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Mein alter Chef

Gegen das Gesetz, immer extrem, niemals konsequent, immer radikal, niemals konsistent – das war der Stil Jacob Taubes: In diesem Jahr würde er 100 Jahre alt werden.
Düstere Sonnenfinsternis
Foto: IMAGO/imageBROKER/Stefan Arendt (www.imago-images.de) | Es ist wohl sinnlos zu bestreiten, dass er ein dämonischer, intriganter, ja böser Mensch gewesen sei, wie es von unzähligen Zeitgenossen berichtet wurde.

In diesem Jahr wäre Jacob Taubes 100 Jahre alt geworden. Er war Philosoph und Judaist an der Freien Universität und starb 1987. Die wenigsten Leser der Tagespost werden mit diesem Namen etwas anfangen können, aber die, die ihn kannten, werden ihn in lebhaftester Erinnerung behalten haben. Er hatte einen unfassbar großen Bekanntenkreis und die Eigenschaft, ihnen höchst unterschiedliche Gesichter zu präsentieren.

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Ein Gegentypus zum klassischen Gelehrten

Mir hat er während meiner Berliner Studienzeit und in den elf Jahren, die ich sein Assistent war, ein oft von Krankheit gezeichnetes, müdes, aber immer freundliches Gesicht gezeigt. Vermutlich lag das daran, dass ich für ihn ein „homo novus“ war, der mit den Konflikten, Problemen und Feindseligkeiten, die sich in den Jahrzehnten seines Lebens akkumuliert hatten, nichts zu tun hatte.  Von den Schattenseiten seines Lebens erfuhr ich nur vom Hörensagen und im Wesentlichen erst nach seinem Tod. Dass er ein dämonischer, intriganter, ja böser Mensch gewesen sei, wird von unzähligen Zeitgenossen und auch von bedeutenden Leuten wie Gershom Scholem und Hans Blumenberg bezeugt. Es ist wohl sinnlos, das zu bestreiten. Aber ist auch der Vorwurf berechtigt, dass er ein Scharlatan gewesen ist? Dass dieser Verdacht auf Taubes fallen konnte, liegt zum einen daran, dass er außerordentlich wenig publiziert hat, und dieses Wenige kaum den akademischen Standards entspricht. Wenn er geschrieben hat, waren es keine Werke, sondern Briefe. Und sein Geist hat sich sehr viel mehr im Reden als im Schreiben entfaltet. Deshalb bekommt man ihn nicht wirklich zu fassen, wenn man sich an seine Texte hält. Wie bei kaum einem anderen bedeutenden Intellektuellen schiebt sich hier die Person vor das Werk.

Ein zweiter Grund dafür, dass viele Taubes für einen Scharlatan halten, liegt darin, dass er der Gegentypus zum klassischen Gelehrten war. Denn von einem Gelehrten erwartet man vor allem eines nicht: dass er fasziniert. Doch dass Taubes ein Faszinosum war, haben auch seine größten Feinde nicht bestritten.  Faszinierend waren seine Geistesgegenwart und Autorität in Diskussionen, seine Freude an messerscharfer Kritik und seine Fähigkeit, spontan geistesgeschichtliche Bezüge über Jahrhunderte hinweg herzustellen. Dass er sich für den linksextremen Walter Benjamin begeisterte, war im intellektuellen Klima der FU Berlin jener Zeit nichts Ungewöhnliches; wohl aber, dass er sich mit gleicher Intensität um das Werk des rechtsextremen Carl Schmitt bemühte.

Man kann sich das so erklären: Taubes war ein Linksextremer, aber nicht, weil er ein Linker war, sondern weil er ein Apokalyptiker war. Und deshalb hatte er auch keine Probleme, sich Rechtsextremen zu widmen. Carl Schmitt war für ihn der Apokalyptiker von der anderen Seite. Und beide waren sich einig in der Verachtung des Liberalismus und der Mittelmäßigkeit. Bekanntlich hat sich Jacob Taubes vor allem in seinen letzten Lebensjahren mit Paulus identifiziert – und zwar mit einem antinomistischen Paulus. Gegen das Gesetz zu sein, immer extrem, niemals konsequent, immer radikal, niemals konsistent – das war sein Denk- und Lebensstil.

Der Autor ist Philosoph und Medienexperte.

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