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Stillleben in Dresden: Zeitlose Schönheit

Fisch, Ei und Kirsche: Die Gemäldegalerie Alte Meister präsentiert eine Ausstellung rund um das Thema „Stillleben“.
Broder Matthisen, „Vanitas“ (Mitte des 17. Jahrhunderts): Alle Weisheit dieser Welt ist vergänglich.
Foto: Hoensbroech | Broder Matthisen, „Vanitas“ (Mitte des 17. Jahrhunderts): Alle Weisheit dieser Welt ist vergänglich.

Schon das Entrée vor Beginn des eigentlichen Rundgangs durch den thematisch gegliederten Ausstellungsbereich ist von zeitloser Schönheit. Die hier versammelten Werke sind in der Zeit vom 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert entstanden. Sie stimmen die Besucher auf das in dieser Zeitspanne entstandene Genre der vielfältigen und detailreichen Stillleben ein. Aus dem Gemälde „Satyr und Mädchen mit dem Fruchtkorb“ (um 1612) aus der Werkstatt von Peter Paul Rubens blickt der Waldgeist keck die Betrachter an und lädt zum verführerischen Genuss ein. Warum hält der vornehm gekleidete Junge im „Bildnis eines Knaben“ (1590) von Agostino Carracci in seinen zierlichen Fingern ein Paar Kirschen? Und warum präsentiert der kleine Junge mit dem vieldeutigen Blick am rechten unteren Bildrand „Beim Steuereinnehmer“ (1539) aus der Werkstatt von Jan Massys den Betrachtern so demonstrativ ein Ei?

Subtile christliche Bedeutungen

Die grandiose Schau „Zeitlose Schönheit. Eine Geschichte des Stilllebens“ in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden zeigt in anhand von 90 Bildern, mit welcher malerischen Virtuosität es insbesondere die niederländischen Meister vermochten, die Schönheit und Fragilität der sie umgebenden Welt in ihrer mitunter verschwenderischen Reichhaltigkeit auf die Leinwände zu bannen. Bemerkenswert ist der im Titel der Ausstellung erhobene Anspruch: Es wird „eine“ und nicht „die“ Geschichte der Stillleben erzählt. Dabei lädt diese Sonderausstellung mit Werken aus dem eigenen Bestand – viele von ihnen wurden eigens für die Schau restauriert – dazu ein, sich darauf einzulassen, was Stillleben und deren Geschichte eigentlich ausmachen. „Stillleben – Was ist das?“ ist auch das Heft betitelt, mit dem nicht nur Kinder eine anspruchsvolle Rätselrunde durch die Ausstellung unternehmen können. Welche Bedeutung kommt den Darstellungen zu, was für Allegorien, versteckte Anspielungen und Symbolik lassen sich in den Werken finden? Insbesondere dieser Aspekt ist besonders reizvoll.

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Ein ansprechend gestaltetes vierseitiges Glossar liegt im ersten Raum bereit und listet von A bis Z insgesamt 45 Blumen und Pflanzen, Früchte, Tiere und andere Bezeichnungen auf, die unterschiedliche, teils mehrfache oder gar antagonistische Bedeutungen hatten und deren hintergründige Botschaften oft bis in die Antike zurückreichten. Das Glossar ist eine wunderbare Hilfe für das Betrachten und Lesen der Bilder. „Künstlern und Betrachtern waren im 17. Jahrhundert solche Motive und deren vor allem christliche symbolische Bedeutung wohlbekannt, heute ist dies aber vormals in Vergessenheit geraten“, erklärt Konstanze Krüger, die Kuratorin der Ausstellung. Das oben erwähnte Ei beispielsweise ist gleichermaßen ein Symbol für Fruchtbarkeit wie auch für Vergänglichkeit. Die Kirsche wurde wegen ihrer Süße dem Paradies zugeordnet, steht im christlichen Kontext mit ihrer roten Farbe aber vor allem für das vergossene Blut Christi. Neben den wunderbar gehängten Bildern, die nicht zuletzt durch ihre Präsentation in den hohen und großzügigen Sälen des einstigen „Neuen Königlichen Museums zu Dresden“ besonders zur Geltung kommen, sind es die sehr behutsam ausgesuchten und in der jeweiligen Raummitte ausgestellten Objekte, die mit den Bildern korrespondieren und eine zusätzliche Spannung erzeugen. So befindet sich etwa im oben beschriebenen Eingangsbereich ein Stundenbuch aus der Mitte des 15. Jahrhunderts: Auf der aufgeschlagenen Doppelseite wird die Bibelstelle mit filigran gestalteten floralen Rankenwerk eingeleitet – womöglich eine sehr frühe Anregung oder gar Vorläufer für die Ausbildung des Genres der späteren Stillleben.

Es ist alles eitel

Der Raum „Vom Werden, Vergehen und Entdecken der Welt“ zeigt in besonders beeindruckender Weise, wie wirklichkeitsgetreu die Darstellungen von Tieren und Pflanzen gerieten. Da wippen haargenau gemalte Straußenfedern am Bildrand oder surren fast mikroskopisch exakt dargestellte Insekten um die Blumen. Die hier versammelten Stillleben, meist frei nach künstlerischem Gestaltungswillen komponierte Einzelstudien, bilden einerseits die Schönheit der Schöpfung ab. Andererseits erinnern Attribute wie etwa eine Uhr an die verrinnende Lebenszeit, die Vergänglichkeit des irdischen Lebens. Manche Besucher mögen bei der Betrachtung dieser zeitlos schönen Vanitas-Gemälde mit einem bitter-süßen Schauer vom Gedanken an das eigene „Memento mori“ erfasst werden. Dieser Eindruck wird durch Objekte in einer Vitrine verstärkt: Da ragt ein hoher silberner Buckelpokal (1657) heraus, vor dem der berühmte marmorne „Totenschädel“ (1655) von Bernini liegt.

Selbstverständlich dürfen auch die berühmten „Blumenkränze“ nicht fehlen. Um 1607/08 umwand Jan Brueghel d. Ä. ein kleines Madonnenbild von Maria und dem Jesuskind mit einer Blumengirlande. Zahlreiche detailliert ineinander verwobene Blumen entfalten eine fast dreidimensionale Wirkung; täuschend echt, zum Greifen nah. Wegen dieser Werke wurde der Maler auch „Blumen-Breughel“ genannt. Die vielfarbigen Blumen stehen für Gottes Herrlichkeit und sollen zu Andacht und Kontemplation einladen – ein „Hortus conclusus“, der Maria und das Kind birgt. Bald entwickelten sich diese für die Kontemplation und Meditation geschaffenen Werke zu einem eigenen Bildtypus.

Dekorative Glanzstücke

„Stillleben waren dekorative Glanzstücke und ein Spiel mit dem Auge, bei dem die optische Wirkung im Zentrum stand“, unterstreicht Kuratorin Konstanze Krüger. Die Bilder mit den prächtig gedeckten Tafeln im Bereich „Vom Markt in die Küche“ ermöglichen einen Blick in überbordende Vorratskammern und Küchen aristokratischer und großbürgerlicher Haushalte. Abraham van Beijeren hat auf einer „Fischbank“ (1650 bis 1670) Kabeljau, Scholle und Rochen so gemalt, dass die Betrachter meinen könnten, die glitschig-nassen Fische rutschen gleich aus dem Bilderrahmen heraus.

„Komposition und dekorative Formen“ zeigen, dass die kunstvolle Anordnung von Pflanzen, Gemüse und Früchten, die in der Natur gleichzeitig wegen ihrer unterschiedlichen Jahreszeiten so nicht vorkommen, bis in die Antike zurückverfolgt werden kann. Kunstvoll angeordnet ist auch das dreifach signierte Stillleben „Vor der Küche“. In der Zeit von 1670/75 arbeiteten drei Maler daran: David Teniers d. J. malte Architektur und Küche, Nicolaes van Verendael gestaltete die Blumen und Carstian Luyckx bildete die erlegten Tiere ab. Immer wieder kam es zur Zusammenarbeit von Künstlern, die auf bestimmte Motive spezialisiert waren. Durch die Kooperation konnten die jeweiligen Bilder einerseits schneller erstellt werden, andererseits erfuhren sie durch die Beteiligung mehrerer namhafter Maler eine Wertsteigerung.

Am Ende des Rundgangs kommen die Besucher an eines der Schlüsselwerke für den Beginn der Gattung. Zu Füßen von „Maria mit dem Kind, dem heiligen Sebastian und Johannes dem Evangelisten“ (1516) hat Lorenzo di Credi eine schlichte Blumenvase mit einem angesichts der Größe des Bildes geradezu bescheiden anmutenden Blumenstrauß gemalt. In dem Ölgemälde auf Pappelholz stechen – ästhetisch und akkurat zusammengesteckt sowie mit höchster Präzision gemalt – die Blüten von roten, gelben, blauen und weißen Blumen aus dem satten grünen Blattwerk hervor. Beim Betrachten nicht nur dieses über 500 Jahre alten Gemäldes, sondern bei all den hier versammelten Werken wird zeitlose Schönheit sicht- und erlebbar.

Gemäldegalerie Alte Meister, Semperbau am Zwinger, bis 1. September 2024, Di–So, 10–18 Uhr.

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