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„Creonte“: Volkswahl in der Oper

In Czernowitz in der Ukraine wurde eine fast 250 Jahre verschollene Oper wieder aufgeführt.
Unter Raketen und Luftalarm: „Creonte“ in szenischer Aufführung, zum ersten Mal in 250 Jahren.
Foto: Reinhard Kloucek | Unter Raketen und Luftalarm: „Creonte“ in szenischer Aufführung, zum ersten Mal in 250 Jahren.

Wir fahren ins toxikologische Institut in Kyiv. Die Ansage klang etwas befremdlich, denn ausgemacht war ein Treffen mit jenen Leuten, die die Uraufführung einer fast ein Vierteljahrtausend verschollenen Oper organisieren. Wobei der Begriff Uraufführung nicht ganz korrekt ist: Besagte Oper wurde bereits 1776 (also vor fast 250 Jahren) im Teatro San Benedetto in Venedig uraufgeführt. Doch in der Ukraine darf man mit vielen Überraschungen rechnen. Das toxikologische Institut in Kyiv ist eine staatliche Einrichtung. Aber privat finanziert. Und weil das gut funktioniert, hat die Leitung, in Absprache mit der Belegschaft, beschlossen, in die Kulturförderung zu investieren. Einen Teil dieses Projektes kann man im Institut in einer Bildergalerie bewundert.

Der andere Teil, nämlich die „Uraufführung“ der Oper, war am 3. Oktober zu sehen und hören. In Czernowitz, in der Bukowina, jenem westlichen Gebiet der Ukraine, das vor exakt 250 Jahren unter habsburgische Regierung kam. Das Datum ist nicht zufällig gewählt, denn am ersten Wochenende im Oktober findet in Czernowitz das Stadtfest statt, in Erinnerung an die Stadterhebung. Trotz des Vernichtungskrieges, den Russland gegen die Ukraine führt. Vor der Opernpremiere fand an der Universität ein Festakt zum 150. Geburtstag dieser Universität statt. Auch das ist kein Zufall, denn die Universität wurde anlässlich des Jubiläums 100 Jahre Bukowina bei Österreich gegründet.

Antigone wird zur Königin gewählt

Es ist diese Opernaufführung auch ein Geschenk an Österreich, sagt Mykola Prodanchuk, ein Dankeschön an die vielen Österreicherinnen und Österreich, die die Ukraine im Verteidigungskampf unterstützen, um überleben zu können. Das Theatergebäude in Czernowitz ist ein typischer Bau aus der Monarchie, vom berühmten Architektenduo Helmer und Fellner. Die Czernowitzer waren damals schon klug, sagt man, sie haben nämlich nach dem ersten Kostenvoranschlag beschlossen, zu warten: Helmer & Fellner würden das Gebäudekonzept auch in anderen Städten umsetzen, für Czernowitz würde es dann billiger werden. So die Rechnung, die dann auch aufging.

„Creonte“ ist der Titel der Oper, und sie formt den antiken Kreonsstoff in eine fast demokratische Botschaft. Antigona will ihren Bruder Polynicis gegen den Willen des neuen Königs Creonte bestatten und wird daraufhin zum Tode verurteilt. Dessen Sohn, Emone, will ihre Strafe, in eine Höhle eingemauert zu werden, teilen. Bewegt von der Liebe des Paares begehrt das Volk auf: Creonte wird gestürzt, man wählt Antigona zur Königin. Komponiert hat die Oper Dmytro Bortniansky. Ein Ukrainer, den seine Landsleute als wichtigen Komponisten seiner Zeit wiederentdecken. Bortniansky stand mit Mozart und anderen Größen der Zeit in Kontakt und wurde von ihnen sehr geschätzt. Gewirkt hat er unter anderem in Venedig, aber auch in St. Petersburg. Das Libretto von Creonte hat Marco Coltellini geschrieben. Dmytro Bortniansky war gerade einmal 25 Jahre alt und noch Student, als er die Oper komponierte. Er stammte aus einer Kosaken-Familie, der Vater war ein militärischer Anführer, stammte also aus einer adligen Familie. Die Bortnianskys lebten in Hlukhiv, der Hauptstadt des ukrainischen Hetmanats. Die Ukraine war damals kein eigener Staat, die Heimat von Dmytro Bortniansky russisch besetzt.  Auch heute noch interpretieren die Russen den Ukrainer, der auch in St. Petersburg wohnte und wirkte, als Russen. 

Das lassen sich die Ukrainer nicht gefallen. Dmytro Bortniansky ist ein wichtiger Teil der kulturellen Identität der Ukraine. Seine Oper „Creonte“ war über fast 250 Jahre verschollen. Erst 2023 wurde sie in einem Archiv in Lissabon, also in Portugal wieder entdeckt. Eine orchestrale Aufführung gab es bereits in Kyiv, geleitet von Maestro Herman Makarenko, der auch in Czernowitz den Dirigentenstab führte, als das 250 Jahre alte Stück „Creonte“ zum ersten Mal wieder in Szene gesetzt wurde.

Luftalarm über dem Theater

Doch warum blieb dieses Werk, mit Ausnahme einer einzigen Arie, über Jahrhunderte verschollen? Mykola Prodanchuk, der Czernowitzer Direktor des toxikologischen Institutes in Kyiv, hat dazu eine eigene Theorie: Dmytro Bortniansky soll das Stück, inhaltlich zu brisant für den damaligen Absolutismus, versteckt haben: Der König entwickelt sich zum Tyrannen, wird gestürzt. Doch es wird nicht ein neuer König auf den Thron gesetzt. Antigone besitzt nicht nur Mut, sondern auch Sinn für Gerechtigkeit. Die Oper endet mit einer demokratischen Wahl. Sie präsentiert damit eine politische Botschaft, die in der damaligen Zeit eine Gefahr für alle Beteiligten dargestellt hätte. Wahrscheinlich wäre das Werk vernichtet worden. Deshalb, so die These von Direktor Prodanchuk, habe der Komponist sie selbst versteckt, um sie dem Zugriff der absolutistischen Behörden und damit wohl der Vernichtung zu entziehen.

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Die Wahl symbolisiert auch eine Abgrenzung der Ukraine gegenüber Russland. Denn in der europäischen Ukraine konnte sich nach der Herauslösung aus der Sowjetunion und damit aus der Herrschaft Moskaus eine Demokratie entwickeln. Im Reich Moskaus hingegen wird die Zeit gerade zurückgedreht in den Absolutismus. Aus dem Reich Moskaus kam auch eine Störung der Aufführung in Czernowitz. Luftalarm. Russische MiG31 waren aufgestiegen. Das sind die einzigen Kampfflieger Putins, die Überschallraketen tragen können. Also galt der Luftalarm für die gesamte Ukraine. Knapp eine halbe Stunde hat die Unterbrechung gedauert, die Bukowina war wieder sicher, die Aufführung wurde fortgesetzt, mit noch mehr Begeisterung, die sich schon im mehrfachen Szenenapplaus gezeigt hatte. Wie drückte es Maestro Makarenko aus? Sowohl die Oper selbst als auch der Zeitpunkt der Uraufführung mitten im Krieg ist ein Symbol für die Widerstandsfähigkeit des ukrainischen Volkes, für den Kampf gegen Despotie und für Freiheit, für die Zugehörigkeit der Ukraine zu Europa.

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