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Charles und sein verwandeltes Königreich

König Charles III., Rishi Sunak - der jüngst gewählte Permierminister - und der sagenumwobenen britische Humor.
Rishi Sunak wird neuer Premierminister
Foto: dpa | Filmreif: König Charles III. (l) empfängt den neuen Premierminister Rishi Sunak - einen bekennenden Hindu - im Buckingham Palast.

Der britische Komiker, Schauspieler, Schriftsteller und populäre TV-Moderator Stephen Fry erzählt in seinen Erinnerungen, wie er den Prinzen von Wales kennenlernte. Nach einer Comedy Show in den 1990ern hatte er sich mit anderen Kollegen aufgestellt. Fry hatte ein Landhaus nicht weit entfernt von der königlichen Residenz in Sandringham in Norfolk. „Ich glaube, wir sind Nachbarn“, meinte der Prinz, als er vor Fry stand. „In der Tat, Sir“, erwiderte Fry. „Wir lieben Norfolk“, meinte der Prinz, darauf Fry: „Sie müssen mich an Weihnachten besuchen“, worauf Charles „indeed, indeed“ murmelte.

An Weihnachten hatte Fry sein Haus in Norfolk voll mit Freunden. Er war gerade dabei, eine Sauce Hollandaise zu machen, als das Telefon klingelte. „Kann ich bitte mit Stephen Fry sprechen?“ – „Am Hörer.“ - „Ah, hier ist der Prinz von Wales.“ Fry glaubte natürlich zuerst an einen Streich eines seiner Freunde. Doch der Prinz kam mit seiner Frau Diana tatsächlich am Neujahrstag zum Tee im Hause Frys vorbei. Ebenso erstaunt und ungläubig mag mancher reagiert haben, als er die Ansage des neuen Königs hörte, er wolle nicht nur ein „Verteidiger des Glaubens“ der anglikanischen Kirche, sondern ein „Defender of faiths“ sein, ein Verteidiger aller Konfessionen und Religionen, die sich heute im Vereinigten Königreich finden. Der Wandel des englisch dominierten Königreichs, mit einer fest etablierten anglikanischen Staatskirche, zur multiethnischen, multireligiösen Gesellschaft hat Peter Hitchens etwas melancholisch als decline, als Niedergang beschrieben.

„Charles mag anders als seine Mutter in religiösen Dingen
etwas weniger leicht festzulegen sein.
Er interessiert sich auch für die Ostkirche,
zeigte lebhaftes Interesse an Judentum und Islam“

Andere, so auch der jahrzehntelange Thronfolger, nehmen das als Realität und sehen es als Chance. Charles ist nicht nur ein passionierter Umweltschützer, Gründer und Vorsitzender zahlloser Wohltätigkeitsorganisationen und befreundet mit Schauspielern und Intellektuellen wie Stephen Fry oder Emma Thompson. Er empfindet den Glauben in seiner christlichen wie auch jüdischen und muslimischen Gestalt als bereichernd, als Teil einer Art Humanökologie, ohne den der Mensch nicht ganz Mensch sein könne.

Die Verwüstung der Natur und auch der menschlichen Umwelt, auch der Architektur, die Charles wortreich kritisiert hat, entspringe einer Verwüstung des Geistigen. An solchen Betrachtungen, die manchem allzu esoterisch erschienen, erkennt man gleichwohl, dass Charles kein intellektuelles Leichtgewicht ist. Der typisch britische Humor ist ihm nicht fremd, doch die entspannte Art seines Vater fehle ihm. Emma Thompson erzählt, sie hätte immer wieder versucht, ihn dazu zu bringen, mehr als einen Gin zu trinken: „Noch einen, kreischte ich. Aber es gibt immer Briefe zu lesen und noch mehr zu schreiben.“

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Sunak ist Teil des modernen Polit-Establishments

Dieser Tage ist Rishi Sunak, der indischstämmige ehemalige Finanzminister in der Regierung Johnson zum neuen Premierminister gewählt worden, nachdem Liz Truss das Handtuch geworfen hatte. Dass jemand aus der ehemaligen Kronkolonie Indien Premierminister werden konnte, erscheint manchem als Treppenwitz der Weltgeschichte. Sir Winston Churchill, nach Meinung vieler Briten der britischste aller britischen Premierminister, hatte Gandhi noch als „nackten Fakir“ verspottet, der sich zufälligerweise in ein Anwaltsbüro verirrt hätte. Der schottische Historiker Niall Ferguson löste einen Sturm der Empörung aus, als er das gewohnte tiefschwarze Bild der britischen Herrschaft über Indien als unhistorisches Zerrbild beschrieb. Die erstaunliche Karriere von Rishi Sunak mag der Entspannung der gegensätzlichen Auffassungen zwischen Nostalgie, Spott und historischer Revanche dienen. Sunaks Großeltern stammen aus dem Punjab.

Sunak ist Hindu und von seiner Laufbahn – Studium in Oxford, MBA in Stanford, Arbeit bei Goldman Sachs, und verheiratet mit einer indischen Milliardärstocher – Teil des modernen britischen Polit-Establishments und der internationalen Superreichen. Der Rechtsextremist Nick Griffin, Vorsitzender der British Freedom Party, war einer der wenigen, der Bilder des ersten „Hindu Prime Minister“ mit „NotMyPM“ untertitelte. Mag mancher Brite auch von Sunaks Ernennung etwas überrascht sein, passt er doch weit besser in die Welt des neuen Königs als der Nationalist Griffin oder der Nostalgiker Hitchens, mag auch Charles bei vielen als Romantiker gelten.

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Die anglikanische Kirche als nostalgische Erscheinung bei den Briten

Seine Architekturkonzepte wie er sie besonders in Poundbury, einem Vorort von Dorchester, verwirklichte und die an den Bedürfnissen der Menschen Maß nehmen, seine Umweltschutzideen, seine ökologische Landwirtschaft, mit der er jährlich erstaunliche Umsätze erzielt, all da ist genauso auf der Höhe der Zeit wie sein Konzept eines „Defender of faiths“, das nur auf den ersten Blick provokant erscheint. Eine Mehrheit der angestammten Briten steht heute ihrem traditionellen anglikanischen Glauben distanziert bis gleichgültig gegenüber. „Men of the cloth“, anglikanische Geistliche, tauchen vor allem in den Verfilmungen der Jane-Austen-Romane oder der Geschichten von P. G. Wodehouse um den Diener Jeeves und seinen spleenigen Gentleman Bertie Wooster auf.

Sie sind Verkörperung einer nostalgisch verklärten, sehr britischen Vergangenheit. Den Diener Jeeves verkörperte in der Verfilmung Stephen Fry, Wooster spielte Hugh Laurie, der später als „Doctor House“ international Erfolg hatte. Beide bezeichnen sich als dezidierte Atheisten. Fry ist mehrfach mit den „Größen“ der Zunft wie Christopher Hitchens und Richard Dawkins aufgetreten. Ganz anders die neue gesellschaftliche Spitze der Insel. Der neue König betrachtet den Glauben als Bereicherung, nicht als Hindernis für den Fortschritt. Das deckt sich mit Sunaks Haltung, der sich als praktizierenden Hindu bezeichnet.

Charles und seine Lust vom Konsens abzuweichen

Über Boris Johnsons Glauben wurde spekuliert. Er ist zwar katholisch getauft, aber anglikanisch konfirmiert, zeigte belesene Begeisterung für die antike Götterwelt, äußerte sich aber auch anerkennend über das christliche Erbe. Allerdings erscheint die etwas indifferente Haltung des Königs und der Niedergang des Anglikanismus einerseits, das klare Bekenntnis Sunaks andererseits manchem Übelmeinenden als Indiz, dass die ehemals Kolonisierten die ehemalige Kolonialmacht auch religiös majorisieren würden.

Aber ist die Haltung des Königs indifferent? Er wird wohl, so meinen manche, der Linie seiner Mutter treu bleiben, das heißt, als König natürlich den Glauben der anglikanischen Kirche verteidigen, zugleich aber über den religiösen Bekenntnissen des Königreichs stehen. Charles mag anders als seine Mutter in religiösen Dingen etwas weniger leicht festzulegen sein. Er interessiert sich auch für die Ostkirche, zeigte lebhaftes Interesse an Judentum und Islam. Seine Lust daran, wenn es nottut, auch vom Konsens des Establishments abzuweichen, könnte auch in Religionsfragen noch die eine oder andere Überraschung bereithalten.


Der Autor ist Slawist, Osteuropahistoriker,
lehrt südslawische Landeskunde an der Ludwig-Maximilians-Universität München
und interessiert sich daneben für den europäischen Adel, insbesondere auch das englische Königshaus.

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