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„Asteroid City“: Große Langeweile auf höchstem ästhetischen Niveau

Wes Andersons neuer Film enttäuscht trotz imposantem Starensemble und zahlreicher Schauwerte.
Filmszene aus "Asteroid City"
Foto: IMAGO/Focus Features (www.imago-images.de) | Der neue Wes-Anderson-Film ist Kino der großen Langweile auf höchstem ästhetischen Niveau. Szene mit Wes Anderson, Jason Schwartzman und Tom Hanks.

Wo Wes Anderson draufsteht, ist auch Wes Anderson drin: Der 54-jährige US-amerikanische Filmemacher dreht seine Filme seit fast 30 Jahren als Produzent, Regisseur und Drehbuchautor in Personalunion und diese persönliche Handschrift merkt man jedem seiner Filme auch visuell an.
Ganz gleich ob „Moonrise Kingdom“, „The Grand Budapest Hotel“ oder „The French Dispatch“: Seine filmischen Werke haben allesamt einen sehr prägnanten und spezifischen Look, der sich oft in einem entrückten, pastellfarbenen Symmetrie-Stil zeigt und den Zuschauer in eine eigene, verrückte Welt entführt. Zudem gibt es allerhand staubtrockenen Humor, jede Menge immer wiederkehrender Stars, viele skurrile Außenseiter-Figuren sowie eine gewisse intellektuelle Strenge in der Bildgestaltung. Doch wovon handelt sein neuester Streifen, der ab dem 15. Juni in den deutschen Kinos läuft? 

Zurück in die 50er

Im Jahr 1955 reisen einige Astronomen, Schaulustige, Filmsternchen sowie Schüler mit ihren Eltern in die abgelegene amerikanische Wüstenstadt Asteroid City, wo vor 3.000 Jahren ein Asteroid eingeschlagen ist und einen mächtigen Krater hinterlassen hat. Viele der Besucher kommen aber auch, um an dem Junior-Stargazer-Kongress teilzunehmen, bei dem alljährlich ein Preis an die besten Nachwuchserfinder vergeben wird. 

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Im Mittelpunkt der Filmhandlung steht zunächst der Witwer und Atheist Augie Steenbeck (Jason Schwartzman), der seinen vier Kindern noch nicht gestanden hat, dass ihre Mutter schon vor drei Wochen verstorben ist. Als das Auto der Familie plötzlich eine Panne erleidet, stranden sie in Asteroid City und trauen ihren Augen nicht – denn während der Feierlichkeiten werden die Teilnehmer plötzlich Zeugen eines unglaublichen Ereignisses. Asteroid City wird darauf kurzerhand zu einer militärischen Sperrzone erklärt, mit strikter Quarantäne. Die sternbegeisterten Besucher werden auf einmal zu Gefangenen in der Kleinstadt, was wiederum einiges an zwischenmenschlichen Verwicklungen mit sich bringt. 

Visuell beeindruckend, aber überfrachtet

Natürlich erzählt Wes Anderson seine Geschichte nicht einfach so zeitlich linear wie andere Filmemacher. Stattdessen beginnt der Film mit einer alten TV-Sendung, die als Rahmenhandlung mit Hilfe eines Moderators einen Theaterautor dabei begleitet, wie er sein neuestes Stück (nämlich eben „Asteroid City“) schreibt und produziert. Dabei springt der Film immer wieder zwischen den im schwarz-weißen 4:3-Format gedrehten TV-Bildern und den pastellfarbenen Breitbildeinstellungen des „eigentlichen“ Films hin und her. Dabei kommt es auch vor, dass Sätze, die im Stück irgendwie keinen Sinn ergeben, noch mal mit dem Autor persönlich ausdiskutiert werden müssen. 

Das klingt kompliziert und ist es auch: Als Zuschauer verliert man vor lauter verschiedenen Erzählebenen, zahlreicher Darsteller und vieler Mini-Storys schnell den Überblick und wähnt sich in einem Film mit lauter bewegten Wimmelbildern. Das Drehbuch hat so viele kuriose Einfälle, dass neben dem Auto auch die Logik und das Erzähltempo notwendigerweise auf der Strecke bleiben. 

Auch die Stars können den Film nicht retten

Der neue Wes-Anderson-Film ist Kino der großen Langweile auf höchstem ästhetischen Niveau. Der Film hat zwar schlichtweg fantastische 1950er-Jahre-Sets zu bieten, ist aber trotz seiner opulenten Optik der wohl bislang distanzierteste Spielfilm des exzentrischen Regisseurs, da er beinah vollständig auf eine tiefere Handlung, Charakterentwicklung, Spannung und Emotionen verzichtet. Die unzusammenhängenden Story-Bruchstücke wollen einfach keine zusammenhängende Geschichte ergeben. 

Darüber kann auch das riesige,  stargespickte Darstellerensemble nicht hinwegtäuschen, das, wie es für Anderson Filme typisch ist, einmal mehr einige der prominentesten Stars versammelt, die Hollywood derzeit zu bieten hat: Tom Hanks, Scarlett Johansson, Tilda Swinton, Edward Norton, Adrien Brody, Margot Robbie, Willem Dafoe, Matt Dillon, Steve Carell, Jeff Goldblum, Jason Schwartzman und Bryan Cranston, um nur einige in dieser Schauspieler-Nabelschau zu nennen.

Manche Rollen sind sogar so klein, dass man sie eher als Cameo-Auftritt bezeichnen müsste. Und sobald einem eine der unzähligen Figuren ein klein wenig ans Herz gewachsen ist oder man begonnen hat, der Erzählung mit einem Hauch von Interesse zu folgen, flüchtet sich Anderson sofort in eine der vielen Rahmenhandlungen, in die der Film auf einer Meta-Ebene eingebettet ist. Die meisten Darsteller sind offenbar vornehmlich dazu da, damit auf dem Filmposter noch ein bekannter Name mehr in die eh schon obszön-prominente Besetzungsliste als Zugpferd hineingequetscht werden kann. 

Spannende Themen werden nicht ausgeschöpft

An der titelgebenden Mini-Stadt kann man sich vor lauter Detailliebe in der Ausstattung praktisch kaum satt sehen. Aber was Anderson und seine Superstar-Armada diesmal in diesen schicken Sets anstellen, ist streckenweise dennoch so trocken wie der Wüstensand, der Asteroid City umgibt. 
Eigentlich schade, denn der Film hat auch einiges an Potential, dass er aber leider zu wenig ausschöpft. So wird zum Beispiel erstaunlich viel gebetet: Es gibt ein Tischgebet und auch ein Reisegebet, dass jeweils sehr ehrlich und authentisch von einem Kind vorgetragen wird. Und selbst Tom Hanks darf ein Abschiedsgebet vor der Urne seiner Tochter sprechen.

Mehrmals kommen zudem Unterschiede zwischen Atheisten und Gläubigen zur Sprache: Wie erklärt man seinen eigenen Kindern, wo ihre verstorbene Mutter ist, wenn man an ein Leben nach dem Tod und damit ein Wiedersehen nicht glaubt? Was gibt dem Leben Hoffnung und trägt Menschen in ihrer Trauer? Der Verlust geliebter Menschen und der Versuch, ob als Gläubiger oder Atheist, mit der eigenen Sterblichkeit umzugehen, ist das große Thema von „Asteroid City“, aber es geht leider zu oft unter in einem rigorosen „Style over Substance“-Bilderrausch. 

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Norbert Fink

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