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Lana Del Rey: Zwischen Todessehnsucht und Lebenslust

Lana Del Rey ist von all den gefeierten Künstlerinnen der vergangenen Jahre wohl die rätselhafteste. In ihrer Musik sucht sie nach Liebe, Gott und ihren Platz in der Welt. Und sie löst gerne auch mal gesellschaftliche Kontroversen aus.
Lana Del Rey, eine der erfolgreicheren Popsängerinnen der vergangenen zehn Jahre
Foto: Hugo Marie (EPA) | Polarisiert, weil sie sich nicht in Mainstreamschemata pressen lässt: Lana Del Rey, eine der erfolgreicheren Popsängerinnen der vergangenen zehn Jahre.

Arkadien. Das ist jenes Fantasiereich, jener Ort vollkommenen Glücks, der schon von den alten Griechen zum Schauplatz eines Goldenen Zeitalters verklärt wurde. Aber auch eine Kleinstadt in Kalifornien. Es ist wohl letztere, die Lana Del Rey in ihrem jüngsten Song "Arcadia" besingt, gleichwohl wissend um die mythologische Bedeutung des Namens.

"Arcadia", Vorbote ihres am Freitag erscheinenden siebten Albums, ist ein Song, typisch für den Stil, den die US-amerikanische Sängerin in den vergangenen Jahren etabliert hat. Eingängige Melodie, mächtige Stimme, schlichte Piano-Begleitung. Im dazugehörigen Video sieht man eine Lana Del Rey, die in einem Hotelzimmer im sanft einfallenden Sonnenlicht mit nachdenklicher Miene vor sich hin schmachtet. Vier Minuten geht das so. Dann der Bruch. Sie reckt den Mittelfinger in die Kamera, ein elektronischer Beat setzt ein und sie tanzt die letzten Minuten, man könnte sagen lasziv, bis der Song allmählich ausklingt. 
Auch jene Ambivalenz ist typisch für Lana Del Rey, die mit bürgerlichem Namen Elizabeth Grant heißt und seit nunmehr schon zehn Jahren auf den Bühnen dieser Welt ihre Erfolge feiert. Nie völlig entfernt vom Mainstream, doch immer mit einer gewissen Distanz zu ihm. Ihrem Debüt "Born to die" folgt später ein Album mit dem Titel "Lust for Life". Von der Todessehnsucht zur Lebenslust: Größer könnte der Sprung, die innere Zerrissenheit, kaum sein. Womit man schon mittendrin wäre im Lana-Universum.

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Religiöse Bezüge, nostalgische Rückgriffe, christliche Symbolik - alles da

Charakteristisch für dieses Universum, das die 1985 in New York City geborene Sängerin über die Jahre stetig konkretisiert und erweitert, ist die Nostalgie. Ihre Songs quellen über vor Referenzen auf ein altes, längst vergangenes Amerika, den Glanz des frühen Hollywoods, auf legendäre Schauspieler und Künstler. Sie schwärmt für Ikonen wie Marilyn Monroe, James Dean oder Jim Morrison, zitiert Poeten wie T.S. Eliot, Walt Whitman oder Robert Frost. Dabei ist sie auf der Suche nach der alles überdauernden Liebe, vor dem Hintergrund Kaliforniens, der Westküste und ihrer Wahlheimat Los Angeles.

In ihren Songs spielt sie aber immer wieder auch mit religiösen Bezügen und christlicher Symbolik. In "God knows I tried" etwa singt sie von der eigenen Fehlbarkeit, davon, dass jegliches irdische Streben letztlich zum Scheitern verurteilt ist, aber man dennoch das Beste daraus machen sollte. In "Tulsa Jesus Freak" empfiehlt sie ihrem Liebhaber, besser engen Kontakt zu Jesus zu pflegen. In "Religion" verschmelzen amouröse und religiöse Suche zu einer einzigen spirituellen Erfahrung. Und in dem 2013 veröffentlichten Kurzfilm "Tropico" behandelt sie mit künstlerischer Freiheit die Thematik von Sünde und Vergebung, indem sie, selbst in der Rolle der Eva, die Vertreibung aus dem Paradies inszeniert.

„Wenn Künstlerinnen wie beispielsweise Beyoncé, Nicki Minaj oder Ariana Grande gefeiert werden,
wenn sie über ihren nackten Körper, Sex und Fremdgehen singen,
dürfe sie doch wohl auch über verletzliche Frauen singen, über Frauen in nicht perfekten Beziehungen“

Auch wenn sie katholisch erzogen wurde, ist nicht bekannt, ob sie sich heute selbst als Katholikin betrachtet. Zumindest sei sie niemand, der wöchentlich in die Kirche geht, erzählt sie in einem ihrer frühen Interviews. Aber der Glaube an Gott spiele in ihrem Leben trotzdem eine wichtige Rolle. Und in Phasen, in denen es ihr schlecht geht, eröffne ihr das Gebet einen Ausweg.

Solche Phasen durchlebt sie seit ihrer Jugend immer wieder. Sie wächst in Lake Placid auf, einem kleinen Gebirgsstädtchen im Nordosten der USA. Freunde zu finden fällt ihr nie leicht, Kindheit und Jugend sind geprägt von Melancholie. Das Bewusstsein um die Sterblichkeit des Menschen beunruhigt sie. Mit 15 wird sie auf ein Internat geschickt, um ihre zunehmenden Alkoholprobleme in den Griff zu bekommen. Mit 18 zieht sie nach New York. Dort studiert sie Philosophie, um Antworten auf existenzielle Fragen rund um Leben und Tod, Gott und den Ursprung des Menschen zu finden. Gesungen hat sie schon immer gerne, als Kind im Kirchenchor, in New York dann allmählich in den Bars und Nachtclubs der Stadt. 2007 erhält sie ihr erstes Angebot für einen Plattenvertrag.

Im Radio viel gespielt, in der Debatte umstritten

2011 gelingt ihr schließlich der Durchbruch mit "Video Games". Ein Song, der viele Hörer fasziniert, aber auch polarisiert. Die einen sind begeistert von ihrer dunklen Stimme, der geheimnisvollen Aura und dem wohlgepflegten Retro-Image. Die anderen sehen in ihr eine Möchtegern-Nancy-Sinatra mit Leidensmiene und operierten Lippen, der es aber vor allem an einem mangelt: Authentizität. Auch ihr zweiter Erfolgssong "Summertime Sadness", von Radiostationen rauf- und runtergespielt, festigt die divergenten Eindrücke.

Lana Del Rey aber lässt sich davon nicht beirren, beweist schon mit ihrem zweiten Album, dass sie in einer Zeit der schnelllebigen Internetphänomene vor allem eines ist: gekommen, um zu bleiben. Die Songs auf "Ultraviolence" (2014), dessen Titel dem Klassiker "A Clockwork Orange" des britischen Schriftstellers Anthony Burgess entnommen ist, sind zurückhaltender arrangiert, weniger radiotauglich, aber dennoch eingängig. Mit ihrer Popularität nehmen aber auch die Kontroversen zu. Dank Zeilen wie "he hit me and it felt like a kiss" werfen Kritiker ihr vor, Gewalt zu verherrlichen und das Bild einer unterdrückten, von dominanten Männern abhängigen Frau zu glorifizieren.

Reaktionen auf ihre Äußerungen enthüllen zweierlei Maß

Mit der Präsidentschaft Donald Trumps werden Lana Del Rey und ihre Songs politischer. Die amerikanische Flagge, die sonst oft bei ihren Auftritten das Bühnenbild ziert, verschwindet. Ihre bis dato patriotische, bisweilen verklärende Beziehung zu Amerika hinterfragt sie. Das 2017 veröffentlichte Album "Lust for Life" enthält kaum versteckte Seitenhiebe gegen den damaligen Präsidenten.

Zum gefeierten Star der linksliberalen Popkultur-Szene wird Lana Del Rey jedoch nicht. Im Gegenteil. Seit nun schon eineinhalb Jahren liegt sie im Clinch mit einem Teil ihrer einstmaligen Anhänger. Auslöser der Kontroverse ist ein Instagram-Post, in dem sie sich erstmals zu dem Vorwurf äußert, ein rückwärtsgewandtes Frauenbild zu vertreten und toxische Beziehungen zu verherrlichen. Ihre These: Wenn Künstlerinnen wie beispielsweise Beyoncé, Nicki Minaj oder Ariana Grande gefeiert werden, wenn sie über ihren nackten Körper, Sex und Fremdgehen singen, dürfe sie doch wohl auch über verletzliche Frauen singen, über Frauen in nicht perfekten Beziehungen – ohne gleich als "Antifeministin" abgestempelt zu werden.

Sie beherrscht die Kunst des Aneckens

Anstatt die Kritik damit aus der Welt zu schaffen, macht sie alles noch schlimmer. Da fast alle von ihr genannten Künstlerinnen schwarz sind oder lateinamerikanische Wurzeln haben, werden ihre Äußerungen als rassistisch gebrandmarkt. Über Wochen und Monate hinweg verteidigt sich Lana Del Rey gegen die Vorwürfe   und gerät immer tiefer in die virale Empörungsspirale. Dass sie eigentlich einen differenzierten Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte leisten wollte, verhallt in den Tiefen des Netzes.

Seitdem kann sie es offenbar keinem recht machen Als Anfang des Jahres ihr Album "Chemtrails over the Country Club" erscheint, braut sich erneut ein Shitstorm zusammen, da die auf dem Cover abgebildeten Frauen angeblich zu wenig "divers" seien. Als sie in einem Song die "Black-Lives-Matter"-Bewegung erwähnt, hält man ihr vor, sie würde dies willkürlich tun. Vor wenigen Wochen hat sie all ihre Social-Media-Konten gelöscht. Sie wolle sich nur noch auf die Musik konzentrieren, sagt sie.

Zwischen den Extremen Todessehnsucht und Lebenslust

Die leidet unter alldem ohnehin nicht. Sie ist besser denn je. Auch weil sie sich einer auf Radiotauglichkeit und Kommerz getrimmten Produktion weitgehend verweigert. Mit dem Album "Norman Fucking Rockwell" trägt sie sich 2019 endgültig in die Liste der großen amerikanischen Songwriter ein. Wer auch nur eines ihrer Alben hören möchte, dem sei dieses ans Herz gelegt. Lana Del Rey befindet sich zu jener Zeit auf dem Höhepunkt ihres kreativen Schaffensprozesses. Das beweist sie nicht nur mit ihrem unnachahmlichen Gespür für Melodien. Es sind eben auch die Texte, die derart verdichtet ihren Weltschmerz, ihr Changieren zwischen Tristesse und Freude, zum Ausdruck bringen. In ihrem vielleicht besten Song, "Hope is a dangerous thing", singt sie, alle sagen, sie sei glücklich, dabei wissen sie doch, dass das nicht stimmt. Zumindest könne sie sagen, sie sei nicht traurig. Und auch wenn die Hoffnung doch so ein trügerisches Ding ist, so hofft sie dennoch. Auch in diesen Zeilen lässt sich ein christliches Motiv erkennen: die Hoffnung auf Erlösung trotz aller Ungewissheit, Unsicherheit und Dunkelheit.

Morgen erscheint nun ihr neues Album. Es trägt den eher nichtssagenden Titel "Blue Banisters", "Blaues Geländer". Ein Titel, den wohl nur jemand wählen kann, der niemandem mehr etwas beweisen muss. Glaubt man Lana Del Rey, könnte es ihr bislang persönlichstes Werk werden. "Dieses Album handelt davon, wie es war, was passiert ist, und wie es jetzt ist", schreibt sie. Den vorab veröffentlichten Singles nach zu urteilen dürfte es eher lebensfroh denn morbid werden.
Aber das Feld zwischen den beiden Extremen, zwischen Todessehnsucht und Lebenslust, ist ja ein sehr weites. Das hat Lana Del Rey in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen. Mit ihren Songs deckt sie es in all seinen Facetten ab.

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