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„Metaverse“: Erste Schritte ins 3-D-Netz wagen

Mit „Metaverse“ will Mark Zuckerbergs eine ambivalente parallele Wirklichkeit erschaffen – ein moderner Roman-Klassiker zeigte schon vor rund zwanzig Jahren mögliche Gefahren auf .
Lust auf Mark Zuckerbergs Schöne Neue Meta-Welt?
Foto: dpa | Lust auf Mark Zuckerbergs Schöne Neue Meta-Welt? Die neue Realitätserfahrung könnte zu unschönen Verstrickungen führen.

Der amerikanische Schriftsteller Tad Williams musste kein Hellseher sein, um die technischen Möglichkeiten für seinen Romanzyklus „Otherland“ zu ersinnen. Er hat am Ende des vergangenen Jahrhunderts, in der Zeit des Milleniumswechsels von 1996 bis 2001 das damals noch junge Internet einfach konsequent fortgedacht. Während unser echtes Internet noch in den Kinderschuhen steckte, ist es in seiner Gedankenwelt weit gereift.

In der Geschichte des Otherland, die in der zweiten Hälfte des 21 Jahrhunderts spielt, nimmt das Netz einen viel breiteren Raum im Leben der Menschen ein als bei uns. Sowohl die Freizeit als auch das Geschäfts- und Arbeitsleben findet weitestgehend im Netz statt. Das Netz ist dreidimensional und es erfasst alle Sinne, wenn man sich die dazu nötige Technik leisten kann. In Videokonferenzen nehmen unsere Sinne eine andere Umgebung wahr als es unsere Konferenzpartner tun. In der Welt von Otherland finden Besprechungen ganz selbstverständlich vollständig im Netz statt. Man bewegt sich mit einem Avatar gemeinsam mit anderen Teilnehmern in einer real erscheinenden virtuellen Realität.

„Wieviel höher mag das Suchtpotenzial werden, wenn man der Illusion erliegen kann,
sein komplettes Leben in der virtuellen Realität verbringen zu können“

Datenbrillen, Datenhelme und Datenhandschuhe lassen die Netzwelt lebendig werden. Das ist sogar in unserer Wirklichkeit bereits realisierbar. Fiktional und zugleich dystopisch wird es, wenn sich wohlhabende Zeitgenossen im Roman „Otherland“ eine Schnittstelle am Hinterkopf implantieren lassen, um ihr Nervensystem direkt mit dem Netz zu verbinden. So spricht das Netz dann wirklich alle Sinne an. Das geschieht im Extremfall mit allen Risiken. Schmerz und Lust sind hier ebenso möglich, wie ein die Illusion eines tiefen Sturzes, extremer Kälte und extremer Hitze. Wer in dieser Welt ins Wasser fällt, sollte schwimmen, sonst erlebt er, wie sich ertrinken anfühlt. Natürlich gibt es Sicherheitsmaßnahmen, doch es ist wie immer: man kann sie abschalten. Im Roman sterben Figuren im realen Leben, denen in der virtuellen Welt ein todbringendes Ereignis widerfährt.

Der Kern des „Otherland“-Zyklus ist die Geschichte einer Gruppe skrupelloser Superreicher, der Gralsbruderschaft, die innerhalb der Netzwelt ein besonderes Netz aufbauen, in welches Sie nach Fertigstellung ihr gesamtes Bewusstsein transferieren und damit unsterblich werden wollen. Dazu bedient sich Otherland neben normaler Computertechnik auch der Nutzung eines menschlichen Bewusstseins, wie im Laufe des Romans herauskommt. Damit nicht einfach eine Kopie entsteht, wollen die Mitglieder der Gralsbruderschaft zugleich ihre physische Existenz beenden. Da in der Welt des Romanzyklus kaum noch zwischen virtueller Realität und dem realen Leben unterschieden wird, könnten Personen wirklich rein in der virtuellen Welt existieren. Der Kopf der Gralsbruderschaft, Felix Jongleur, ist mit 150 Jahren Lebensalter körperlich nur noch in der Lage, in einem medizinischen Tank zu leben, der seinen Körper notdürftig am Leben erhält. Panische Angst vor dem Tod ist seine Antriebsfeder.

Virtuelle und reale Welt sollten einander angenähert werden

 

In unserer Zeit, im Jahr 2021, schickt sich mit Mark Zuckerberg gerade ein 37-jähriger Milliardär und Unternehmer an, eine dreidimensionale virtuelle Welt aufzubauen. „Metaverse“ soll sie heißen, in „Metaverse“ sollen wir uns beruflich dreidimensional treffen können. Wir sollen dort Freizeit verbringen, Spiele spielen und uns vernetzen, austauschen und vieles andere mehr. Wer fühlt sich nicht sofort an „Otherland“ erinnert?

Derzeit ist nicht anzunehmen, dass der Erfinder von „Facebook“ seine virtuelle Unsterblichkeit plant. Es gibt zurzeit keine Technologie, die in der Lage wäre, ein menschliches Bewusstsein zu speichern, mehr noch wäre es nicht möglich in einer virtuellen Umgebung weiterzuleben und sich weiterzuentwickeln. Auch im „Otherland“ gelingt dies nur mit kriminellen Methoden. Ohne gleich vom Schlimmsten auszugehen, ist es eine brillante Idee, die virtuelle Welt näher an unsere alltägliche Lebenswelt heranzuholen.

In der virtuellen Welt gelten Naturgesetze nicht

Jeder Mensch, der sich mit dem Computer und dem Internet beschäftigt, weiß sein eigenes Klagelied über die komplizierte Technik zu singen. Der Welt von Smartphones und Tablets, dem Internet der Dinge, wo die Uhr, der Kühlschrank und die Deckenleuchte selbstverständlich im Internet sind, stehen nur allzu viele sehr, sehr fremd gegenüber. Was wäre, wenn diese Technik einfach so funktionierte, wie unser wirkliches Leben? Nur für den Einstieg wäre noch eine Schwelle zu überwinden, um den Körper an diese Welt anzubinden. Einmal die Schwelle überwunden, kann die Welt im Netz ein exaktes Abbild der Welt hier draußen sein. So kann man das haptische Erlebnis, eine Zeitung zu lesen, wenn man eine Nachrichtenseite aufruft. Wer im Netz seinen neuen Kühlschrank kauft, ist nicht auf kleine Bilder angewiesen, im „Metaverse“ kann der Kunde in ein virtuelles Geschäft gehen und den Kühlschrank sehen, fühlen, öffnen und einen lebensechten Eindruck von dem Kühlschrank gewinnen, den in wenigen Tage die Spedition ins Haus bringt. In der Videokonferenz sitzt man sich dreidimensional gegenüber. Eine Tischvorlage kann im virtuellen Besprechungsraum so aussehen, als verteile man tatsächlich Blätter aus Papier.

Natürlich kann eine virtuelle Welt viel mehr. In Spielen lassen sich Naturgesetze außer Kraft setzen. Spieler können fliegen oder schwerelos sein. Der Schwächling kann als Muskelprotz alle Gegner aus dem Feld schlagen. Das hässliche Entlein wird zum stolzen Schwan. Wir kennen schon heute die Internetsucht. Seien es Spielewelten oder Kommunikationsplattformen, sie alle besitzen in zweidimensionalen Bereich bereits ein Suchtpotenzial, das seine Opfer kaum die Hand vom Smartphone nehmen lässt. Wieviel höher mag das Suchtpotenzial werden, wenn man der Illusion erliegen kann, sein komplettes Leben in der virtuellen Realität verbringen zu können. Der Roman „Otherland“ kennt, so wird in einer Randbemerkung deutlich, die Gefahr, dass Kindern im Netz vergessen haben, dass sie in der realen Welt essen und trinken müssen. Elektronische Drogen hat Tad Williams gleich auch mit erfunden. Charge nennt sie der Roman. Es sind absurde Daten, die sich ein Nutzer ins Gehirn lädt, die starke Bilder, unberechenbare Emotionen oder auch irrationale körperliche Erfahrungen bewirken. Als Folgen drohen den „Charge-Heads“ massive Hirnschäden. Wir wissen sehr gut über andere psychedelische Drogen Bescheid. Es sollte kein Ding der Unmöglichkeit sein, solche Effekte elektronisch zu erzeugen.

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Es ist trotzdem nicht anzunehmen, dass mit „Metaverse“ ein dystopisches „Otherland“ aufgebaut wird. Es ist aber ebenfalls nicht anzunehmen, dass ein dreidimensional erfahrbares Netz keine kriminellen Elemente anziehen sollte. Es ist ebenfalls nicht anzunehmen, dass sich ein Unternehmen wie „Meta“ (vormals „Facebook“) einer besonders hochstehenden Ethik bei der Entwicklung einer solchen Technologie verschreibt.

Wie immer, das heißt wie bei jedem Wirtschaftsunternehmen, gilt es Rahmenordnungen zu schaffen, in denen sich keine Monopole ausbilden und kriminelles Handeln erfolgreich unterbunden oder mindestens mit Aussicht auf Erfolg verfolgt wird. Auch diesen Aspekt konnte Tad Williams anschaulich beschreiben, wie nämlich multinationale Superkonzerne längst die Staaten und deren Rechtsnormen und Kontrolle weit hinter sich gelassen haben. Auch das ist uns nichts neues, denn Tech – Riesen wie „Meta“ oder „Google“ sind für den Arm nationaler Gesetze kaum noch zu erreichen. Ob wir mit Meta auf bestem Weg in eine virtuell dominierte Dystopie sind, kann man noch nicht sagen. Ausgeschlossen ist es jedoch nicht.

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