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Religion: eher Problem als Lösung

Braucht der Staat Religion? Ein Studientag der Universität Würzburg widmet sich angesichts der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft dem spannungsgeladenen Verhältnis zwischen Staat und Kirche – und fördert dabei wenig Ermutigendes zutage.
Protest gegen den evangelischen Kirchentag
Foto: IMAGO/Michael Gstettenbauer (www.imago-images.de) | Protest gegen den evangelischen Kirchentag in Düsseldorf: Gegen eine privilegierte Nähe von Staat und Kirche begehrt die multikulturelle Gesellschaft zunehmend auf.

Braucht der Staat Religion? Lässt sich mit Agnostikern kein Staat machen? Woher sollen „unsere Werte“, soll der verbindende Gemeinsinn kommen, den politische Gemeinschaften brauchen? Denn „der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“, so formulierte es 1964 der einflussreiche Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde. Vor dem Hintergrund aktueller Debatten, etwa zur Ablösung der Staatsleistungen oder zum Fortbestand des konfessionellen Religionsunterrichts, hat die katholisch-theologische Fakultät der Universität Würzburg diese in der Geistesgeschichte weit zurückreichende Vermutung zum Gegenstand eines Studientags gemacht.

Den Kern der vonseiten der Studentenschaft mäßig besuchten Veranstaltung bestritten der emeritierte Würzburger Jurist und Rechtsphilosoph Horst Dreier und die Göttinger Politikwissenschaftlerin Tine Stein. Dreier konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die historische Entwicklung der rechtlichen Beziehung zwischen Kirche und Staat seit der Weimarer Republik. Dabei wurde deutlich, dass eine privilegierte Stellung des Christentums aus dem deutschen Verfassungsrecht, das in dieser Frage nach wie vor auf einem Kompromiss aus dem Jahr 1919 basiert, nicht abzuleiten ist. Bereits die Weimarer Reichsverfassung garantiere den säkularen und weltanschaulich neutralen Staat, auch wenn dies sich erst in den letzten Jahrzehnten aufgrund des gesellschaftlichen Wandels in der zunehmenden Anerkennung auch anderer als christlicher Religionsgemeinschaften als Körperschaften öffentlichen Rechts widerspiegele.

Konflikt durch Pluralität

Angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen der jüngsten Zeit thematisierte Dreier vor allem die Problematik, die sich durch Religiosität, insbesondere aber religiöse Pluralität ergebe: mehr Verschiedenheit bedeute potentiell mehr Konflikt. Um diesen zu moderieren, dürfe es keine Hierarchisierung zwischen inhaltlich „verfassungsnahen“ und „verfassungsfernen“ Religionen geben. Zwar dürfe es keinen Körperschaftsstatus für Gemeinschaften geben, die auf eine theokratische Staatsordnung hinarbeiteten; die Glaubenswahrheiten aber müssten nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sein, solange sie keine Realisierung in der politischen Arena beanspruchten. Gleichstellungforderungen beispielsweise verwies Dreier damit in die inneren Angelegenheiten der Kirche, aus denen der Staat sich herauszuhalten habe.

Weniger Freiraum gestand Stein den Religionsgemeinschaften zu. Besonders stieß sich die Politologin, die zu den Erstunterzeichnern der „Frankfurter Erklärung für eine synodale Kirche“ gehört, an der Existenz des kirchlichen Arbeitsrechts, das der Staat eigentlich nicht dulden könne. Generell führe die Existenz einer kirchlichen Jurisdiktion zu übertriebener Zurückhaltung der Staatsanwaltschaften, die sich nicht zuständig fühlten und nach ihrem Dafürhalten unter Beißhemmung litten. Dies habe man nicht zuletzt im Fall des Kölner Kardinals Woelki gesehen, bei dem die Aufnahme von Ermittlungen viel zu lange gedauert habe.

Verpflichtung auf demokratisches Ethos

Auch zum eigentlichen Thema des Studientages positionierten sich die Referenten unterschiedlich. Stein sah den möglichen positiven Beitrag der Religionsgemeinschaften zum Gelingen des Staates vor allem im demokratischen Ethos, dem christliche Gläubige verpflichtet seien. Dieses spiegele sich zuvorderst in Toleranz und Respekt, den die Einzelnen in die politische Arena mitbrächten. In einer biblischen Referenz verwies Stein hier auf die Schöpfungsgeschichte, in der ja bereits der Respekt vor dem Anderen als Person mit freier Gewissensentscheidung anklinge: Immerhin habe Eva die Frucht vom Baum der Erkenntnis in freier Entscheidung entgegengenommen. Auf Nachfrage fügte Stein hinzu, die wohlverstandene Toleranz in der Politik erstrecke sich freilich nicht auf Positionen wie Rassismus oder Demokratieverachtung, die ein Gespräch verunmöglichten. Auch ihre persönliche Toleranz „als Katholikin“ komme im Übrigen ihren Grenzen nahe, wenn sie sich beispielsweise anhören müsse, dass gelebte Homosexualität Sünde sei.

Verhaltener äußerte sich Dreier. Auf die Frage, ob bereits die Fragestellung „braucht der Staat Religion?“ die Fakultät als „ewiggestrig“ entlarve, antwortete Dreier mit der Feststellung, dass sich ja empirisch beobachten lasse, dass etwa in Ostdeutschland oder in Norwegen der Staat auch mit relativ wenigen Gläubigen noch funktioniere.

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Keine unverzichtbare Verfassungsstütze

Insgesamt gab die Veranstaltung, die sich auch in einigen der Workshops diesbezüglich eher in Ratlosigkeit erging, wenig Antwort darauf, worin die Kirche selbst ihren Mehrwert für Staat und Gesellschaft sieht. Eine Botschaft vom Glauben als wertvoller Ressource für die liberale Gesellschaft, die aus sich selbst heraus nicht für die notwendige „moralische Substanz“ sorgen kann, schien sowohl dem Juristen Dreier als auch der Politikwissenschaftlerin Stein augenscheinlich anachronistisch optimistisch; die Deutung des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof vom Christentum als unverzichtbarer Verfassungsstütze wurde von Stein sogar explizit verworfen. Nicht zuletzt waren beide Vorträge - sieht man von Steins erwähntem Ausflug in die Exegese ab – zwar fachlich über jeden Zweifel erhaben, spiegelten aber vornehmlich die staatliche, nicht die theologische Perspektive wider.

Natürlich steckt wie die Kirche auch die katholische akademische Theologie hierzulande in der Krise. Zu wenige Interessenten, schließende Fakultäten, ein gesellschaftliches Umfeld, das der Religion grundsätzlich immer distanzierter gegenübersteht. Während sich die versammelten Referenten zwar einig zu sein schienen, dass die Kirche jedenfalls mehr Demokratie brauche, wurde im Gegenzug eine - möglicherweise gar positive - Beantwortung der Eingangsfrage von theologischer Seite nicht ernsthaft versucht. Angesichts der Negativstimmung in und gegenüber der Kirche ist diese Zurückhaltung zwar nachvollziehbar. Doch der Verfall der eigenen Relevanz lässt sich auf diese Weise auch nicht aufhalten.

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