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Mit dem Teufel im Bunde?

Selbstfindung im Genderparadies: Deutscher Buchpreis für Kim de l'Horizon. Ein Kommentar.
Deutscher Buchpreis 2022 - Kim de l'Horizon
Foto: Arne Dedert (dpa) | Kim de l'Horizon rasiert sich nach der Auszeichnung mit dem Deutschen Buchpreises 2022 im Frankfurter Römer die Haare ab.

Die letzten drei Ziffern der Zahl 2.666 stehen gemäß der „Offenbarung des Johannes“ für das große Tier oder den Antichristen. Dass der DuMont-Buchverlag genau die Zahl 2.666 als Geburtsdatum des am Montag gewählten neuen Trägers des Deutschen Buchpreises, Kim de l'Horizon angibt, kann kein Zufall sein. Denn l'Horizon denkt unter dem Primat des Körpers. Der Philosoph Schelling hat es einmal als Perversion bezeichnet, von der körperlichen Natur her zum Geist hin zu denken, anstatt vom Geist zur Natur hin.

Heute ist es in, sich klein zu machen

In dieser Umkehrung der Verhältnisse versteht sich auch der neue Buchpreisträger, den die Jury für seinen Debütroman „Blutbuch“ geehrt hat. In der Begründung der Jury heißt es, „Welche Narrative gibt es für einen Körper, der sich den herkömmlichen Vorstellungen von Geschlecht entzieht? Fixpunkt des Erzählens ist die eigene Großmutter, die ,Großmeer‘ im Berndeutschen, in deren Ozean das Kind Kim zu ertrinken drohte und aus dem es sich jetzt schreibend freischwimmt.“ Und die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs, hob hervor, dass in dem Roman eine non-binäre Person nach der eigenen Sprache suche. 

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Wer an die gesellschaftlichen Ränder geht, gewinnt. Heute ist es in, sich klein zu machen, aber dadurch Macht auszuüben. So erzählt der 26-jährige Ich-Erzähler zu Beginn, dass er an seinem Schreibtisch in Zürich sitzt (der 1992 geborene Kim de l'Horizon ist Schweizer), die schwitzenden Jogger auf der Straße sieht. „Ich jogge nicht. Ich sitze hier und kaue meine Fingernägel, trotz des Ecrinal-Bitternagellacks, ich kaue, bis der weiße Rand abgekaut ist und noch weiter.“

Ein extremer Versuch, das Ich in Gendervielheit aufzulösen

Aus dieser geschlechtslosen Kindersicht, Opfersicht – man ist an den Blechtrommler von Grass erinnert – geht der Bewusstseinsstrom weiter, wie er von einem kurzen Aufenthalt draußen wieder heimkehrt, „Samen noch in und Geruch von fremdem Mann an mir, ein warmes Gefühl in meiner Mitte, dass mich für die Dauer des Heimwegs auffüllt. Hier gehe ich aufs Klo, rasiere mich wieder, Achseln, Beine, Scham...“ Und so geht es schamlos weiter.

Mit diesem Kabinett von lauter Non-binaritäten versucht der Autor seine nicht bewältigte Kindheit in den Griff zu bekommen und versucht nun spätpubertär ein misslungenes Ego rüberzubringen. So auch bei der Preisverleihung, wo er mit Brusthaaren und doch als Frau verkleidet auftrat, mit an Émile Zolas „Nana“ erinnernden grünglänzendem Rock, durchsichtigem violetten Oberteil mit viel Plüsch davor sowie mit High Heels.  

2.666 liegt in der Zukunft, und für diese Zukunft wünscht man sich die gesellschaftliche Gesamtrealität, die heute noch Einzelne vertreten, über die aber schon Konsens herrscht. Nach dem Literaturnobelpreis in Sachen Abtreibungsbefürwortung nun der Buchpreis für den extremsten Versuch, das Ich in Gendervielheit aufzulösen. Damit ist das Kernprogramm für die Zukunft prämiert.

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