Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Filmrezension

„We Live in Time“: „Love Story“ für das digitale Zeitalter

John Crowley verschmilzt in „We Live in Time“ Beziehungsromanze und Krankheitsdrama zu einem bewegenden Melodram, das jeden Hauch von Kitsch vermeidet.
We Live in Time
Foto: Studiocanal | Die Diagnose von Almuts (Florence Pugh) tödlicher Erkrankung stellt sie und ihren Mann Tobias (Andrew Garfield) vor existenzielle Entscheidungen. Wie erklärt man einer kleinen Tochter das Unbegreifliche?

Als „Love Story" Anfang der 1970er Jahre in die Kinos kam, eroberte Arthur Hillers Film die Herzen eines Millionenpublikums. Die ergreifende Geschichte einer großen Liebe im Schatten von Krankheit und Tod berührte nicht nur durch Francis Lais unvergessliche Filmmusik die Zuschauer, sondern entwickelte sich zu einem der kommerziell erfolgreichsten Werke der Filmgeschichte.

Schwerwiegende Diagnose wirft existenzielle Fragen auf

John Crowleys „We Live in Time“ erzählt eine zeitgenössische Variation dieser zeitlosen Thematik. Im Zentrum steht die lebenslustige Almut (Florence Pugh), deren Diagnose – Eierstockkrebs im fortgeschrittenen Stadium – das Leben mit ihrem Mann Tobias (Andrew Garfield) erschüttert. Das Paar sieht sich mit existenziellen Fragen konfrontiert: Soll Almut sich einer aufreibenden Therapie mit ungewissem Ausgang unterziehen oder die verbleibende Zeit intensiv mit ihrer Familie verbringen? Wie vermittelt man einer Tochter im Grundschulalter die erschütternde Wahrheit? Almuts pragmatischer, wenn auch makabrer Vorschlag, einen bereits betagten Hund zu adoptieren, um ihre Tochter behutsam auf den kommenden Verlust vorzubereiten, offenbart ihren charakteristischen schwarzen Humor.

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Crowleys Inszenierung bricht mit der klassischen linearen Erzählstruktur. In kunstvoll arrangierten Rückblenden und Zeitsprüngen entfaltet sich die Liebesgeschichte wie ein vielschichtiges Mosaik. Diese fragmentarische Erzählweise, die zwischen den ersten zarten Begegnungen und den tiefgründigen Momenten einer gereiften Beziehung oszilliert, verleiht dem Film eine fast traumhafte Dimension. Das erste Zusammentreffen von Almut und Tobias zitiert augenzwinkernd Konventionen der romantischen Komödie: Sie fährt ihn versehentlich an, während er, nur mit Bademantel bekleidet und Schokokekse als einzige Habseligkeit, durch nächtliche Straßen streift. Diese skurrile Begegnung wird durch ihre kontrastierenden beruflichen Welten – sie als innovative Köchin britisch-bayerischer Fusionsküche, er als Produktmanager für Frühstückscerealien – zu einer perfekten Ausgangssituation für ein modernes Filmdrama.

Doch Crowley geht über gängige Genreerwartungen mit erzählerischer Leichtigkeit hinweg. Mit bemerkenswerter narrativer Eleganz balanciert er zwischen humorvollen Momenten und erschütternder Tragik. Florence Pugh verkörpert Almut mit einer mitreißenden Vitalität, während Andrew Garfield als Tobias dem Film emotionale Tiefe verleiht. Ihr nuanciertes Zusammenspiel trägt die Geschichte mit Authentizität.

Momente zwischen Liebe, Verlust und unerschütterlicher Hoffnung

Die zweite Filmhälfte intensiviert die dramatische Spannung: Almut, bereits von der Krankheit gezeichnet, entscheidet sich ohne Tobias' Einverständnis zur Teilnahme an einem prestigeträchtigen Kochwettbewerb. Die mosaikartige Struktur des Films, die einzelne Erinnerungsfragmente zu einem komplexen Gesamtbild fügt, verleiht dem Werk jedoch seine besondere Strahlkraft. Statt das Publikum durch vorhersehbare Handlungsmuster zu führen, lädt Crowley ein, in Momenten zu verweilen, die von Liebe, Verlust und unerschütterlicher Hoffnung erzählen.

Drama, das unter die Haut geht

Die Chemie zwischen Pugh und Garfield bildet das Herz des Films. Sie verkörpern die emotionale Achterbahnfahrt ihrer Beziehung mit einer Intensität, die unmittelbar unter die Haut geht. Durch ihre Darstellung gewinnt die zentrale Botschaft des Films – die Kostbarkeit des gegenwärtigen Moments – eine erschütternde Resonanz.

Trotz der schweren Thematik strahlt „We Live in Time“ eine zutiefst menschliche Wärme aus, die durch Stuart Bentleys atmosphärische Bildsprache noch verstärkt wird. Nick Paynes pointierte Dialoge und die innovative Erzählstruktur bewahren den Film vor sentimentaler Überfrachtung. Es entsteht ein präzise austariertes Werk, das das Leben in all seinen Schattierungen zelebriert – vom ersten Lächeln bis zum finalen Abschied.

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