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Das Schlimmste ist die Feigheit

Die Lektüre des russischen Schriftstellers Bulgakow regt an, wieder mehr über die Bedeutung des Teufels nachzudenken. Von Kristina Ballova
Kristina Ballova
Foto: dpa | Die Autorin, Kristina Ballova, betreibt den Blog „Frau mit Eigenschaften“.

Von den Glaubenswahrheiten gibt es wohl kaum eine, die so gründlich und verschämt verschwiegen wird wie der Teufel. Von ihm reden höchstens noch wunderliche, alte, fromme Mütterchen. Dem Theologen ist es peinlich.

Der Teufel begegnet uns deshalb nur mehr in der Kunst. Ich stieß auf ihn, als ich unlängst „Meister und Margarita“ las, das bekannteste Werk des russischen Satirikers Bulgakow. „Meister und Margarita“ spielt in der kämpferisch atheistischen Stalinzeit, und wie auch in der modernen, post-spirituellen Kirche unserer Tage war damals die Erwähnung des Teufels ein noch größerer Tabubruch als diejenige Gottes. 

Gefahr, Glaubensbegriffe wie in Stein gemeißelte Gesetze wahrzunehmen

Der Vater der Lüge, der Durcheinanderbringer, der Verleumder, der geniale Betrüger. So wird der Teufel in der Bibel beschrieben. Und so offenbart er sich auch bei Bulkakow. Wenn man wie ich mit Muttermilch katholisch geprägt wurde, droht die Gefahr, die Glaubensbegriffe wie in Stein gemeißelte Gesetze wahrzunehmen und nicht als plastische, lebendige Ereignisse und Gestalten. Im Licht von Bulgakows Roman beschäftige ich mich nun seit Tagen und Wochen mit dem Teufel. Die matte und farblose Vorstellung von dem Bösen da draußen wird real und eindringlich. Wie das Werk selbst, das mich in das Chaos der verwirrenden Ereignisse wie in einen Rausch „reinsaugt“.

Der Teufel ist nicht die klumpfüßige Gruselgestalt schlechter Horrorfilme, sondern taucht in der Person des eleganten und kultivierten Professor Voland auf. Begleitet von einem Assistenten und einem Kater versetzt er Moskau, besonders offiziellen Stellen, die Mitarbeiter einer Literaturzeitung, das Theater und die „verhexte“ Wohnung in der Sadowaja Straße in Chaos, Panik und Wahnsinn. Es beginnt mit dem unheimlichen Todesfall des Zeitungsverlegers, nachdem dieser gemeinsam mit einem Dichter über die bewiesene Nicht-Existenz Jesu diskutiert.

Die Menschen werden bei ihrer Gier, ihrer Oberflächlichkeit und ihrem Stolz erwischt

Diesem Gespräch schließt sich ein Fremder an und sich als Professor Voland vorstellt. Er erzählt von der Existenz Jesu, aber nicht abstrakt, sondern wie ein Zeitzeuge, der die Verurteilung durch Pontius Pilatus schildert. Der atheistischen Selbstvergewisserung der neuen Menschen setzt er gar lachend und zum Erschrecken seiner Zuhörer die Existenz des Teufels gegenüber. Er beschreibt das Problem der Unvorhersehbarkeit des Todes und sagt den plötzlichen Tod des Verlegers voraus – der sich unmittelbar danach ereignet.

So geht es weiter. Die Menschen werden bei ihrer Gier, ihrer Oberflächlichkeit, ihrem Stolz und ihrer Korrumpierbarkeit erwischt, ausgelacht, bloßgestellt. Manche enden in der Psychiatrie, manche verschwinden, andere können sich knapp retten. Als die schlimmste Eigenschaft wird die Feigheit eingestuft. Die Angst davor, aus der Masse hervorzustechen, Ideale zu vertreten, das Leben der Wahrheit und höheren Idealen zu unterordnen.

Die einzigen Gerechten: der Meister und seine Geliebte Margarita

Als die einzigen Gerechten im Roman werden der Meister und seine Geliebte Margarita beschrieben. Der Meister schrieb mit Hilfe von Margarita an seinem Roman über Pontius Pilatus, der leider keinen Erfolg bei den oberflächlichen, an grundlegenden Fragen desinteressierten Verlegern findet. Die ehrlichen Absichten und tiefen Interessen von Meister und Margarita und vor allem ihre reine Liebe werden als das Wahre und Wertvolle dargestellt, das auch der Teufel respektiert.

Der Teufel bei Bulgakow ist notwendig für das Gute. Er ist eine Gefahr nur für die Schlechten, Feigen, Bösen; deren Fehler macht er offenbar und zu ihrem Urteil: „Willst du nicht so gut sein, einmal darüber nachzudenken, was dein Gutes täte, wenn das Böse nicht wäre, und wie die Erde aussähe, wenn die Schatten von ihr verschwänden?“

Der Teufel bei Bulgakow ist notwendig für das Gute

Und so bin ich Bulgakow dankbar, den Teufel wieder in meine Gedanken zu bringen, in bunteren, lebendigen Farben, wie es kein Katechismus-unterricht zu lehren vermag. Denn eins habe ich nun verstanden: In der bunten, reichen und tiefen Welt unseres Glaubens hat der Teufel seinen Platz und seine Funktion. Er gehört dazu und ist es wert, sich mit ihm zu beschäftigen: als faszinierende Warnung vor den eigenen Fehlern wie als Ansporn, es wie Meister und Margarita besser zu machen.

Kristina Ballova betreibt den Blog „Frau mit Eigenschaften“.

DT

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