter Wasser pro Quadratmeter. Die Folge waren Sturzfluten und Überschwemmungen, die Städte und Landkreise schwer oder komplett zerstörten. Mehr als 180 Menschen kamen in den Fluten ums Leben.

Hab und Gut verloren

Tausende stehen seitdem vor den Trümmern ihrer Existenz. Über Nacht haben sie ihr Zuhause, ihren Arbeitsplatz, kurz um ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Allein im Landkreis Ahrweiler, zu dem das rund 2000 Einwohner zählende Altenahr gehört, starben 133 Menschen. Insgesamt leben im Landkreis Ahrweiler knapp sechzig Tausend Menschen, die alle mehr oder weniger von der Flutkatastrophe betroffen sind. So auch die Familien Babic und Nelles. Mitten in Altenahr betreibt die Gastronomen-Familie bestehend aus Andrea Babic (43) und ihrem Mann Hrvoje, genannt Herbie, (45) sowie Andreas Schwester Stefanie Nelles (45) und ihrem Lebensgefährten Wolfgang Mönch (58) das Haus Caspari.

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Der Großvater hatte das Haupthaus in den 50er Jahren gekauft und ein Hotel mit Restaurant eröffnet. Wie in einer Gastronomen- und Hotelier-Familie üblich, wuchsen die Kinder im Betrieb auf. In den 70er Jahren übernahm der jüngste Sohn – mit der vom Vater auferlegten Entscheidung, eine Ausbildung zum Koch zu absolvieren, war sein Lebensweg vorgezeichnet – gemeinsam mit seiner Frau den Betrieb. Schnell entpuppte sich jedoch seine Frau Nada als wahre Herrin der Kochtöpfe, während der Vater sein Glück hinter der Bar, und damit näher am Gast, fand. 2004 übernahm Tochter Stefanie das Haus Caspari, ihr schlossen sich 2010 Andrea und ihr Mann Herbie an. Die nun dritte Generation im Haus Caspari war in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich. Das Haupthaus wurde um zwei weitere Gebäude erweitert, in denen neben Restaurant, Café und Hotel auch Gästeappartements und Dienstwohnungen untergebracht sind.

Bleibt wo Ihr seid

Gäste wohnen in diesen Wohnungen seit dem 15. Juli keine mehr, leer stehen tun sie aber dennoch nicht. Andrea Babic und ihre Familie haben hier Familien, die durch die Flut alles verloren haben und schlichtweg nicht wussten wohin, sehr günstig untergebracht. 
„Bleibt wo ihr seid, kommt in keinem Fall hier her zurück!“ lautete die dramatische Botschaft, die Stefanie Nelles in einem kurzen Video am frühen Abend des 14. Juli an Schwester Andrea sandte. Worte, die Andrea Babic so schnell nicht vergessen wird.

Das Video zeigte, wie die einstige Hauptstraße des Ortes zu einem reißenden Fluss geworden war. Andrea Babic war an jenem Mittwoch mit ihren beiden Kindern, der Nichte und zwei Hotelgästen am Nachmittag zu einem Kinobesuch nach Bonn aufgebrochen, um dem Dauerregen zu entfliehen und Kindern und Gästen ein paar unbeschwerte Stunden zu bescheren. Von ihr nicht unbemerkt, blieb der steigende Pegel der Ahr, an der sie mehrere Male vormittags und mittags vorbeikam.

Durchkommen unmöglich

„Das steigt aber schnell“, dachte sie sich beim Blick in Richtung Fluss. Wie heftig es ihre Familie und den ganzen Ort treffen würde, konnte sich zu diesem Zeitpunkt niemand vorstellen. Dass die Ahr im Laufe der nächsten Stunden auf einen Pegel von mehr als unfassbaren sieben Metern anschwellen würde, lag für die Altenahrer außerhalb jedweder Vorstellungskraft – war doch der Pegel bei der Jahrhundertflut 2016 mit 3.71 Meter bereits unfassbar hoch gewesen. Zu diesem Zeitpunkt war der Verkehr rund um Bonn bereits zusammengebrochen. Rechts der Landstraße bahnte sich das Wasser unerbittlich seinen Weg.

Ein Durchkommen nach Köln, wo Andrea die Nacht bei befreundeten Hoteliers verbringen wollte, war unmöglich. Nach mehreren Stunden Irrfahrt, zwischen Köln und Bonn steuerte Andrea das Zuhause der dritten Schwester Sabine in Heimerzheim Swisttal an. Auch hier kämpfte man bereits gegen die Flut. Das Zuhause der Schwester liegt glücklicherweise erhöht und blieb so vom Hochwasser verschont. Hier saßen Andrea, die Kinder und Hotelgäste dann erst einmal von Mittwochabend bis Freitag fest. Während dessen kämpften Andreas Mann, Schwester Steffi, einige Angestellte sowie sieben weitere Hotelgäste Zuhause in Ahrweiler gegen die Flut. Auf verschiedene Gebäude aufgeteilt, hatten sich Familie, Mitarbeiter und Gäste in die oberen Etagen gerettet.

Große Hilfsbereitschaft

Doch die Nachrichten, die Andrea erreichten, waren mehr als beunruhigend: „Wir brauchen hier Hilfe, und zwar schnell!“
„Als meine Schwester meinte, das Wasser stünde unter dem Balkon, dachte ich, die übertreibt doch, ich konnte mir das einfach nicht vorstellen“, erzählt Andrea Babic. Was sie bei ihrer Rückkehr nach Altenahr am Freitag, 16. Juli dann aber zu sehen bekam, riss ihr den Boden unter den Füßen weg. Einfach alles, was sie seit frühester Kindheit kannte, war mit einem Schlag weg. „Ich bin runter in den Keller und da stand ein wildfremder junger Mann und schippte Schlamm“, berichtet Babic weiter.

Die große Hilfsbereitschaft von völlig fremden Menschen beeindruckt sie noch immer: „Die haben unermüdlich geschuftet, das war einfach unglaublich.“ Manche nahmen sogar einen längeren Fußmarsch in Kauf, um bewaffnet mit Spaten und Gummistiefeln, plötzlich vor dem Hotel zu stehen und zu helfen. Als ein Helfer sich eine tiefe Schnittwunde zuzog, die genäht werden musste, und es weder möglich war, vor Ort einen Arzt aufzutreiben, noch den Verletzten ins Krankenhaus zu bringen, blieb ihm nichts anderes übrig, als selbst ins nächstgelegene Krankenhaus zu fahren.

Anfängliches Chaos

Nur eine Situation, in der sich die Planlosigkeit der Zuständigen in den ersten Tagen nach der Katastrophe offenbarte. Auch in den Bundeswehr-Kolonnen, die wie rettende Engel ankamen und unverrichteter Dinge wieder abzogen, weil sie fehlgeleitet waren, zeigte sich das anfängliche Chaos. Die ersten Tage nach der Katastrophe waren es insbesondere private Helfer, die versuchten Ordnung ins Chaos zu bringen. „Die haben ganz Altenahr organisiert“, meint Babic. Dennoch mache sie niemandem einen Vorwurf, „auf das was passiert ist, konnte sich niemand vorbereiten“, so Babic weiter. Inzwischen habe man sich zusammengerauft und die Zusammenarbeit und Kommunikation von Einwohnern, privaten und offiziellen Helfern sowie Behörden laufe von Woche zu Woche besser. 

„Nach zehn Tagen schlammschippen, fing dann das Räumen an. In allen drei Gebäuden stand das Wasser bis in die erste Etage. Die oberen Zimmer blieben zwar weitestgehend unversehrt, doch haben sich Fenster und Türen durch die Feuchtigkeit verzogen.  

Gebäude winterfest machen

Aktuell sind Andrea Babic und ihre Familie in der Trocknungsphase. Heizöfen und mobile Heizkörper sollen bei der Trocknung des Mauerwerks unterstützen und die Familie so hoffentlich vor dem nächsten großen Problem bewahren, denn wo Feuchtigkeit im Gemäuer steckt, ist Schimmel auch nicht mehr weit. Das Café-Gebäude hatte auch sieben Wochen nach dem Unglück noch immer keinen Strom. Dämmmaterial muss besorgt werden, denn der Herbst steht vor der Tür und die Gebäude müssen winterfest gemacht werden.

„Das, was ich 43 Jahre lang kannte, ist kaputt; das holt mich zwischendurch immer wieder ein, aber dann packen wir es an und machen weiter. Die harte Arbeit Generation meiner Eltern ist weggeschwemmt worden, jetzt bauen wir etwas Neues auf“, so Andrea Babic hoffnungsvoll. 

Wir werden das Haus Caspari weiter begleiten und berichten, wie es der Gastronomen-Familie und den Menschen in Altenahr geht.  

  

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Natalie Nordio Die Tagespost

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