Der chinesische Technologiekonzern Bytedance hat seine beliebte Kurzvideo-App TikTok genutzt, um Aufenthaltsorte US-amerikanischer Journalisten zu überwachen. Das hat das Unternehmen jüngst nach internen Ermittlungen bekanntgegeben, wie zuerst das US-Wirtschaftsportal „Forbes“ berichtete. Hochrangige TikTok-Mitarbeiter hatten sich Zugang zu den IP-Adressen von Journalisten verschafft, um ihre Aufenthaltsorte mit denen von Angestellten des Unternehmens zu vergleichen. Laut „Forbes“ sollten so undichte Stellen im Unternehmen ausgemacht werden, die für die kritische US-Berichterstattung über TikTok der letzten Monate verantwortlich gemacht wurden.
Überwachung beginnt im Juni
Begonnen haben soll die intern „Project Raven“ genannte Überwachungsaktion nach der Veröffentlichung eines Berichts von „BuzzFeed News“ im Juni. Damals hatte die Journalistin Emily Baker-White Zugang zu Aufzeichnungen interner Meetings von TikTok-Mitarbeitern erhalten. Diese zeigten, dass die App – entgegen aller Beteuerungen seitens Bytedance gegenüber dem US-Senat – sehr wohl auf private Daten von US-Bürgern zugreifen konnte. Betroffen von der Überwachung durch TikTok-Mitarbeiter waren mit Emily Baker-White, Katharine Schwab und Richard Nieva drei zuvor für „BuzzFeed News“ und inzwischen für „Forbes“ schreibende US-Journalisten. Baker-White hatte zudem erst kürzlich in einem „Forbes“-Artikel anhand einer Recherche im Karriereportal LinkedIn nachgewiesen, dass knapp 3.000 Bytedance-Mitarbeiter in der Vergangenheit für chinesischen Staatsmedien gearbeitet haben oder dies sogar nach wie vor tun.
Bei den beteiligten TikTok-Mitarbeitern soll es sich einerseits um den Datenschutzbeauftragten und Sicherheitschef des Unternehmens und andererseits um einen Leiter der weltweiten Legal Compliance gehandelt haben. Chinesische TikTok-Mitarbeiter sollen von der Überwachung gewusst haben. In einer internen Mail, die „Forbes“ vorliegt, zeigte sich TikTok-CEO Rubo Liang „zutiefst enttäuscht“ von dem Vorgehen seiner Mitarbeiter. Das öffentliche Vertrauen, welches das Unternehmen mit großem Aufwand aufgebaut haben, werde durch das Fehlverhalten „einiger weniger Personen“ erheblich untergraben. „Ich glaube, diese Situation wird uns allen als Lehre dienen“, schließt Liang. Die Eingeständnisse des Konzerns und seines CEOs stellen dabei eine kommunikative Kehrtwende dar.
Kehrtwende in der Kommunikation
Pber die Überwachung berichtet hatte „Forbes“ bereits im Oktober. Damals dementierten weder Bytedance noch TikTok die Existenz solcher Praktiken gegenüber dem Wirtschaftsmedium. Stattdessen wiegelte die Kommunikationsabteilung TikToks auf Twitter ab: „TikTok wurde nie benutzt, um Mitglieder der US-Regierung, Aktivisten, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens oder Journalisten ins Visier zu nehmen.“ Das für „interne Audits“ zuständige Team folge „festgelegten Richtlinien und Prozessen, um an Informationen zu gelangen, die es zur Durchführung interner Untersuchungen von Verstößen gegen den Verhaltenskodex des Unternehmens“ benötigen würde. „Jegliche Nutzung von Ressourcen auf die von Forbes behauptet Weise, wäre ein Grund für die sofortige Entlassung von Mitarbeitern“, twitterte die TikTok-Kommuniktionsabteilung. Inzwischen sollen vier an „Project Raven“ beteiligte Mitarbeiter das Unternehmen verlassen haben oder gekündigt worden sein.
In den USA steht die Social-Video-App aufgrund von Datenschutz- und Spionagebedenken schon seit Jahren im Fokus der öffentlichen Kritik. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump strebte sogar ein Verbot TikToks an, das dann aber gerichtlich gestoppt wurde. Unter seinem Nachfolger Joe Biden hatte sich die US-Regierung zwar anfänglich um eine Entspannung des Verhältnisses bemüht. Jüngst hat der US-Kongress mit dem „No TikTok on Government Devices Act“ jedoch ein Verbot der App auf Behördengeräten verabschiedet. Bislang waren nur 16 republikanisch regierte Bundesstaaten diesen Schritt gegangen. Infolge des aktuellen Überwachungsskandals äußerten jedoch auch zahlreiche demokratische US-Politiker scharfe Kritik an TikTok. Nicht nur deshalb erscheint ein bundesweites Verbot der App in den USA inzwischen denkbar.
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