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Die katholische Kirche im Nationalsozialismus

Wenn heute und in den vergangenen Jahren das Verhalten der katholischen Kirche während des Nationalsozialismus geschildert wird, spielt da mehr mit als bloß historisches Interesse: Ein Versagen der Kirche damals oder gar Kumpanei mit dem Nationalsozialismus festzustellen, soll die Kirche über den Umweg der Geschichte als geistige und moralische Instanz der Gegenwart in ein zweifelhaftes Licht tauchen.
Pius XII.
Foto: Piper | Papst Pius XII. hat die Handlungsfreiheit der Katholiken im Widerstand gestärkt.

Wenn heute und in den vergangenen Jahren das Verhalten der katholischen Kirche während des Nationalsozialismus geschildert wird, spielt da mehr mit als bloß historisches Interesse: Ein Versagen der Kirche damals oder gar Kumpanei mit dem Nationalsozialismus festzustellen, soll die Kirche über den Umweg der Geschichte als geistige und moralische Instanz der Gegenwart in ein zweifelhaftes Licht tauchen. Die Namen derjenigen, die das tun, sind hinlänglich bekannt: Rolf Hochhuth, Daniel Jonah Goldhagen ("Die katholische Kirche und der Holocaust") oder John Cornwell ("Hitlers Papst") stehen für viele. 

Hat die katholische Kirche  versagt?

Dagegen wehrt sich die katholische Kirche auf akademische Weise: Quelleneditionen, Monographien, Dissertationen, Habilitationen und Gesamtdarstellungen sind erschienen, die das Phänomen bis ins letzte Detail aufdröseln, und die in der professionellen, seriös arbeitenden Historik Anerkennung gefunden haben. Sie haben viele in der Bestsellerliteratur lieb gewordene Vorurteile und bewusste Verfälschungen kirchlichen Verhaltens während des Nationalismus entkräftet.

Was bisher gefehlt hat, ist jedoch ein handliches Kompendium, das einer breiten interessierten Leserschicht zugänglich ist, und in knapper Weise Argumente für die alltägliche Auseinandersetzung mit kirchenkritischen und kirchenfeindlichen Positionen der jüngeren Zeitgeschichtsschreibung an die Hand gibt. Diese Lücke hat nun fundiert der Priester Gerhard Senninger mit seinem Kompendium "Glaubenszeugen oder Versager? Katholische Kirche und Nationalsozialismus. Fakten - Kritik - Würdigung" geschlossen.

Das chronologische Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Nationalsozialismus

Plausibel zeichnet der 1931 in einem katholischen, gegenüber dem Nationalsozialismus äußerst reservierten und immunisierten Milieu geborene Autor die Geschichte des Verhältnisses von katholischer Kirche und Nationalsozialismus nach. Er zeigt, wie vor 1930 die Kirche der Bewegung Hitlers und seiner Partei als Splitterpartei wenig Beachtung schenkt, dann nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 bis zum so genannten "Röhm-Putsch" ein Jahr später zwischen Hoffnung, Illusion und Sorge mit der nun einmal installierten, rechtmäßigen Regierung zusammenarbeiten will, um danach desillusioniert im offenen Kampf gegen den nationalsozialistischen Staat zu stehen, der die Kirche unterwerfen will.

Die Zeit des Zweiten Weltkrieges selbst zwischen 1939 und 1945 deutet Senninger schließlich als die Phase, in der die Kirche im Spannungsfeld zwischen Patriotismus und Abwehr der oft blutigen Unterdrückung durch die Diktatur agieren muss. An Senningers Kompendium überzeugt besonders, dass er versucht, die damaligen Entscheidungen immer aus der Brille der damaligen Zeitgenossen mit dem ihnen damals zur Verfügung stehenden Wissen zu beurteilen - und nicht mit dem Wissen, über das wir heute aus der Rückschau verfügen. Kritische und moralisierende Urteile über das Verhalten der Kirche damals sind sich dieser perspektivischen Verzerrung oft gar nicht bewusst und argumentieren höchst unhistorisch und ohne jedes hermeneutische Fingerspitzengefühl - oder benutzen sogar diese gleichsam optische Täuschung bewusst als Stilmittel, um Stimmung gegen die Kirche zu machen. Dies wird in der zukünftigen Publizistik und Geschichtsschreibung zu diesem Thema besonders dann wichtig werden, wenn an die Kirche von den jungen Generationen immer wieder die Frage gestellt werden wird, warum sie denn Hitler und den Nationalsozialismus nicht verhindert habe - und die in der Bundesrepublik sozialisierten Erwachsenen den jungen Generationen immer wieder suggerieren werden, dass die Kirche "zu wenig" getan, ja sich möglicherweise sogar der Steigbügelhalterei schuldig gemacht habe.

So lässt Senninger die Geschichte, um die Zeit zwischen 1933 und 1945 einigermaßen zu verstehen, mit der Säkularisation 1803 beginnen - als also die katholische Kirche mit der Hilfe Napoleons in Deutschland von den deutschen Fürsten zu zwei Dritteln enteignet wurde, katholische Klöster, Schulen, Kranken- und Waisenhäuser oder Universitäten geschlossen wurden. Die Folge seien der "kulturelle und wirtschaftliche Abstieg des katholischen Deutschland" gewesen, die "Anfänge des katholischen Bildungsdefizits", die gesellschaftliche Benachteiligung und Entfremdung von der Politik, weil, außer in Bayern und Österreich, die deutschen Katholiken unter die Kuratel protestantischer Landesfürsten gerieten. Dazu kamen nach der Reichsbildung 1870/71 der Kulturkampf Bismarcks gegen die katholische Kirche, der Vorwurf der "ultramontanen Gesinnung", also der Vorwurf der nationalen Unzuverlässigkeit an die Adresse der katholischen Minderheit im deutschen Reich durch die protestantische Bevölkerungsmehrheit. Mit der Folge, so Senninger: "Die katholischen Abgeordneten im deutschen Reichstag wollten sich künftig an nationaler Gesinnung von niemand übertreffen lassen."

Warum konnte die katholische Kirche den Nationalsozialismus vor 1933 nicht verhindern?

Das ist auch in der Weimarer Republik die vorherrschende mentale Disposition, mit der der politische Katholizismus die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus aufnehmen musste, der seinerseits für sich das Monopol des Nationalen und der preußischen Tradition für sich in Anspruch nahm - siehe etwa der Tag von Potsdam 1933. Dann stand den Katholiken in Deutschland zwischen 1917 und 1933 nicht der Holocaust der Nationalsozialisten vor Augen, weil es den damals noch nicht gab, sondern in unzähligen Radioreportagen, Presseartikeln und später auch Wochenschauen die real existierende Unterdrückung der Menschen in der damaligen Sowjetunion. Selbst das Unrecht im damaligen faschistischen Italien erreichte nicht die totalitäre Dimension, wie sie die damaligen Zeitgenossen in der Sowjetunion wahrnahmen. Der blutige Terror der Bolschewiken vor allem gegen die Religion in den zwanziger und dreißiger Jahren beunruhigte die Menschen, er war damals eine überall nachzulesende und mitzuverfolgende Realität - und eben nicht die erst später einsetzenden Verbrechen des Nationalsozialismus. Diese schlichte Tatsache wird bei der heutigen Beurteilung des damaligen Tuns manchmal einfach übersehen - das klar zu sagen, ist einer der Verdienste des Kompendiums Senningers. 

In einem apostolischen Schreiben vom 2. Februar 1930 etwa rief Papst Pius XII. das Weltgewissen zum Protest auf gegen die "schrecklichen, sakrilegischen Verbrechen wider Gott und die Seelen, die Tag für Tag in Russland begangen werden." Vergebens. Die katholische Kirche in Deutschland, die ja auch immer Teil der Weltkirche war, rezipierte dann vor 1930 auch aufmerksam, wie zum Beispiel in Mexiko oder Spanien die Kirche von sozialistischen Bewegungen unterdrückt wurde, zahllose Morde an Laien, Priestern und Ordensleuten geschahen. Für den katholischen Zeitgenossen bis 1933 war also vor allem die Bedrohung durch kommunistische Regime medial als Realität vermittelt gewesen, dies beschäftigte ihn, und die Frage, wie dies in Deutschland verhindert werden konnte, wo ja während der Weimarer Republik die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) sich alles andere als kirchen- oder demokratiefreundlich aufführte. Dass sich der Nationalsozialismus dieser Furcht vor dem Bolschewismus, der ja für die Menschen damals Tagesthema gewesen war, bedient hat - ist dies der katholischen Kirche anzulasten, die sich ja mit dem nationalsozialistischen Antibolschewismus nicht gemein gemacht hat? Senninger zeigt also, dass die aus heutiger Sicht gestellte Frage, warum die Kirche den Nationalsozialismus vor 1933 nicht verhindert habe, höchst unhistorisch und geradezu falsch gestellt ist und nur zu falschen Antworten führen kann. Das neue Kompendium kann zu neuen ernsthaften Debatten um die Rolle der Kirche während des Nationalsozialismus führen, auch für die Zeit nach 1933. Es ist zu wünschen, dass es in der katholischen Schul-, Jugend- und Bildungsarbeit breiten Eingang findet.

Autor: VON JOHANNES SEIBEL

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