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„Israel, ihr seid nicht allein“

Ob in einem Gästehaus im Norden Israels oder in einem Jugenddorf bei Haifa: Junge Deutsche leisten Freiwilligendienste, die weit mehr sind als soziale Arbeit.
Eine freiwillige Helferin im Gespräch mit einem Bewohner des Heims Beit Elieser in Ma'alot
Foto: Imago / epd (imago stock&people) | Im Pflegeheim Beit Elieser in Ma'alot im Norden Israels pflegen Christen aus Deutschland Holocaust-Überlebende: Eine freiwillige Helferin im Gespräch mit einem Heimbewohner.

Metula, im Norden Israels, nur wenige Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt. Das Portal „All Israel News“ berichtet über einen Einsatz deutscher Freiwilliger, Männer und Frauen im Alter von 16 bis 70 Jahren: An einem heißen Spätsommertag arbeiten sie im Gästehaus „Beit Shalom“, das seit Oktober 2023 verschlossen war. „Haus des Friedens“ bedeutet der Name – und genau das wollen sie wieder mit Leben füllen.

Die Initiative entstand in einer christlichen Gemeinde in Deutschland, die sich sonntags versammelte, um für Israel zu beten, das jüdische Volk zu unterstützen und für die Rückkehr der von der Hamas entführten Geiseln einzutreten. Bald reifte der Entschluss, nicht bei Worten stehen zu bleiben, sondern selbst nach Israel zu reisen und das verlassene Gästehaus wiederherzustellen. Mit Lappen, Bürsten und Werkzeugen machten sich die Freiwilligen ans Werk. Staub, Hitze und verkrusteter Schmutz hielten sie nicht auf.

Eine Szene von starker Symbolik. Denn es sind Deutsche, die hier putzen und hämmern – Deutsche, die gekommen sind, um ein Zeichen der Freundschaft und Solidarität zu setzen. „Wir wollen sagen: Israel, ihr seid nicht allein“, erklärt Claudia Schaal, eine der Helferinnen.

Im Inneren des Gästehauses hat Miriam, die Besitzerin, eine kleine Ausstellung eingerichtet. An den Wänden hängen Fotos ihrer Verwandten, die im Holocaust ermordet wurden. Sie zeigt sie den Freiwilligen – und plötzlich verdichten sich Vergangenheit und Gegenwart. Die Enkelgeneration der Täter hilft, einen Ort der Gastfreundschaft wiederaufzubauen. „Für mich ist es ein Wunder, dass Deutsche heute hier sind – nicht als Feinde, sondern als Freunde“, sagt Miriam leise.

Draußen steht Fritz, Mitte fünfzig, am Grill. Für israelische Soldaten, die in der Nähe stationiert sind, brät er Fleisch. „Mein Großvater hat im Krieg für deutsche Soldaten gekocht“, sagt er. Nun setzt Fritz die Familientradition fort – aber auf der anderen Seite der Geschichte. „Es fühlt sich an, als würde ein Kreis geschlossen.“

Brücken der Versöhnung bauen

Was heute selbstverständlich wirkt, begann vor über sechzig Jahren tastend und unsicher. 1961 schickte „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ die ersten jungen Deutschen nach Israel – lange bevor es diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel gab. Es war ein Wagnis. Viele Überlebende der Shoah begegneten den Freiwilligen mit Misstrauen, manche konnten den Anblick deutscher Gesichter kaum ertragen. Doch mit der Zeit entstand Vertrauen – und schließlich sogar Freundschaft.

Heute ermöglichen mehrere Organisationen solche Dienste im Heiligen Land. „Dienste in Israel“, 1975 vom Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland in Hannover gegründet, nennt seine Freiwilligen „Hagoshrim“ – Brückenbauer. Junge Christen zwischen 18 und 27 Jahren arbeiten in Pflegeheimen, in Einrichtungen für behinderte Menschen oder in Jugenddörfern. Mehr als 1500 haben seit der Gründung ihren Dienst getan. Egon Maschke, der Gründer, sprach einst von einem „praktischen Versöhnungsdienst“. Im Leitbild heißt es: „Als Christen sind wir dem Judentum in besonderer Weise verbunden und als Deutsche besonders verpflichtet.“ Auf ihrer Homepage steht ein Aufruf zum Freiwilligendienst: „Als Volontär in Israel begegnest du den letzten Holocaust-Überlebenden persönlich und baust Brücken der Versöhnung zum jüdischen Volk.“ Im Juni 2025 feierte die Organisation ihr 50-jähriges Bestehen. „Wir sind nicht verantwortlich für die Vergangenheit“, sagte einer der Redner, „aber wir tragen Verantwortung dafür, dass sich so etwas nicht wiederholt.“

Auch die „Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland“ entsendet mit dem „Deutsch-Israelischen Freiwilligendienst“ seit 2015 junge Leute ins Heilige Land. Und der „Deutsche Verein vom Heiligen Land“ bietet seit Jahren Plätze in Jerusalem, Tabgha oder Bethlehem an. Gemeinsam ist allen: Sie wollen die Wunden der Geschichte heilen. Wie sich das anfühlt, beschreibt Rebecca Epple, die im Ruchama-Institut in Kfar Saba mit behinderten Menschen arbeitet. „Die Israelis haben uns mit offenen Armen empfangen. Sie zeigen uns viel Dankbarkeit. Für mich ist der Dienst hier die beste Entscheidung meines Lebens.“

Aufmerksamkeit schenken und Stabilität geben

Auch Daniela Jacobsohn hat solche Erfahrungen gemacht, und zwar im Jugenddorf Ahava, einer Einrichtung für gefährdete Kinder und Jugendliche. Sie kommen aus komplizierten Familienverhältnissen, haben finanzielle oder psychische Schwierigkeiten. „Viele dieser Kinder wurden emotional vernachlässigt. Meine Aufgabe ist es, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken und Stabilität zu geben.“ Sie erzählt von einem Jungen, der sie nach Wochen erstmals umarmte. „Solche Momente zeigen mir: Es lohnt sich.“

Justus Raasch aus Lübeck erinnert sich an die Kraft solcher Begegnungen. Nach einer Projektfahrt stand für ihn fest, nach dem Abitur ein Jahr in Israel zu verbringen. „Ich habe mich in dieses Land schockverliebt“, sagte er 2020 im Domradio. Die Corona-Krise zwang ihn zwar zur Rückkehr, doch die Prägung blieb: „Es war ein Sog“, sagte er, „ich wollte immer mehr entdecken, lernen, verstehen. Diese Zeit hat mich verändert, vielleicht mehr als alles andere in meinem Leben.“

Neben diesen persönlichen Erfahrungen bleibt die Last der Geschichte allgegenwärtig. „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ zitiert Michaela Vidláková, Shoah-Überlebende aus Prag, mit den Worten: „Die Arbeit der Freiwilligen ist wichtig für beide Seiten – als Tat der Versöhnung und als große Hilfe für uns Überlebende. Erinnern heißt, für die Zukunft Verantwortung zu übernehmen.“

Dieser Gedanke prägt auch Nes Ammim, ein Dorf im Norden Israels, das 1963 als Zeichen der Verständigung von deutschen, niederländischen und schweizerischen Christen gegründet wurde. In der Vereinssatzung heißt es: „In Anerkennung und Achtung der Erwählung Israels durch den gemeinsamen Gott von Juden und Christen soll in Israel durch die internationale christliche Siedlung Nes Ammim ein Zeichen der biblisch gebotenen Versöhnung und der Verständigung mit dem jüdischen Volk in der Welt und Israel gesetzt werden.“ Eine junge Freiwillige berichtet: „Hier lernen wir, wie Juden und Araber miteinander leben. Es ist nicht einfach. Aber es zeigt uns, wie wichtig Dialog ist.“

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So werden die Dienste der Freiwilligen zu kleinen Steinen im großen Mosaik der deutsch-israelischen Beziehungen. Gerade in einer Zeit, in der Antisemitismus in Europa wieder zunimmt, sind sie ein starkes Zeichen. Wenn Claudia in Metula ein Gästehaus putzt, wenn Fritz am Grill steht, wenn Rebecca in Kfar Saba Menschen mit Behinderungen betreut – dann zeigt sich, dass Versöhnung nicht in großen Reden, sondern durch kleine Gesten, durch Begegnung, durch geteilten Alltag entsteht. „Es geht darum, dass wir Verantwortung übernehmen“, sagt Justus. „Nicht für das, was unsere Großeltern getan haben, sondern für das Heute und Morgen.“

Und Miriam aus Metula fasst es so zusammen: „Ihr seid Deutsche. Aber für mich seid ihr jetzt Freunde. Das ist Versöhnung.“


Der Autor ist promovierter Historiker und freier Journalist.

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