Im „Fall Becciu“ ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Abgesehen davon, dass der Anwalt des in erster Instanz verurteilten Kardinals angekündigt hat, ein Berufungsverfahren anzustreben, könnte der Papst alle in diesem „Maxi-Prozess“ für schuldig befundenen Angeklagten auch begnadigen. Weihnachten steht schließlich vor der Tür.
Allerdings wäre das nach zweieinhalb Jahren Prozessdauer mit der Vernehmung von 69 Zeugen in den ungefähr 600 Verhandlungsstunden an insgesamt 85 Gerichtstagen des Vatikantribunals die schlechteste aller Lösungen: Noch Jahre lang würde man darüber diskutieren, ob der tiefe Fall des sardischen Kardinals Angelo Becciu, der einmal der Vertraute von Franziskus und nach Papst und Kardinalstaatssekretär der „dritte Mann“ an der Spitze der Römischen Kurie war, gerecht oder Folge eines „Schauprozesses“ war.
Gelder des „Peters-Pfenning“
Becciu hatte in den Jahren 2013 und 2014 getan, was Papst Franziskus zunächst selber als kluges Wirtschaften verteidigt hatte: Er hatte Guthaben des Vatikans, darunter auch Spendenmittel aus dem „Peters-Pfennig“, gut anlegen wollen. Ob der Substitut damals die verunglückte Investition selber begleitete und die vatikanischen Finanzgeschäfte wissentlich in die Hände umtriebiger Finanzhaie legte, ist kaum noch nachzuvollziehen.
Wäre die Investition in die Londoner Immobilie ein Bombenerfolg gewesen und hätte man im Staatssekretariat in den Jahren 2018 und 2019 nicht versucht, die Anteile an dem Objekt in der Sloane Avenue 60 zurückzukaufen – niemand hätte mehr darüber geredet.
Die „Dame“ des Kardinals
Aber Kardinal Becciu ist bei Papst Franziskus „in Ungnade“ gefallen – wie manch andere vor und viele nach ihm. Franziskus wollte ein Exempel statuieren und schickte den „Promotore di Giustizia“, den vatikanischen Staatsanwalt Alessandro Diddi ins Gefecht. Nachdem der Papst Ende 2020 persönlich schon sein Urteil über Becciu gesprochen und ihm alle Rechte eines Kardinals entzogen hatte – mit Ausnahme des Rechts auf eine Wohnung des Vatikans (Kardinal Burke lässt jetzt grüßen).
Tatsächlich lässt sich kaum erklären, wie Becciu einer ihm völlig unbekannten „Managerin“ eine halbe Millionen Euro überlassen konnte, damit diese ihre angeblichen Geheimdienst-Kontakte aktiviert und eine von Dschihadisten entführte Ordensfrau freikauft. Was dann nie geschah. Aber das betrifft nicht den Fall der in London verzockten Millionen.
Ein Urteil mit Signalwirkung
Nachdem die italienischen Medien in ihrer Mehrheit zuletzt für die Unschuld Beccius und seinen Freispruch plädierten, kam das Urteil jetzt überraschend. Man muss davon ausgehen, dass der Fall noch lange nicht abgeschlossen ist. Zumal man jetzt schon davon ausgehen kann, dass der sardische Kardinal und die anderen Verurteilten, die ja keine Vatikan-Bürger sind, nie eine der beiden Haftzellen von innen sehen werden, die nach einem Urteil in letzter Instanz im Gebäude der Schweizer Gardisten auf sie warten würden.
Dennoch hat das am Samstag gesprochene Urteil Signalwirkung: Selbst allerhöchste Kuriale können nicht mehr wirtschaften und Gelder fließen lassen, ohne dass ihnen jemand auf die Finger schaut. Den ersten Schritt dahin hatte übrigens Papst Benedikt XVI. getan, als er die vatikanische Finanz-Aufsichtsbehörde AIF errichtete und sie dem schweizerischen Banker René Brülhart anvertraute. Brühlhart selber machte einen Fehler und kam jetzt mit einer milden Geldstrafe davon. Aber das ist nichts im Vergleich zu der Trendwende, als die der „Fall Becciu“ in die Geschichte eingehen wird.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.