Was verbindet die Schauspielerin Marilyn Monroe (1926–1962) mit den Schriftstellerinnen Marguerite Duras (1914–1996), Patricia Highsmith (1921–1995) und Jane Bowles (1917–1973)? Connie Palmen gibt diese Antwort: Die Genannten verfügten über ein selbstdestruktives Potenzial, das ihr Leben durchzog und letztendlich zu ihrem Tod führte. Lassen sich gemeinsame Ursachen hierfür finden?
Alle vier sind ohne Vater aufgewachsen, bleiben selbst – gewollt oder ungewollt – kinderlos, erfahren sie doch die Liebe der Mutter als erstickend. Früh suchen sie in ihrem Leben nach Auswegen aus ihrer als eng empfundenen Welt. Alle vier entscheiden sich für einen Künstlernamen in ihrem öffentlichen Leben und erfinden sich somit neu. So wird aus Norma Jean Baker „die Monroe“, Marguerite Donnadieu nennt sich Duras, Mary Patricia Plangman wählt das Pseudonym Highsmith und Jane Auer heiratet Paul Bowles.
Connie Palmen (auch schon in ihren früheren Werken deutlich interessiert an biblischen Bildern und Motivationen) führt die Erbsünde ins Feld und nennt Gott „den berühmtesten abwesenden Vater der Literatur“, der wegen Evas Sünde, der Sünde der Frau, das erste Paar der Menschheitsgeschichte aus dem Paradies vertreibt. Nach ihrer Lesart der Genesis waren unsere Stammeltern Adam und Eva göttlich, unschuldig, unwissend und unsterblich, bis sie durch den Sündenfall zu sterblichen Wesen wurden, die Gut und Böse erkannten und ihren Nachfahren diese Erkenntnis vererbten: „Ob man sich für das Gute oder das Böse entscheidet, setzt voraus, dass man genügend Vorstellungskraft besitzt, sich beides auszumalen, wie auch die Strafe, die ein Verstoß gegen Gebote nach sich zieht. Ich betrachte die Erbsünde als Sünde der Imagination.“
Damit entfernt sich die Autorin zwar vom Katechismus der katholischen Kirche, denn danach haben „Adam und Eva ihren Nachkommen die durch ihre erste Sünde verwundete, also der ursprünglichen Heiligkeit und Gerechtigkeit ermangelnde menschliche Natur weitergegeben“, und dieser Mangel wird Erbsünde genannt. Doch ihre eigene menschliche Freiheit nutzend, beleuchtet Connie Palmen Leben und Psyche ihrer vier auserwählten „Heldinnen“ aus der Perspektive ihrer eigenen Imagination.
Bei aller Unterschiedlichkeit ist Marilyn Monroe, Marguerite Duras, Patricia Highsmith und Jane Bowles dies gemeinsam: Jede von ihnen bricht aus ihrem scheinbar vorherbestimmten konventionellen Lebenslauf aus. Erwartet aber – bewusst oder unbewusst –, dass sie dafür bestraft wird. Nicht zwingend von Gott. Sie unterwerfen sich einem unbarmherzigen Richter: sich selbst. Und so bestrafen sie sich für ihr selbstbestimmtes, vermeintlich freies Künstlerleben mit Maßlosigkeit, Genusssucht und der schleichenden Selbstzerstörung durch Drogen und Alkohol oder mit Selbstmord, magisch angezogen von einem gefährlichen Leben und dem Tod. Nur im scheinbaren Widerspruch dazu suchen sie unablässig nach Liebe und Geborgenheit, die sie als Kinder schon nicht bekamen.
Marilyn Monroe, das herumgeschubste, misshandelte Kind, das früh begreifen muss, dass es nur als Sexualobjekt erwünscht ist. Marguerite Duras, in Indochina geboren und nach dem frühen Tod des kränklichen Vaters einer gestörten Mutter und einem gewalttätigen und bösartigen älteren Bruder ausgeliefert, macht ihr Schreiben zu einem religiösen Akt. Auf diese Weise versucht sie sich dem Geheimnis des Daseins zu nähern – Gott, der Liebe, dem Tod, dem „unbegreiflichen Los zu leben“. Das Verlangen zu lieben grenzt an das Verlangen zu töten, getötet zu werden, den anderen zu zerstören, selbst zerstört zu werden. Wie es einer ihrer Romantitel ausdrückt: Détruire, dit-elle (Zerstören, sagt sie). Patricia Highsmiths Eltern lassen sich neun Tage vor ihrer Geburt scheiden. Die Mutter erzählt dem Kind, dass sie versucht hatte, es abzutreiben, indem sie Terpentin trank. Patricia zieht sich in sich selbst zurück, wird unnahbar. Sie flüchtet sich in die Welt der Literatur und beginnt früh zu schreiben. Highsmith lebt wie ihre Romanfiguren und hat sich mit dem amoralischen Mörder Tom Ripley ein Alter Ego erschaffen. Die Natur des Bösen ist, neben dem Gewissen und der Identität, ihr Hauptthema.
Und Jane Bowles? Sie ist die unbekanntere Größe im Quartett. Ihr Roman Two Serious Ladies erzählt von zwei ernsthaften Damen, die unabhängig voneinander nach Heiligkeit und Erlösung streben, und das verlangt Opfer. Janes Vater stirbt überraschend, als sie dreizehn Jahre alt ist, und sie ist von da an einer ehrgeizigen, egozentrischen und überbesorgten Mutter ausgeliefert, die ihre Tochter ständig ermahnt, sich nicht in Phantasiewelten zu flüchten. Doch genau das tut das Kind sein Leben lang. Allerdings wird die Phantasie für sie immer mit dem Makel der Sünde behaftet bleiben. Mit 21 Jahren heiratet sie den sechs Jahre älteren Schriftsteller Paul Bowles. Die exzentrische Ehe hält bis zu ihrem Tod, wenngleich sie Frauen zugetan ist und er Männern. Ihr zunehmender Alkoholismus und die Beschäftigung mit den Werken der französischen, zum Katholizismus konvertierten Philosophin und Mystikerin Simone Weil, die Phantasie für eine zerstörerische Kraft hielt, verstärken ihre Ambiguität, ihr „Doppelherz“. Sie erhofft sich Erlösung und Vergebung für ihre Sünden. Nach einem Schlaganfall lebt sie in einem Kloster in Málaga, wo sie, gepflegt von Nonnen, zum katholischen Glauben übertritt.
So gelingt es Connie Palmen überzeugend in ihren vier Essays, die komplexen Persönlichkeiten kurz und prägnant darzustellen.
Connie Palmen: Die Sünde der Frau. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers, Diogenes Verlag Zürich 2018, 96 Seiten, EUR 20,–
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