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Janusz Korczak ging mit seinen Schützlingen in den Tod

„Märtyrer und Opfer des Faschismus“: Zum 80. Todestag des polnischen Arztes und Kinderbuchautors Janusz Korczak.
Janusz Korczak, Arzt, Pädagoge und Schriftsteller
Foto: Janusz-Korczak-Haus Münster | Der Arzt, Pädagoge und Schriftsteller Janusz Korczak (eigentlich Henryk Goldszmit) als Direktor eines Waisenhauses in Warschau.

Warschau, 6. August 1942. Das Ghetto wird „geräumt“. Unter den Menschen, die nun deportiert werden, befinden sich auch die Kinder aus dem Waisenhaus. Der Kinderarzt Janusz Korczak schlägt alle ihm angebotenen Möglichkeiten zur Flucht aus. Er führt „seine“ Kinder zum Zug in das Vernichtungslager Treblinka.

Zusammen mit seiner Mitarbeiterin Stefania Wilczyńska geht der Leiter des jüdischen Waisenhauses „Dom Sierot“ den etwa 200 Kindern voran. Am Danziger Bahnhof besteigen sie den Zug, der sie ins rund 90 Kilometer entfernte Vernichtungslager bringen soll.

„Seine Tat ist ein ungeheuer starkes Symbol der Menschlichkeit,
vergleichbar etwa der des Franziskaner-Paters Maximilian Kolbe,
der in Auschwitz anstelle eines Familienvaters in den Tod ging.“

Irena Sendler, die selbst im Ghetto als Krankenschwester tätig war und etwa 2 500 Kinder aus dem Ghetto persönlich holte, schrieb darüber: „Er ging aufrecht, mit maskenhaftem Gesicht, scheinbar gelassen. Er führte diese tragische Prozession an. Das jüngste Kind wurde von ihm auf dem Arm gehalten, das andere an der Hand.“

Vermutlich noch am selben Tag wurde Janusz Korczak zusammen mit seinen Schützlingen in Treblinka ermordet. Der offizielle Sterbetag ist allerdings der 7. August.

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Bekannt vor allem unter Pseudonym

Der als Arzt, Schriftsteller und Pädagoge bekannte Janusz Korczak wurde 1878 als Henryk Goldszmit in Warschau im Schoß einer jüdisch-polnischen Familie geboren. Sein Vater Josef war Rechtsanwalt. Im Jahre 1898 gewinnt Henryk den literarischen Jan-Ignacy-Paderewski-Wettbewerb unter dem Pseudonym „Janusz Korczak“, das er sein Leben lang beibehalten sollte. Nach Abschluss seines Medizinstudiums arbeitet er ab 1906 als Arzt in einer Warschauer Kinderklinik.

Im Jahre 1912 übernimmt Korczak die Leitung des nach seinen Plänen gebauten jüdischen Waisenhauses „Dom Sierot“ („Haus der Waisen“) in Warschau. Hier setzt er seine revolutionären pädagogischen Ideen um: Er gründet ein Kinderparlament und ein Kindergericht. Darüber hinaus ruft er eine Kinderzeitung ins Leben, die als Beilage einer Tageszeitung zehntausende Leser erreicht. Für sein Anliegen wirbt er in pädagogischen Schriften, als Dozent an der Universität und in einer eigenen Radiosendung.

Humanistische Gesinnung prägte sein ganzes Leben

Sein Prinzip der Kinder-Selbstverwaltung verarbeitet Korczak literarisch in seinem wohl bekanntesten Kinderbuch „Der kleine König Macius“ (1923). Das Buch erzählt davon, wie ein Achtjähriger nach dem Tod seines Vaters auf den Thron kommt. Allerdings muss sich Macius gegen den bösen, kriegslustigen General wehren, der selbst die Macht an sich reißen will. Gut, dass er auf seine besten Freunde Felix, Hanna und Anton zählen kann. Ein Kinderparlament, das die Gründung eines Zoos beschließt, und die Reise in die Wildnis, um Tiere zu beschaffen, gehören auch zur Story.

Hier und in „König Macius auf der einsamen Insel“ entwirft Korczak eine Parabel auf den Kampf des Menschen um seine eigene Entwicklung sowie für die Reformierung der Welt und eine Erneuerung der Beziehung zwischen den Generationen. Bereits zu Lebzeiten erwirbt sich Korczak einen internationalen Ruf durch literarische Tätigkeit, die in der Werkausgabe im Gütersloher Verlagshaus 16 Bände umfasst. Dazu wurde Janusz Korczak ein Pionier der Rundfunkliteratur.

Voller Einsatz für die Kinder 

Als 1939 die deutschen Truppen in Polen einfallen, Bleibt Korczak in Warschau. Nach der Errichtung des Warschauer Ghettos zieht er mit „seinen“ 200 Waisenkindern aus „Dom Sierot“ dorthin. Korczak geht für seine Kinder betteln, sammelt Holz und Nahrungsmittel.

Denn auch und gerade für Kinder herrscht im Ghetto Hunger. In seinem Tagebuch, das im Mai 1942 begann, erwähnt der Arzt und Pädagoge den ständigen Kampf um Medikamente und Lebensmittel für die Waisenkinder. Trotz der Umstände versucht er, den Kindern ein Gefühl für Gerechtigkeit und Toleranz zu vermitteln. Er organisiert besondere Unterrichtseinheiten, Konzerte und Aufführungen.

Im kommunistischen Polen galt Janusz Korczak offiziell als „Märtyrer und Opfer des Faschismus“. Er wurde als linker Vertreter der „Kollektiverziehung“ vereinnahmt. Historiker Jochen Böhler: „Seine Tat ist ein ungeheuer starkes Symbol der Menschlichkeit, vergleichbar etwa der des Franziskaner-Paters Maximilian Kolbe, der in Auschwitz anstelle eines Familienvaters in den Tod ging.“

Eine idealisierende Bildsprache im Film

In seinem Tagebuch hatte Janusz Korczak am 4. August 1942 geschrieben: „Ich wünsche niemandem etwas Böses. – Ich kann das nicht. Ich weiß nicht, wie man das macht.“ Diese zutiefst humanistische Gesinnung prägte sein ganzes Leben.

Ein filmisches Denkmal setzte ihm der polnische Alt-Meister Andrzey Wajda in „Korczak“(1990). Die Filmbiographie zeichnet Korczak als einen Menschen, der sich für seine Schutzbefohlenen opfert. Zutiefst von seiner katholischen Erziehung geprägt, beschreibt Andrzey Wajda den Opfergang des Warschauer Reformpädagogen als Martyrium im christlichen Sinne. Die Idealisierung Korczak, das Erhobenwerden seines Opferganges in eine „Heiligenlegende“ wird insbesondere in der letzte Szene deutlich, die als Traumbild oder eben als Wunder dargestellt wird: Die mit einer sakral-ähnlichen Musik unterlegten, durch Überbelichtung in ein unwirklich helles Licht getauchten und in Zeitlupe wiedergegebenen Bilder der aus dem Viehwaggon springenden, dann in eine vom Nebel umgebende Landschaft verschwindenden Kinder deuten auf eine Überhöhung, auf eine Vision hin – aber auch auf die Erfüllung im jenseitigen Leben.

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