Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Eine Erinnerung

Josef Bulva: Der zweifelnde Weltstar

Josef Bulva gehörte zu den berühmtesten Pianisten der Welt. Nach einem schweren Sturz verletzte er sich die Hand so schwer, dass er nicht mehr spielen konnte. Doch mit viel Energie kämpfte er sich in die Konzertsäle zurück. Bei dem letzten Weihnachtsfest vor seinem Tod im August 2020 sprach er mit Sigmund Gottlieb über sein Leben, seine Leidenschaft und seine Zweifel. Eine Erinnerung.
Der Pianist Josef Bulva
Foto: imago stock&people | Josef Bulvas Leben glich von Anfang an einem Höllenritt zwischen Erfolg und Zusammenbruch. Grenzenloser Fleiß, schon von Kindesbeinen an, verwandelte sich in eine Virtuosität, die ihm schnell den Ruf eines ...

Den Heiligen Abend des Jahres 2019 werde ich nicht vergessen. Meine Frau war zu ihren Eltern gereist, um mit ihnen Weihnachten zu feiern. Ich hatte geplant, das Fest bei Freunden zu verbringen. Doch dann kam alles anders. Zufällig war mir ein langjähriger Bekannter (mit dem Wort Freund gehe ich eher sparsam um) auf der Münchner Maximilianstraße begegnet. Wir stellten schnell fest, dass wir am 24. Dezember beide alleine waren und verabredeten uns spontan zum Abendessen im Hotel „Vier Jahreszeiten“. Dort stieg er stets in seiner Luxussuite ab, wenn er mit dem Oldtimer aus seiner Wahlheimat Monaco nach München anreiste, was mehrmals im Jahr geschah. 

Lesen Sie auch:

Als ich gegen 20 Uhr das Restaurant betrat, wartete er bereits auf mich an einem Tisch direkt an der Fensterfront zur Straße. Leichtes Schneetreiben hatte eingesetzt. In gewohnt formvollendeter Weise begrüßte er mich - ein charmanter Herr, ausgestattet mit den Manieren eines Sprösslings aus großbürgerlichem Hause. Was mir schon bei unserem Treffen einige Tage zuvor aufgefallen war, verstärkte sich als Eindruck an diesem Abend. Er sah seit unserer letzten Begegnung vor gut einem Jahr deutlich älter aus. Seine Gesichtszüge und sein Blick verrieten mir, dass etwas mit ihm geschehen sein musste, dass er vielleicht mit Schmerzen zu kämpfen hatte – seien sie körperlicher oder seelischer Natur oder beides zusammen und sich möglicherweise gegenseitig bedingend.

Während ich ihn also möglichst unauffällig betrachtete und er den vorzüglichen Rotwein, der stets für ihn im Keller des Hotels lagerte, beim Kellner in Auftrag gab, ist in dieser Weihnachtsgeschichte jetzt der Zeitpunkt gekommen, das Geheimnis zu lüften, wer mir hier die Ehre gab, mit ihm das Weihnachtsdinner im besten Hotel der Stadt einzunehmen.

Gefeiert in den Konzertsälen der Welt

Mein Gastgeber war kein geringerer als Josef Bulva, einer der berühmtesten Pianisten der Gegenwart. Sein Leben glich von Anfang an einem Höllenritt zwischen Erfolg und Zusammenbruch. Grenzenloser Fleiß, schon von Kindesbeinen an, verwandelte sich in eine Virtuosität, die ihm schnell den Ruf eines Wunderkindes einbrachte. 1943 im tschechischen Brünn geboren besuchte er dort sowie in Bratislava durch Staatsstipendien gefördert das Konservatorium. Schon mit zwölf spielte er Liszt-Etüden und Klavierkonzerte von Mozart. Mit 13 waren es Brahms anspruchsvolle Paganini – Variationen. Mit 17 Jahren wurde er in die damalige Akademie der Künste der CSSR aufgenommen. Vier Jahre später war er als Staatssolist des Landes eine Sensation.

Bulva wusste natürlich, dass ich seinen Lebenslauf in fast allen Einzelheiten kannte und beinahe nacherzählen konnte. Dennoch blieb es an diesem 24. Dezember 2019 nicht aus, dass dieses atemberaubende Leben, diese unvergleichliche Karriere unser Gespräch bestimmte und seine Lebenserzählung zwischen Licht und Schatten mich als Zuhörer in ihren Bann zog.

Während er mich wie ein Magier in sein Leben zog, fühlte ich mich an Goethes so treffenden Satz erinnert: „Alles geben die Götter ihren Lieblingen ganz: Die Freuden, die unendlichen und die Schmerzen, die unendlichen. Alles geben sie ihnen ganz.“ So wurde ihm nach den Privilegien des gefeierten Jungstars in der CSSR erste Tiefschlag versetzt. Im Jahr 1971 , sagte er mit leiser Stimme, sei seine Konzerttätigkeit von einem Tag auf den nächsten beendet gewesen. Niemand hätte gewusst, ob er je wieder Klavier spielen könne. Ein schwerer Bergunfall mit über 50 Knochenbrüchen habe ihn zu einem Jahr Klinik-Aufenthalt gezwungen. 1972 ist er dann jedoch wieder soweit hergestellt, dass er eine Auslandstournee starten kann, die er zur Emigration nach Luxemburg nutzt. 

Die Konzertsäle der Welt stehen ihm offen

Seine stahlharten Augen bekommen einen weichen Glanz, wenn er nun die guten Jahre, den Erfolg des Welstars Bulva, seine zweite künstlerische Heimat in München, seinen Neubeginn als Pianist beschreibt. Josef Bulva stehen die Konzertsäle der Welt offen. Er ist in Rundfunkanstalten und Schallplattenstudios ein gefragter Mann. Der Musikwelt präsentiert sich Bulva durch die erstmalige Einspielung von Sergei Prokofjews Ballettzyklus, Opus 75, Romeo und Julia in der Bearbeitung für Klavier. Auch sein Spiel des Zyklus der Grandes Etudes du Paganini von Liszt sorgt weltweit für Furore. Er wird von der Fachwelt gefeiert. Der Musikkritiker Joachim Kaiser von der „Süddeutschen Zeitung“ nennt ihn „den Pianisten des wissenschaftlichen Zeitalters“ und attestiert ihm „Meisterwerke, die in einem neuen Gewand“ erscheinen.

Draußen beginnt es jetzt heftiger zu schneien. Die Christnacht senkt sich über die Stadt, nur vereinzelt huschen noch Gestalten durch die Straßen – auf dem Weg nach Hause zur Familie oder in eine Herberge zu Freunden. Auf jeden Fall will niemand gerne allein sein in der Nacht, da der Heiland geboren wurde. Unser Gespräch nähert sich inzwischen wieder den Schmerzen, den unendlichen, die die Götter ihren Lieblingen auferlegen. Das köstliche Menü ist fast verzehrt und das Personal bringt eine zweite Flasche Rotwein zum Tisch. Bulva erzählt mir voller Trauer und Verzweiflung, was dann geschah in diesem Leben zwischen Gipfel und Abgrund. Am 22. März 1996 sei er bei einem Besuch seiner Halbschwester in Ostrau auf eisglatter Straße gestürzt. Unter der Schneedecke seien die Glasscheiben einer Bierflasche verborgen gewesen. Genau dorthinein sei er mit seiner linken Hand gefallen. „Da war alles zertrümmert, was man nur zertrümmern kann“‘ erinnert er sich. Die Verletzung scheint nicht mehr reparabel, an Klavierspielen sei nicht mehr zu denken gewesen, hätten ihm die Ärzte attestiert.

Bulva zieht sich nach Monaco zurück und wird Finanzinvestor. Doch er gibt nicht auf. Er schafft es auch diesmal, das Schicksal zu überlisten. Er will sich nicht damit zufriedengeben, dass es vorbei sein soll mit der Leidenschaft seines Lebens, dem Klavierspiel. Er unterzieht sich mehreren Operationen und begibt sich in die Obhut eines Züricher Chirurgen. Täglich übt er mit einer unglaublichen Energieleistung die Bewegungsfähigkeit seiner Hand. Nach jahrelanger Heilungsphase erlebt das Wunderkind ein zweites Wunder. Die Spielfähigkeit seiner linken Hand ist wiederhergestellt, sein eiserner Wille hat die körperliche Beeinträchtigung besiegt. 2010 kehrt er zurück in die Konzertsäle. 

Die Zeit der schönen Mädchen ist vorbei

Es ist schon nach Mitternacht und wir sind die letzten Gäste im Restaurant. Der Meister lädt mich noch zu einem Drink in sein großzügiges Appartement unter dem Dach des Hotels ein. Dort steht das Klavier, auf dem er jeden Tag zwei Stunden übt, wenn er in München weilt. Josef Bulva ist in dieser Nacht voller Pläne. Er bittet mich, ihn publizistisch bei seinem Comeback ein wenig zu unterstützen. Natürlich hat ein Mann wie er immer einen zweiten Gedanken im Hinterkopf, mindestens, sonst wäre er nicht an die Spitze gekommen, nicht nach jedem Tiefschlag wieder aufgestanden. Die Zeit der schönen Mädchen, der wilden Geburtstagspartys und der schnellen Autos sei jetzt vorbei, sagt er mir mit einem resignierten Lächeln. Aber eigentlich scheint ihm das auch gar nicht so wichtig zu sein, denn gleich darauf lässt er mich wissen, dass er ein Mensch sei, der gar nicht richtig Freude empfinden könne. Plötzlich erhebt er sich aus seinem Sessel, geht ein paar Schritte zum Klavier und verzaubert den ganzen Raum mit ein paar Akkorden Liszt. In diesem Augenblick ist Bulva für mich der Alchimist, der die Welt in einen neuen Seelenzustand verwandeln kann.

Ich empfinde etwas Seltsames: Wie er seiner Traurigkeit nur so viel Raum lässt, dass sie ihn nicht an seinen neuen Plänen für das große Comeback im 77. Lebensjahr hindert. Er sagt mir in dieser ganz besonderen Nacht, dass er sich als ein Außenseiter und Einzelgänger fühle. Ich antworte ihm ganz spotan, dass ich das anders sehe. Denn ein Mensch, der Millionen andere Menschen mit der Schönheit seiner Musik so sehr begeistert, kann kein Außenseiter sein, sondern muss im Gegenteil seinen Mitmenschen sehr nah sein. Er sagt in diesem Augenblick nichts, aber ich habe das Gefühl, dass er mir Recht geben könnte.

In dieser Heiligen Nacht habe ich eher das Gefühl bekommen, das Wunderkind aus Brünn sei weniger ein Einzelgänger oder Außenseiter, als vielmehr ein Zweifler, der ja oft der Bruder der Intelligenz ist. Als Beleg dafür ist mir eine Einschätzung von ihm in Erinnerung, die ich mir so notiert habe: „Die ganze Palette von A wie Affektiertheit bis Z wie Zusammenbruch, das kommt dadurch, weil man als Künstler auch ein Getriebener ist“. Dann huscht für einen Moment ein schüchternes Lächeln über sein Gesicht, als er sagt: „Es schafft schon eine Befriedigung, dass man im hohen Alter noch so viel Kraft, Disziplin und Konzentration mobilisieren kann.“ Dabei schweift sein Blick versonnen hinüber zum Klavier.

Das Alter zehrte an seinem Lebenswillen

Es ist kurz nach 2 Uhr morgens, als wir uns herzlich verabschieden. Wir sind voller Pläne, und ich freue mich, ihn bei seinem Wieder-Einstieg in die Welt der Konzertsäle publizistisch, ein wenig unter die Arme greifen zu dürfen. Doch ich spürte auch, dass es ihm nicht gutging: das Alter, die schweren Probleme an Schulter und Armen zehrten an seinem Lebenswillen. Doch er war zu diesem Zeitpunkt fest entschlossen, die körperliche Beeinträchtigung mit der Kraft des Geistes und des Willens zu überwinden. Ich hatte dennoch ein gutes Gefühl, als ich ging. Doch Gefühle können trügen. Es war das letzte Weihnachten des Josef Bulva. Am 12. August 2020 starb er in seiner Wahlheimat Monaco. Am Heiligen Abend des Jahres 2019 haben wir uns zum letzten Mal gesehen. Darüber bin ich glücklich und traurig zugleich.

Katholischen Journalismus stärken

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Stärken Sie katholischen Journalismus!

Unterstützen Sie die Tagespost Stiftung mit Ihrer Spende.
Spenden Sie direkt. Einfach den Spendenbutton anklicken und Ihre Spendenoption auswählen:

Die Tagespost Stiftung-  Spenden

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Sigmund Gottlieb Johann Wolfgang von Goethe Johannes Brahms Trauer Weihnachtsgeschichten Wolfgang Amadeus Mozart

Weitere Artikel

Der vor 150 Jahren geborene Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger kannte das Böse so genau wie das Gute. Sein Werk ist zeitlos und hat noch eine große Zukunft.
06.06.2025, 17 Uhr
Markus Günther
Eine Besichtigung der Villa Silberblick in Weimar, in welcher der Philosoph Friedrich Nietzsche vor 125 Jahren starb.
25.08.2025, 09 Uhr
Paul Baldauf
Der berühmte Dichter und evangelische Pfarrer hat in diesem Jahr nicht nur seinen 150. Todestag, sondern trat im Jahr 1850 eine schicksalswendende Reise ins katholische Regensburg an.
05.07.2025, 16 Uhr
Paul Baldauf

Kirche

In Rom hatte Arnold Schwarzenegger seinen großen Auftritt und trifft heute mit Leo XIV. zusammen. Anlass ist eine Klima-Konferenz im Geist von Papst Franziskus.
01.10.2025, 09 Uhr
Guido Horst