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„Buche de Noël“: Frankreichs süßer Weihnachtsklassiker

Zweifelhafte Hypes wie der um die „Dubai Schokolade“ haben hier keine Chance: In Frankreich ist die „Bûche de Noël“ der bleibende Star der Festtagsbäckerei.
Eine Familie bekommt die "Bûche de Noël" serviert.
Foto: IMAGO / KHARBINE-TAPABOR | Im Mittelpunkt die „Bûche“: Illustration aus der Zeitschrift „La Cuisine des Familles“ vom 22. Dezember 1907.

Die Stadt der Lichter erstrahlt im vorweihnachtlichen Glanz. Aus den Lautsprechern ertönen vertraute Klänge, die berühmten Kaufhäuser Printemps und Galeries Lafayette im 9. Arrondissement, „Grands Magasins“ genannt, bestechen mit ihren aufwändig geschmückten Schaufenstern. Passanten verweilen verzückt vor den märchenhaften Szenerien, die sich die Dekorateure auch dieses Jahr erdacht haben. Ein nachgebauter Eisenbahnwaggon entführt die Kauflustigen in die Gefilde der Kindheit. Kein Wunder, dass sich die entzückend animierten Figürchen in den Vitrinen vor allem zwischen Zuckerwerk und verführerischen Düften bewegen. Der Geschmack der Kindheit ist süß. Das wissen auch Pariser Patissiers und Bäcker, die mit kunstvollen Kreationen um die Gunst ihrer nostalgischen Kunden eifern. In den Auslagen dargeboten werden Zitronentörtchen, zartbittere Ganache mit Himbeeren und Apfeltarte mit Zimt und Karamell. Lediglich Pistazien scheinen weniger präsent, was nicht nur an den exorbitanten Preissteigerungen liegt, sondern auch an der vor allem in Deutschland verbreiteten Schaumschlägerei um Dubai-Schokolade. Milchschokolade, aus der eine zähflüssige Masse aus türkischem Engelshaar und überzuckerter Pistazienmasse quillt? Franzosen ziehen dezent die Augenbrauen hoch oder strafen – schlimmer noch! – die Schokoladenscharlatanerie mit Ignoranz.

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In Paris dreht sich in der Adventszeit alles um eine Spezialität, die den Wandel der Süßigkeitsmoden überdauert. Der Star der Festtagsbäckerei ist die „Bûche de Noël“, ein Kuchen, der bei keinem Weihnachtsmahl fehlen darf. Das Gebäck ähnelt in seiner klassischen Form einem Holzscheit oder Baumstamm. Die Jahresringe werden aus gerolltem Biskuitteig und Buttercreme nachgebildet. Für die Borke wird die Creme geriffelt und auf den Schokoscheit aufgetragen. Blätter, Pilze oder Beeren aus Marzipan oder Baiser dienen der Dekoration. Obschon die Preise auch für Backwerk in die Höhe schießen, ist die Bûche beim Festschmaus unumgänglich.

Patissierskunst für die Massen

„Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen“, dieses Bonmot, das der guillotinierten Königin Marie-Antoinette fälschlicherweise in den Mund gelegt wurde, wirkt nach. Die Rebellion des genussbedürftigen Franzosen riskiert man ungern im Hexagon, weshalb jeder Supermarkt zumindest eine Bûche und eine Flasche Champagner zu erschwinglichen Preisen im Angebot hat. Selbst die beliebte Tiefkühlkette Picard appelliert jährlich an einen renommierten Patissier, um die erhitzten Gemüter der Gallier mit eisgekühlten Bûches zu erfrischen. Dieses Jahr ist es der ursprünglich auf Molekularküche spezialisierte Chefkoch und Tausendsassa Thierry Marx, der mit einer Bûche in Form eines mit weißer Schokolade beschneiten Eisbergs, auf dem ein niedlicher Eisbär schlummert, Furore macht. Sogar für den Familienfrieden ist gesorgt, da Picard verschiedene Geschmacksrichtungen, individuell proportioniert, im Angebot hat. Exotische Früchte, Waldbeeren oder Schokolade? Et voilà, Reibereien ade! Jedem nach seinem Gusto, lautet die Devise.

Die feineren Zungen delektieren sich freilich bei den Patissiers, denen „tout Paris“ zu Füßen liegt. In den Luxushotels und edlen Patisserien tüfteln die Konditoren an Geschmacksbouquets, die selbst den verwöhntesten Gourmet zu himmlischem Jauchzen anregt. Der Starkonditor Cyril Lignac, bekannt durch seine Fernsehshows, darf in dieser Riege nicht fehlen. Lindgrün getönt ist seine Bûche, gefüllt mit einer üppigen Bayerischen Creme, aromatisiert mit Orangenblütenwasser. Das Wechselspiel aus knuspriger Pistazien-Dacquoise und Pistaziencreme macht ihren Reiz aus. Eine sanfte Note verleiht ihr der wohlige Geschmack von Vanille.

Trotz aller kreativen Verschiedenheit lässt sich ein Trend unter den diesjährigen Bûches ausmachen. Nicht die kunstvolle Nachahmung oder Interpretation des natürlichen Holzscheites oder Baumstammes ist angesagt, sondern freie, um nicht zu sagen kindliche Gestaltungskraft. Im Hotel Cheval Blanc lässt der Patissier ein munteres Schokopferdchen samt Kutsche über Schneebaiser galoppieren. Das Hotel Martinez in Cannes serviert eine schokoladige Filmrolle, das Shangri-La eine paradiesische Muschel. Der Tradition am nächsten steht die junge Konditorin des im edlen 16. Arrondissement gelegenen Hotels Saint James.  Aus zartschmelzendem Schokoladenbiskuit und knuspriger Zartbitterschokolade mit Pinienkernen, aromatisiert mit Kiefernnadeln und geräucherter Schokolade, gestaltet Coline Doussin den legendären Kamin des Hotelrestaurants nach. Marmorierte Schokoladenmousse und Schokotrüffel-Scheite in Miniatur vollenden das künstlerische Gebilde, in dem die ganze Tradition der Bûche aufscheint.

Heidnischer Brauch, christlich veredelt

Über Jahrhunderte feierte man in Europa die Wintersonnenwende, indem man einen großen Holzblock im Feuer möglichst über Tage glimmen ließ. Die Kälte und die Unbill des alten Jahres sollten damit vertrieben werden. Christen begannen schließlich, die Geburt Jesu auf diese Weise zu zelebrieren. An Heiligabend wurde ein großes Holzscheit im Kamin angezündet und die Glut bis Epiphanias lebendig gehalten.

Im 19. Jahrhundert verwandelten Pariser Patissiers das Ritual in süßes Naschwerk. Die ersten Bûches in Form von Biskuitrollen entstanden in den Backstuben und fanden flugs Anklang bei dem zu wachsendem Wohlstand gelangten Bürgertum. Das erste Rezept aus dem Jahre 1890 stammt von Pierre Lacam und findet sich in einem mehr als 1 600 Kuchenrezepte umfassenden Sammelwerk der Konditorkunst. Lacam selbst wiederum entdeckte den Ursprung der Bûche bei Antoine Charabot, der sie 1879 auf der Basis von Buttercreme, Eigelb und Zuckersirup für die Maison Quillet kreiert hatte.

In der Belle Époque verbreitete sich das neue Lieblingsgebäck des Bürgertums in frankophonen Ländern, aber auch in Vietnam, damals französische Kolonie. In Italien machte der „Tronchetto di Natale“ von sich reden und in Deutschland wurde – weniger poetisch, weniger weihnachtlich – zu Ehren des ersten Reichkanzlers die Bismarckeiche ersonnen. Es handelt sich um eine klassische Schokoladenbiskuitrolle, die inzwischen weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Inspiriert von unseren Nachbarn aber könnte sie eine christliche Renaissance erfahren. Warum nicht ein Stämmchen mit Zimtpflaumen und Bayerischer Creme oder ein Schwarzwälder-Kirsch-Scheit auf den Tisch zaubern?

Frankreich liebäugelt mit der Tradition, die in diesem genuss- und schönheitsbewussten Land nicht zuletzt eine kulinarische, eine künstlerische ist. Das außerordentliche Engagement der Bevölkerung für die bei einem Brand zerstörte Kathedrale Notre Dame zeugt von dieser Liebe zur Historie. Über 340 000 Spender und 2 000 Handwerker haben zum Wiederaufbau beigetragen. Das gelingt nur, wenn ein Volk sich der spirituellen, aber auch gesellschaftlichen Bedeutung dieses Bauwerks bewusst ist. Tradition und Moderne gehen eine fabelhafte Verbindung ein. Für die liturgischen Gewänder, die zur Wiedereröffnung vom Erzbischof und den Bischöfen getragen wurden, zeichnete der Designer Jean-Charles de Castelbajac verantwortlich. Sein Anliegen sei es, so der Designer im Gespräch mit dem Magazin „Paris Match“, „Kunst als Bindemittel für den Glauben“ zu nutzen.

Es ist die Stärke Frankreichs, Genuss und Schönheit nicht zu verbannen aus dem ohnehin mit Dornen besäten Dasein. Kraft zu schöpfen, gelingt den Franzosen sowohl in der Kunst als auch mit Gaumenschmeichlern wie der Bûche de Noël.

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