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Wo die Kirche noch jung ist

Über den Jahreswechsel treffen sich in Rostock rund 5.000 überwiegend junge Menschen zum 45. Europäischen Jugendtreffen der Gemeinschaft von Taizé. Die Hansestadt ist in mehrfacher Hinsicht ein besonderer Veranstaltungsort.
45. Europäischen Taize-Jugendtreffen
Foto: IMAGO/Hans Scherhaufer (www.imago-images.de) | Hier ist die Kirche jung: Abendgebet beim 45. Europäischen Taize-Jugendtreffen in der HanseMesse.

Seit zwei Tagen ist die Hansestadt Rostock fest in der Hand junger Christen. Das 45. Europäische Jugendtreffen der Ökumenischen Gemeinschaft von Taizé findet noch bis Neujahr in der norddeutschen Metropole statt – und das ist durchaus eine Besonderheit. Gehen die Brüder von Taizé sonst in große Metropolen wie Barcelona, Rotterdam oder Turin, haben sie sich diesmal eine vergleichsweise kleinere Stadt ausgesucht – und mit Ostdeutschland eine Region, in der verhältnismäßig wenige getaufte Christen leben.

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Mittagsgebet mit Gauck

Doch Frère Sebastian, verantwortlich für die Pressearbeit der Kommunität, spricht im Interview mit der „Tagespost“ dennoch von einer herzlichen Atmosphäre. „Was ich von den Jugendlichen höre: Die Stimmung ist sehr, sehr positiv. Auch in den Gastfamilien werden sie herzlich aufgenommen.“

Rund 5.000 Teilnehmer sind in der Rostocker HanseMesse dabei, die für diese Tage zu einer großen Gebetshalle umfunktioniert worden ist. Sie hat sogar zeitweilig einen Glockenturm erhalten. Darunter sind laut Frère Sebastian rund 4.000 angemeldete Dauerteilnehmer, zusätzlich kämen rund 1.000 Gäste spontan vorbei, manche nur für ein bis zwei Tage. Und ganz in der Tradition der Europäischen Jugendtreffen kommen die Teilnehmer aus vielen europäischen Ländern – Polen und Ukrainer sind ebenso dabei wie Gäste aus Holland oder Italien.

Am heutigen Freitag können die Brüder aus Taizé zudem einen prominenten Gast begrüßen: Alt-Bundespräsident Joachim Gauck, einst evangelischer Pfarrer in Rostock, wird um 13 Uhr das Mittagsgebet sprechen.

Altersdurchschnitt 20 Jahre 

Doch auch ohne Prominenz zieht das Treffen offenbar vor allem jungen Menschen an, die man ansonsten selten in Kirchen und Gottesdiensten findet. „Der Altersdurchschnitt liegt bei rund 20 Jahren“, sagt Frère Sebastian. Junge Menschen zwischen 18 und 35 Jahren seien die Hauptzielgruppe, sagt der 62-jährige Holländer, der selbst seit rund 40 Jahren der ökumenischen Kommunität in Taizé angehört.

Dass das Treffen auch viele nicht christlich gebundene Menschen anzieht, kennt Frère Sebastian nach eigenen Angaben aus seiner Arbeit mit holländischen Gästen in Taizé. „Fast die Hälfte von ihnen sind keine Christen, aber sie sind an Lebensfragen interessiert und offen für das Gebet.“ Dabei ist es ihm wichtig, dass Jugendliche in ihrem Glaubensweg innerlich frei sind und nicht manipuliert würden, wie er betont: „Wir stellen keine Fragen, ob jemand gläubig geworden ist.“

Warum Jugendliche, die sonst kaum für Kirche zu begeistern sind, gerade nach Taizé kommen, bleibt für ihn dennoch ein Rätsel. „Ich weiß es eigentlich auch nicht“, sagt er im Gespräch. Die Hauptthemen des Jugendtreffens seien „inneres Leben und Solidarität“, meint der 62-Jährige. „Wir Brüder beten mehrmals täglich, aber wir interessieren uns auch für die Fragen der heutigen Gesellschaft wie Friede, Krieg, Ökologie oder Klima.“

Taize als Gemeinde

Dabei ginge es immer auch um die Frage, wie man die Welt in Verbundenheit mit Nichtchristen gestalten könne. Ein Thema, das in einer Stadt wie Rostock – fast 90 Prozent der Einwohner sind konfessionslos – eine besondere Rolle spielt. Dennoch empfindet Frère Sebastian die Stimmung auch in der Innenstadt, wo ebenfalls Veranstaltungen stattfinden, als positiv.

Mit dabei ist auch Deborah Jung aus Tübingen. Die 26-Jährige hat gerade ihr Studium der medizinischen Informatik abgeschlossen. „Ich bin hier, weil es mir gut tut“, sagt sie im Gespräch. „Ich komme aus einer religiösen Familie, aber ich gehe nicht mehr in Gottesdienst.“ Denn auf dem Jugendtreffen kämen viel mehr Gefühle rüber, meint die junge Frau. „Hier haben mehr Leute mehr Spaß, das merkt man.“

Das bestätigt auch Julian Ebert. Für den 33-jährigen Elektroingenieur ist es nach eigenen Angaben ein „besonderer Charme“, dass er hier mit ganz vielen Menschen zusammen sein könne, die ähnliche Gefühle hätten. „Trotzdem bin ich durch den Gesang ganz in mir, das ist eine schöne Kombination.“ Auch Julian fühlt sich sonst keiner Kirchengemeinde zugehörig. „Die Gemeinde, der ich mich fest zuordnen würde, ist Taizé.“ 

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