Die Fastenzeit lädt mich ein, es wieder einmal ernster mit der Gewissenserforschung zu nehmen. Älteren Semestern (wie mir) klingt noch Pink Floyd in den Ohren: „We don´t need no education, we don´t need no thought control!” Oh doch! We need. Aber wie? Die Regel lautet: erstens regelmäßig, zweitens kurz, drittens heftig. In der Lebenspraxis der Christen ist eine Gewissenserforschung einmal am Anfang einer Heiligen Messe vorgesehen (dort soll es eine kurze Stille geben, darauf das „Ich bekenne, ... dass ich gesündigt habe“), ein Reflex auf Jesu Forderung, nicht unversöhnt Liturgie zu feiern: „... versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe“ (Mt 5,24). Dann gibt es in geistlichen Gemeinschaften oft die Praxis eines kurzen Innehaltens am Mittag: Wo stehe ich gerade? Schließlich hat die Gewissenserforschung natürlich am Abend ihren Platz, wenn man Rückschau auf den Tag hält.
Sich nicht mit Selbstvorwürfen quälen
So regelmäßig sie sein soll, so kurz muss sie sein. Als Christ soll man sich nicht manisch mit seinen Sünden befassen – man käme an kein Ende, würde sich ewig nur mit Selbstvorwürfen quälen und klein machen. Man soll sich vor allem mit dem Lobpreis Gottes beschäftigen, ihm danken und ihn loben. Es gibt Christen, die eines Tages erschrocken feststellen, dass sich ihre Gebete nur um sie selbst drehen. Dafür sind Gebete nicht da. Gott kennt meine Bilanz; ich muss ihm nicht haarklein erklären, welch ein Loser ich bin und warum ich schon wieder ... Es langweilt ihn. Die Gewissenserforschung ist keine Infoveranstaltung für Gott; sie ist ein knapper Check, wo ich im Augenblick in Hinsicht auf meine Ziele stehe. Und dann soll man sich in die liebenden Arme des barmherzigen Gottes werfen. Sollte ich feststellen, dass mein Gebet sich in der Spirale „Wie war ich wieder blöd ... Herr, gib mir Kraft“ festdreht, ist daran etwas faul. Dafür sollte ich keine Zeit haben.
Aber heftig soll sie sein, die Gewissenserforschung. Heftig nicht im Sinn von Selbsterniedrigung und Daueranklage, sondern heftig in ihrem Realismus und ihrer Zielorientierung. Es nützt nichts, sich täglich anzuklagen, dass man den eigenen Mann / die eigene Frau nicht liebevoll annimmt. Dann sollte eine Gewissenserforschung schon zu konkreten Entschlüssen und vielleicht in den Beichtstuhl, in ein Coaching oder eine Paartherapie führen.
Zwischen Sünde und Sucht unterscheiden
Und was ist mit Sünden, derer man sich immer wieder anklagen muss, weil man sie täglich begeht, etwa, weil man mit einer Sucht zu kämpfen hat? Hier hilft eine Unterscheidung: Sucht ist eine Krankheit und keine Sünde; vielleicht war sie einmal eine Sünde, aber jetzt, wo sie den freien Willen des Süchtigen phasenweise ausschaltet, ist sie mehr eine Krankheit, denn eine Sünde. Natürlich hilft in diesen Fällen auch das Gebet zu Gott, der in Jesus auch als Arzt (Lk 5,31) gekommen ist. Aber der Arzt Jesus würde diesem Menschen empfehlen, fachliche Hilfe zu suchen, sich einer Therapie zu unterziehen und ihm dazu seinen Segen geben. Nur auf diese Weise könnte, was jetzt eine Sucht ist, auch wieder eine normale Sünde werden, über deren Bekenntnis Gott sich herzlich freut.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.