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Ist das wirklich der American Dream?

Vor 100 Jahren erschien „The Great Gatsby“. Der Autor F. Scott Fitzgerald blickt darin hinter die glänzende Fassade eines Lebens, das wie der Inbegriff des amerikanischen Traums wirkt.
The Great Gatsby (1974)
Foto: Imago/Cover-Images (www.imago-images.de) | Robert Redford als der "große Gatsby" in der Romanverfilmung von 1974.

Die Roaring Twenties, die Goldenen Zwanziger, waren die unbeschwerten Jahre zwischen den Weltkriegen. Vom Crash der Wall Street, der gigantische Vermögen vernichten und die Welt in eine historische Wirtschaftskrise stürzen wird, ahnt man noch nichts. Selbst die Prohibition in den USA verdirbt die Feierlaune nicht, wirtschaftlicher, kultureller und gesellschaftlicher Aufschwung gehen Hand in Hand. Der Roman „The Great Gatsby“ des US-amerikanischen Schriftstellers F. Scott Fitzgerald (1896 bis 1940) ist das literarische Zeugnis dieser wilden Zeit und einer der bekanntesten Romane der Weltliteratur. Am 10. April 1925 erstmals erschienen, wurde „The Great Gatsby“, der oft als „der große amerikanische Roman“ bezeichnet wird, bislang mehr als 30 Millionen Mal verkauft. Zwei Verfilmungen (1974 mit Robert Redford, 2013 mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle als Jay Gatsby) haben ihr Übriges für die Bekanntheit der Geschichte getan, die es anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Veröffentlichung wiederzuentdecken lohnt.

Gatsbys Vermögen stammt aus Alkoholschmuggel

Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Nick Carraway, einem jungen Mann aus Minnesota, der im Sommer 1922 nach Long Island zieht. Er mietet ein kleines Haus in West Egg, in unmittelbarer Nähe zur Villa des geheimnisvollen und überaus reichen Jay Gatsby. Gatsby ist berüchtigt für seine prachtvollen Partys, zu denen halb New York erscheint, obwohl kaum jemand ihn persönlich kennt. Im Zentrum der Handlung steht Gatsbys unerfüllte Liebe zu Daisy Buchanan, Nicks Cousine, die inzwischen mit dem wohlhabenden, arroganten Tom Buchanan verheiratet ist. Gatsby hat in jungen Jahren eine romantische Beziehung zu Daisy gehabt und strebt nun danach, sie zurückzugewinnen.

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Nick wird in Gatsbys Plan hineingezogen: Er arrangiert ein Wiedersehen zwischen Gatsby und Daisy. Zunächst flammt ihre alte Liebe wieder auf, doch es wird schnell klar, dass die Zeit nicht zurückgedreht werden kann. In einer dramatischen Auseinandersetzung zwischen Gatsby und Tom enthüllt Tom Gatsbys zwielichtige Herkunft – sein Vermögen stammt aus Alkoholschmuggel. In der Folge kommt es zu einer tragischen Verkettung von Ereignissen, die in Tod und Zerstörung münden. Am Ende verlässt Nick, desillusioniert von der Skrupellosigkeit und Oberflächlichkeit der wohlhabenden Gesellschaft, Long Island und kehrt in den Westen zurück.

Die Vergangenheit lässt sich nicht wiederholen

Auch wenn „The Great Gatsby“ auf den ersten Blick als eine tragische Liebesgeschichte erscheint, ist der Roman viel mehr als das: Er ist eine vielschichtige Analyse des amerikanischen Traums und seiner Zersetzung. Gatsby verkörpert zwar den Traum vom gesellschaftlichen Aufstieg und persönlichem Glück, doch seine Träume sind auf Täuschung und Betrug gebaut, und die Realität zerstört sie. Der Roman ist auch ein Sittenbild gesellschaftlicher Dekadenz. Die „alten“ reichen Familien wie die Buchanans und die „neuen Reichen“ wie Gatsby sind gleichermaßen moralisch bankrott, die feine Gesellschaft als Ganzes wirkt leblos und selbstsüchtig. Daher thematisiert der Roman auch immer wieder Vergangenheit und Vergänglichkeit: Der Titelheld glaubt, dass man die Vergangenheit wiederholen könne („You can’t repeat the past? Why of course you can!“ – „Du kannst die Vergangenheit nicht wiederholen? Aber natürlich kannst du das!“), doch Fitzgerald zeigt, dass dies eine Illusion ist.

Der Autor selbst war geprägt von den Exzessen dieser Zeit: Alkohol, ausschweifende Partys und ein extravagantes Leben mit seiner Ehefrau Zelda Sayre, einer ebenso schillernden wie psychisch instabilen Persönlichkeit. Fitzgeralds eigenes Leben beinhaltete die Dekadenz und Zerrissenheit, die er in „The Great Gatsby“ literarisch verarbeitete. Nicht umsonst gilt er als Chronist der Roaring Twenties, die wegen der Bedeutung der Jazz-Musik auch als „Jazz Age“ bezeichnet werden.

Roman war bei Erscheinen nur mäßig erfolgreich

Fitzgerald zeichnet ein düsteres Bild von einer Gesellschaft, in der materielle Werte an die Stelle von Idealen getreten sind, und geht mit seiner Zeit hart ins Gericht. Die Goldenen Zwanziger mögen eine goldene Fassade haben, aber man fühlt sich doch an William Shakespeare erinnert: „All that glitters is not gold“ – „Es ist nicht alles Gold, was glänzt.“ Gatsby scheint den amerikanischen Traum zu leben: sozialer Aufstieg, Reichtum, Macht, rauschende Feste – aber am Ende verliert er alles. Fitzgerald reflektiert in seinem Jahrhundertroman damit die Widersprüche des American Dream und die Schattenseiten des Strebens nach Glück, Erfolg und Reichtum in einer Konsumgesellschaft. Man möchte sagen: Wenn dies der amerikanische Traum ist, will man aus einem solchen Albtraum schnell wieder aufwachen.

Als „The Great Gatsby“ 1925 erschien, war der Roman zunächst nur mäßig erfolgreich. Manche lobten die Eleganz der Prosa, viele jedoch empfanden die Figuren als oberflächlich und die Geschichte als zu pessimistisch. Fitzgerald selbst war tief enttäuscht über die geringe Resonanz und die schlechten Verkaufszahlen. Erst in der Nachkriegszeit wurde „The Great Gatsby“ als einer der größten amerikanischen Romane erkannt. Die Themen Entfremdung, Verfall des amerikanischen Traums und soziale Ungleichheit sprachen nun stärker die Erfahrungen einer sich verändernden Gesellschaft an.

Warum „The Great Gatsby“ also neu entdecken? Im Zeitalter des Hedonismus und der Selbstinszenierung über die Sozialen Medien wirkt Fitzgeralds Kritik an der Oberflächlichkeit und Entfremdung aktueller denn je. Gatsby bleibt eine tragische Figur, deren unermüdliches Streben nach einem unerreichbaren Ideal universelle menschliche Sehnsüchte widerspiegelt. Und wen der Roman trotz dieser erschütternden Dramatik nicht berühren kann, der möge Baz Luhrmanns Oscar-prämierte Verfilmung anschauen: Leonardo DiCaprio spielt einen derart zerrissenen, trotz all seines Reichtums so tieftraurigen, weltmüden Gatsby, dass selbst hartgesottenen Zeitgenossen die Tränen kommen. Das muss Kunst in Zeiten ewiger Reizüberflutung erst einmal schaffen.

F. Scott Fitzgerald: Der große Gatsby, München: Manesse Verlag, 2025, 352 Seiten, gebunden, EUR 30,–

Der Rezensent ist Germanist und Prorektor der Allensbach Hochschule (Konstanz). Er ist als Publizist und Berater tätig.

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