Mit der Erhebung des heiligen John Henry Newman (1801–90) knüpft Papst Leo XIV. an die besondere Wertschätzung seiner beiden Vorgänger Franziskus und Benedikt für die Kirchenväter an. Papst Benedikt, der den englischen Konvertiten 2010 persönlich seligsprach – eine Ausnahme in seinem Pontifikat –, schöpfte theologisch intensiv aus den Schriften der Kirchenväter. Franziskus erhob 2022 mit Irenäus von Lyon (130–200) einen der bekanntesten Kirchenväter des Westens zum Kirchenlehrer.
Zugleich setzt Leo XIV. einen traditionellen Akzent. Denn mit John Henry Newman rückt ein Gelehrtentypus in den Fokus, der im 20. Jahrhundert allmählich vom Radar der Päpste zu verschwinden schien. Mit Ausnahme des Universalgelehrten Albertus Magnus (1200–80), der 1931 zum Kirchenlehrer erhoben wurde, wurde diese Ehre in den vergangenen hundert Jahren eher den Praktikern des geistlichen Lebens als den umfassend Gebildeten zuteil: Volksmissionaren und Predigern wie Johannes von Ávila (1499–1569), aber auch Mystikerinnen ohne besondere Bildungsbiografie. An diesen Trend hätte der erste Augustiner auf dem Stuhl Petri mit der Erhebung seines als „Vater der Armen“ populär gewordenen Ordensbruders Tomás de Villanueva OSA (1486–1555) anknüpfen können – der Augustinerorden hat diesen Ehrentitel für den einstigen Erzbischof von Valencia seit Langem beantragt.
Doch Leo trifft mit der Auszeichnung Kardinal Newmans eine hervorragende Entscheidung für die Vielfalt in der Kirche. Denn der Trend geht zur Emotionalisierung der katholischen Mission. Die Kirche schaut sich derzeit vieles bei den Charismatikern und Freikirchen ab, um ihre Botschaft unter die Leute zu bringen. Das zieht auch eine bestimmte Zielgruppe an und bewirkt zweifellos wertvolle Initialzündungen. Aber die Bandbreite des Katholischen ist größer; sie umfasst auch akademische Talente, die mit der Betriebstemperatur von Lobpreisgruppen und den großen Gemeinschaftserlebnissen unter freiem Himmel fremdeln. John Henry Newmans intellektueller Zugang zum katholischen Glauben, der ihn über die Kirchenväter zur Konversion führte, ist zeitlos aktuell. Er hat zudem einer säkularen Gesellschaft, in der Universitätsabschlüsse an Wert verlieren, viel über das Wesen authentischer Bildung zu sagen.
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