Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung „Das Mädchen mit der Nadel“

Düsteres Meisterwerk über menschliche Abgründe und gesellschaftliche Zwänge

Mit einer düsteren Ästhetik, hervorragenden Darstellerinnen und einer eindringlichen Erzählweise präsentiert „Das Mädchen mit der Nadel“ eine Welt, in der Hoffnung oft nur ein trügerisches Versprechen ist – dennoch bleibt am Ende ein Funken Menschlichkeit.
Das Mädchen mit der Nadel
Foto: Mubi | In düsteren Schwarz-Weiß-Bildern, die an den deutschen Expressionismus der 1920er Jahre erinnern, erzählt „Das Mädchen mit der Nadel“ ein beklemmendes Drama um die junge Fabrikarbeiterin Karoline (Vic Carmen Sonne) ...

Das bewegende Drama „Das Mädchen mit der Nadel“ wurde beim polnischen Filmfestival Camerimage Ende November mit dem Hauptpreis „Goldenen Frosch“ ausgezeichnet.

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Es schafft mit beeindruckenden Schwarz-Weiß-Bildern eine beklemmende Atmosphäre für eine Welt, in der Träume zerbrechen, Frauen ums Überleben kämpfen und moralische Grauzonen zum Alltag gehören.

Kriminaldrama mit historischem Hintergrund

Der Film basiert lose auf dem berüchtigten Fall der dänischen Serienmörderin Dagmar Overbye, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine illegale Adoptionsagentur betrieb. Regisseur Magnus von Horn nutzt diesen historischen Hintergrund nicht nur für ein Kriminaldrama, sondern erzählt auch eine tiefere Geschichte: die von Karoline (Victoria Carmen Sonne), einer jungen Frau, die im Kopenhagen des Jahres 1919 gegen die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zwänge ihrer Zeit ankämpft.

Karoline verkörpert das Schicksal vieler Frauen dieser Ära. Ihr Mann ist im Ersten Weltkrieg verschollen, und ohne eine Todesurkunde bleibt ihr die Witwenrente verwehrt. Ihre Arbeit in einer Textilfabrik reicht kaum aus, und als sie schwanger wird, entlässt sie der Fabrikbesitzer Jørgen (Joachim Fjelstrup), mit dem sie zuvor eine Affäre hatte. Karoline steht vor dem Nichts – obdachlos, mittellos und verzweifelt.

In dieser ausweglosen Situation tritt Dagmar (Trine Dyrholm) in ihr Leben. Die Besitzerin eines kleinen Süßwarenladens bietet Karoline nicht nur Arbeit, sondern auch eine vermeintliche Lösung für ihr größtes Problem: Sie verspricht, das ungeborene Kind an wohlhabende Eltern zu vermitteln, die ihm eine bessere Zukunft ermöglichen können. Karoline nimmt das Angebot an und beginnt, in Dagmars Laden zu arbeiten. Doch hinter der freundlichen Fassade des Geschäfts verbirgt sich ein grausames Geheimnis, das Karolines Welt bald erschüttert.

Verstörende Bilder in Schwarz-Weiß

Von Horn eröffnet seinen Film mit verstörenden, expressionistischen Bildern: Verzerrte Gesichter, die sich in schreienden Fratzen auflösen, begleitet von einer unheilvollen Tonspur. Diese albtraumhafte Einführung setzt den Ton für ein Sittengemälde, das die Härte des Lebens im Nachkriegs-Kopenhagen eindringlich einfängt. Die düsteren Schwarz-Weiß-Bilder verstärken die trostlose Atmosphäre des Films. Sie erinnern an den deutschen expressionistischen Film und an historische Fotografien, die das harte Leben dieser Zeit dokumentieren, und verleihen der Geschichte eine bedrückende Authentizität. Besonders eindrucksvoll ist eine Szene, in der Arbeiter nach Schichtende aus den Toren der Textilfabrik strömen.

 

Die Stärke des Films liegt vor allem in der Darstellung seiner beiden Protagonistinnen. Victoria Carmen Sonne verleiht Karoline eine zähe, aber verletzliche Präsenz. Sie ist eine Frau, die trotz aller Widrigkeiten nie aufgibt und versucht, einen Ausweg aus ihrer misslichen Lage zu finden. Trine Dyrholm hingegen brilliert als Dagmar, deren charismatische und zugleich unheimliche Ausstrahlung den Zuschauer in ihren Bann zieht.

Modernes Erwachsenenmärchen

Regisseur Magnus von Horn beschreibt seinen Film als „modernes Märchen für Erwachsene“. Tatsächlich finden sich in der Geschichte archetypische Elemente: eine arme Frau, die auf einem Dachboden lebt, ein vermeintlicher Retter, der sich als feige entpuppt, und eine Hexe, die in einem Süßwarenladen ihre düsteren Machenschaften betreibt. Doch dieses Märchen bietet keine heile Welt. 

Einige dramaturgische Elemente, einschließlich des versöhnlichen Ausklangs, wirken allerdings aufgesetzt. Diese Schwächen werden jedoch durch die visuelle Kraft und die schauspielerischen Leistungen mehr als ausgeglichen.

„Das Mädchen mit der Nadel“ ist mehr als ein Kriminaldrama. Es ist ein erschütterndes Porträt einer Welt, in der moralische Grenzen verschwimmen, und auch ein Film, der zum Nachdenken über die Abtreibung anregt.

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