Das Tauziehen um das neue restriktive Abtreibungsgesetz im US-Bundesstaat Texas geht weiter. Am Montag hat sich das US-Justizministerium an den Obersten Gerichtshof gewandt und diesen dazu aufgefordert, das seit Anfang September geltende sogenannte „Herzschlaggesetz“, das Abtreibungen de facto ab der sechsten Schwangerschaftswoche verbietet, zu blockieren.
"Roe vs. Wade" in Texas nicht mehr gültig
In dem Appell an den „Supreme Court“ argumentiert der Generalstaatsanwalt Brian Fletcher, der Staat Texas habe mit dem Gesetz das Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ umgangen. Jenes Urteil aus dem Jahr 1973 garantiert einen straffreien Zugang zu Abtreibungen im ersten Trimester einer Schwangerschaft – mit gewissen Einschränkungen auch noch im zweiten Trimester. Der Oberste Gerichtshof solle daher die vorübergehende Sperre wieder in Kraft setzen, die ein Bundesrichter aus Austin Anfang Oktober angeordnet hatte. Ein Berufungsgericht hob diese wenige Tage später wieder auf, weshalb das Gesetz weiterhin gültig ist.
Bislang funktioniere der „Senate Bill 8“, wie das Abtreibungsgesetz offiziell heißt, „genau wie beabsichtigt“, schreibt Generalstaatsanwalt Fletcher. Abgesehen von den wenigen Tagen, in denen die einstweilige Verfügung das Gesetz blockiert habe, sei es in Texas de facto nicht möglich gewesen, nach der sechsten Schwangerschaftswoche eine Abtreibung vorzunehmen. Mit Blick auf das Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ zog Fletcher das Fazit: „Um es kurz zu machen, Texas hat die Entscheidung dieses Gerichts innerhalb seiner Grenzen erfolgreich nichtig werden lassen.“
Oberster Gerichtshof könnte über das Gesetz entscheiden
Das US-Justizministerium hatte gegen das texanische Herzschlaggesetz im Auftrag der Regierung bereits im September geklagt. Es sei eine „offene Missachtung“ der Verfassung, hieß es in der Klageschrift. Dabei weist das Gesetz eine Besonderheit auf, die nicht nur bei Abtreibungsbefürwortern, sondern auch bei manchen Lebensrechtlern auf Kritik stieß: Es sieht vor, dass nicht die staatlichen Behörden in Texas für die Kontrolle verantwortlich sind, ob das Gesetz befolgt wird. Stattdessen können Privatpersonen, selbst wenn sie nicht in Texas leben, eine geplante oder durchgeführte Abtreibung zur Anzeige bringen, wenn sie davon erfahren sollten. Den Klägern werden finanzielle Belohnungen von mindestens 10.000 US-Dollar in Aussicht gestellt, wenn sie Verstöße zur Anzeige bringen.
Beobachter gehen davon aus, dass der Oberste Gerichtshof am Ende über das texanische Gesetz urteilen könnte. Ab Dezember beginnen die höchsten US-amerikanischen Richter aber ihre Anhörungen im Fall eines weiteren restriktiven Abtreibungsgesetzes aus dem Bundesstaat Mississippi. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der „Supreme Court“ ein neues Grundsatzurteil erlässt, mit dem „Roe vs. Wade“ aufgehoben werden könnte. DT/mlu
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.