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Patriotismus statt Globalisierung

Dankbarkeit für das, was die Vorfahren an Kultur geschaffen haben, wäre heute vonnöten. In der globalisierten Welt ist aber kein Platz für menschliche Gefühle, immer geht es um Geld und Macht, höchst selten um Kultur oder gar nationale Identität.
Die Zukunft Europas: Zwischen Patriotismus und Globalisierung
Foto: Michael Cooper (PA Wire) | Nicht ausklammern, sondern mit Ehrfurcht, Dankbarkeit und Liebe der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft begegnen, das wäre in Europa vonnöten.

Der britische Staatsphilosoph Edmund Burke definierte die Nation als die Gemeinschaft der Toten, der Lebenden und der Künftigen; Ernest Renan, der französische Diplomat, Politiker und Schriftsteller, prägte das Wort von der Nation als einem täglichen Plebiszit. Für die Deutschen ist Nation vorwiegend ein Kulturraum, begrenzt von Sprache und Geschichte. Der Lehre der Deutschen, dem Zeitbegriff des Briten und dem Voluntarismus des Franzosen fehlen eine Dimension: Dankbarkeit.

Es ist gerecht, der Nation in Dankbarkeit zu gedenken

Dankbarkeit für das, was die Vorfahren an Kultur und für eine menschlichere Gesellschaft geschaffen haben. Dankbarkeit und Ehrfurcht – so definiert Thomas von Aquin das Gefühl des Patriotismus. Nicht ausklammern, sondern mit Ehrfurcht, Dankbarkeit und Liebe der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft begegnen. Der große Denker ordnet dieses Gefühl der Pietas zu (wie übrigens auch die Liebe zu den Eltern) und insofern auch der Kardinaltugend der Gerechtigkeit. Es ist gerecht, der Nation in Dankbarkeit zu gedenken. Diese Dimension des Nationalgefühls wird in der Europa-Debatte oft vergessen.

Dankbarkeit gehört nicht zur DNA der Globalisierung, der Welt des Handels und der Regeln. Sie gehört in den Bereich des Menschlichen, der Gefühle und der Identität. Es gibt keine Richtlinie für Dankbarkeit. Es gibt auch keine Richtlinie für Identität. Auch global ausgreifende Ideologien kennen keine Dankbarkeit. Sie sind eigentlich immer nur von Übel. Winston Churchill nannte das Hauptübel des Kapitalismus die „ungleiche Verteilung von Wohlstand“ und das Hauptübel des Sozialismus die „gleiche Verteilung von Elend“. Da ist kein Platz für menschliche Gefühle, immer geht es um Geld und Macht, höchst selten um Kultur oder gar nationale Identität. Die wirtschaftliche Walze der Globalisierung drückt auch kulturelle Blüten und Eigenheiten platt.

Fragen der Identität sind auch Fragen der Unabhängigkeit

In einer unübersichtlicher gewordenen Welt suchen die Menschen nach Orientierung und Identität. Fragen der Identität aber sind auch Fragen der Unabhängigkeit. Das finden sie in ihrer Sprache, ihrem Brauchtum, ihrer Folklore, ihren Traditionen und nicht zuletzt in den Formen ihrer Frömmigkeit. Hier erfahren sie Nestwärme, die nicht ausgrenzt, sondern integriert. Hier erleben sie Menschlichkeit. Großinstitutionen wie die EU aber sind „cold projects“, wie Dahrendorf sagte. Es gab in den siebziger Jahren einmal eine Diskussion über eine stärkere institutionelle Beachtung der Regionen. Ein „Senat der Regionen“, ähnlich dem Bundesrat, in dem Regionen wie Katalonien, Flandern oder Korsika ihre kulturelle Vielfalt einbringen könnten, das würde das Prinzip der Subsidiarität stärken. Es würde der Vielfalt und den Identitäten in Europa ein Gesicht geben.

DT

Wie der Begriff der Subsidiarität für die Zukunft Europas wieder eine größere Rolle spielen könnte, erfahren Sie in der aktuellen Ausgabe der „Tagespost“ vom 29. Mai 2019.

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