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Wo aus Raupen Schmetterlinge werden

Wissensvermittlung und noch viel mehr! Auf dem Bildungscampus Köln-Kalk steht die Zugewandtheit zum Kind im Mittelpunkt. Das Schulprojekt von Rainer Kardinal Woelki.
Bildungscampus Köln-Kalk
Foto: Erzbistum Köln/ Palm | „Kein Kind darf verloren gehen", darum braucht es einen Bildungscampus wie Köln-Kalk. Der Kölner Kardinal Rainer Woelki weihte ihn diesen Sommer ein.

Der Schulhof ist neu. Statt Sand bedeckt heller, etwas elastischer Gummi den Boden. Wer vom Klettergerüst fällt, der landet weich. Erstklässler springen dort auf den runden, in den Boden eingelassenen Trampolinen. Daneben führt eine dunkelgrüne, breite Schrägfläche zu den Werkräumen im Keller herunter. Daran befestigt sind Seile und Halterungen – zum Klettern. Neben dem Fußballfeld stehen Gewächshäuser. Kürzlich ernteten Schüler die ersten Zucchini.

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Der „Erzbischöfliche Bildungscampus Köln-Kalk“ befindet sich noch im Aufbau. Bislang gibt es nur die Jahrgänge eins bis sechs, dementsprechend sind nicht alle Etagen fertig eingerichtet und ausgestattet – das wäre zu früh. Erst diesen April war die Schule aus provisorischen Containern in den Neubau gezogen.

Freude über die Kinder

Der Stadtteil Kalk: ein Industriegebiet mit sozialen Herausforderungen. „Probleme zwischen den Kulturen oder mit Vandalismus haben wir nicht“, zieht Carina Quirmbach Bilanz. Sie ist die Leiterin der seit gut einem Jahr geöffneten Gesamtschule. „Wohl gibt es Kinder mit besonderem Bedarf. Viele kommen aus herausfordernden Verhältnissen. Wir sind sehr angetan von den Kindern und freuen uns, dass unsere Schule so zahlreich nachgefragt wird.“

„Kardinal Woelki ist der Urheber dieser neuen Schule. Einer Schule, die Schülerinnen und Schüler – und ausdrücklich auch ihre Familien – vom Übergang aus dem Kindergarten über die Grund- und Gesamtschulzeit bis ins Berufsleben hinein individuell und bedarfsgerecht begleitet. Denn kein Kind darf verloren gehen“, blickt Thomas Pitsch zurück, der Bereichsleiter für Schule im Erzbischöflichen Generalvikariat. „Die Arbeit mit und für Jugendliche gehört zu den wichtigsten Aufgaben, die die Kirche in unserer Gesellschaft leistet. Aus einer katholischen Grundhaltung heraus gehen wir dahin, wo die Menschen uns brauchen.“

Der erste Jahrgang hatte 17 Schüler

„Am Samstag war Tag der Offenen Tür, für die Einschulungen im nächsten Sommer“, erklärt Marion Wilmhoff, die Leiterin der Grundschule des Bildungscampus. „Die Kinder kamen um acht Uhr morgens und als um zwölf offiziell Schluss gewesen ist, haben ihre Eltern sie nicht mehr vom Spielplatz runterbekommen“, sagt sie schmunzelnd – und winkt den Kindern im Werkraum zu, die Kreise aus hellem Holz aussägen. Ein Mädchen mit zwei geflochtenen Zöpfen darf nun die bronzene Glocke läuten. Schon springen hundert Kinderbeine von Klettergerüst, Trampolin und Fußballplatz und rennen durch die Eingangstür zurück ins Schulgebäude.

In der ersten Etage sind die Erst- und Zweitklässler untergebracht, in altersgemischten Lerngruppen. Daneben die Dritt- und Viertklässler, nach Jahrgängen getrennt. Und oben lernen die Fünft- und seit diesem Jahr auch Sechstklässler. Die Gesamtschule startete im August in ihr zweites Jahr. Die mittlerweile zweizügige Grundschule existiert seit 2020; ihr erster Jahrgang – bestehend aus 17 Schülern – ist im vergangenen Sommer in die weiterführende Schule gekommen. „16 der Schüler sind direkt in unsere Gesamtschule übergegangen. Wir haben mit Kindern aus anderen Grundschulen auf 100 aufgestockt“, erklärt Carina Quirmbach.

Lernen im Liegen

Die beiden Schulleiterinnen gehen durch das Gebäude. Wer ihnen entgegenkommt, den grüßen sie freundlich – meistens mit Namen. Die Kinder grüßen zurück, das Verhältnis scheint familiär und vertraut. Die Gänge sind schlicht und hell, die Wände grau und ohne Tapeten, fast wie in einer Tiefgarage. „Denn wir haben viele Kinder, die sich leicht ablenken lassen. Darum verzichten wir zum Beispiel auch auf bunte Plakate an den Wänden“, erklärt Quirmbach. In dem lichtdurchfluteten Flur, an den die Unterrichtsräume grenzen, befinden sich an runden Tischchen kleine, gepolsterte Hocker, „Elefantenfüße“ genannt. Darauf sitzen Kinder und schreiben in ihre Aufgabenhefte. Die Türen der Lerngruppenzimmer sind aus Glas, an der von der „Robben-Lerngruppe“ kleben lächelnde Papp-Robben. Innen drin stehen schlichte Tische, ein Sofa und an der Tafel Willkommensgrüße. Die Schüler tragen Hausschuhe. Jeweils zwei Lerngruppen – Klassen, wie man in anderen Schulen sagen würde – teilen sich einen kleinen Extra-Raum. Darin steht ein Sofa, auf das die Kinder sich zum Lernen auch legen dürfen. „Denn die sitzen den ganzen Tag, das ist fast wie im Bürojob“, begründet Wilmhoff.

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In der ersten Etage haben gerade an die 150 Grundschüler Unterricht – und trotzdem ist es ruhig. „Handys sind hier verboten. Die werden morgens ausgemacht und weggepackt und erst nach Schulschluss wieder hervorgeholt“, erklärt Quirmbach. „Wenn wir ein Handy sehen, sammeln wir es ein.“ Hier lernen die Kinder in einem Lerngruppenverband statt einer Klasse, und in ihrem eigenen Tempo. „Offenes Lernen“ heißt dieses Konzept. Jedem der vier klassischen Hauptfächer sind pro Woche vier Stunden Zeit eingeräumt. In nur einer der Stunden wird das Fach unterrichtet, in den anderen drei Stunden bekommen die Kinder entsprechend ihrem Leistungsstand Material, sodass sie sich das Themengebiet erschließen können. Das Wissen der Nebenfächer vermitteln sogenannte Werkstätten, oft verbunden mit Ausflügen zu außerschulischen Lernorten, zum Beispiel in die Oper. „Ich gehe jeden Montag vier Stunden mit den Schülern in den Wald“, sagt Quirmbach. „Die Kinder erstaunen uns immer wieder. Vieles, das wir theoretisch durchdenken, brauchen wir gar nicht, weil die Kinder es von sich mitbringen“, findet sie. „Wir sind mit dem Konzept zufrieden und merken an den Kindern, wie es ihnen hilft, wirklich über die Themen nachzudenken. Es geht nicht darum, nach dem Gießkannenprinzip Wissen aufzusaugen“, so Wilmhoffs Bilanz. „Meistens melden Eltern ihre Kinder bei uns an, weil sie von anderen Eltern gehört haben, wie wir arbeiten.“

Kooperation mit Menschen mit Behinderung

Jedes Kind hat einen persönlichen „Coach“, mit dem es einmal in der Woche reflektiert, wo es gut vorangekommen ist und wo Nachholbedarf besteht. Hinter einer Glasscheibe sitzt gerade eine junge Frau an einem Kindertisch und gibt drei Schülern ihr „Coaching“. Eine weitere Besonderheit, die Vertrautheit schafft: Die Betreuer des „Offenen Ganztags“ sind schon während des Unterrichts mit im Klassenraum – zusammen mit dem Lehrer.
Die Schule hat Kontakt zu Werkstätten für Menschen mit Behinderung aufgenommen und plant, überschüssiges Gemüse – selbst gezüchtet – an die Tafel weiterzugeben. Das ist noch Zukunftsmusik, schließlich ist die Schule jung und die älteren Jahrgänge, mit denen solche Kooperationen eher machbar wären, sind noch im Anmarsch.

Im Erdgeschoss befindet sich der „Raum der Stille“ – zum Meditieren und Beten. Eine bunte Kerze, Holzbänke an den Wänden und eine Stellwand füllen den quadratischen Raum. Die Schulpastoral übernimmt eine Pastoralreferentin aus der örtlichen Gemeinde – mit einer 30-Prozent-Stelle. „Unser katholisches Profil arbeiten wir aktuell aus; zusammen mit den Eltern“, erklärt Marion Wilmhoff. „Es gibt – und nur hier – die „Felix“-Stunde, in der Kinder sich auch mit anderen Religionen auseinandersetzen. Aber auch beispielsweise mit dem Sankt-Martins-Fest, das wir ganz groß feiern.“ Jeder Schultag startet mit einem religiösen Impuls; einem Lied oder einem Gebet.

Eisessen mit dem Kardinal

Letztes Jahr kam Erzbischof Rainer Woelki zu Besuch. Die Kinder – darunter Erstklässler – durften ihn fragen, was sie wollten. „Das war eine erfrischende Runde“, erinnert sich Thomas Pitsch. Woelki habe „1A über Fußball und sehr trefflich über Autos gesprochen. Danach meinte er: ,gut, dass es diese Schule gibt‘. Er ist überzeugt, wir stellen unsere Kinder so ins Leben, dass sie bestehen können“, so Pitsch. Das Konklave verfolgten sie kurz darauf im Religionsunterricht. „Es war für sie irre zu sehen, dass der Mann, mit dem sie ein Eis gegessen hatten, auf einmal im Fernsehen unter den Kardinälen erschien, die den Papst wählen durften“, sagt Quirmbach.

Das Mittagessen kocht die Kantine teilweise aus dem von Schülern angebauten Gemüse. Die Schulcafeteria daneben war ursprünglich als Möglichkeit zum Austausch gedacht, vor allem für Eltern, die wenig Deutsch sprechen und mit Formularen zu kämpfen haben. Mittlerweile hat sie sich – „von selbst“, wie Marion Wilmhoff betont – zu den Menschen im Stadtteil geöffnet. Es kommen Busfahrer der Kinder, Mitarbeiter der Abfallwirtschaftsbetriebe und auch Freigänger der Werkstatt für angepasste Arbeit, die in dem anliegenden Gewerbegebiet arbeiten.

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Auf derselben Ebene befinden sich ein Ergotherapeut und eine Logopädin. „Die Kinder kriegen ihre Termine hier ganz normal mit einem Schein vom Kinderarzt. Doch sie können die Therapie tagsüber machen. Denn Kinder nach der Ganztagsschule noch zur Therapie zu schicken, macht nicht viel Sinn“, erklärt Wilmhoff. „Hier wäre ich auch gerne zur Schule gegangen“, das höre man ab und an von Eltern oder Besuchern der neuen Schule, erzählt die Leiterin der Grundschule. Denn man spüre hier das Christliche, das Katholische, nämlich jeden Menschen zu sehen und einzuladen.

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