Die Ukrainer erlebten derzeit „die schmerzhafte Geburt der Nation“, an der auch die Russischsprachigen in der Ostukraine mitwirken, meint der in Lemberg lehrende Kirchenhistoriker und griechisch-katholische Priester Andriy Mykhaleyko im Gespräch mit der „Tagespost“. Den Ukrainern gehe es in diesem Krieg vor allem um die Verteidigung der Lebensform der Freiheit und der Selbstbestimmung. Dazu komme ein starker Bezug zum Heimatboden und ein Zusammenrücken als Nation.
Mykhaleyko ist überzeugt: „Putin kann den Krieg nicht gewinnen, aber sogar nach einem militärischen Sieg bräuchte er gut 500.000 Soldaten, um das Land zu kontrollieren. Selbst in den besetzten Orten gehen die Menschen auf die Straße, weil das russische Gesellschaftsmodell für sie inakzeptabel ist.“ Wladimir Putin werde schlicht nicht die Kapazitäten haben, die ukrainische Gesellschaft in die Knie zu zwingen.
Kyrill findet in der Ukraine keine Akzeptanz mehr
Überrascht zeigt sich der Kirchenhistoriker, „wie unvernünftig Patriarch Kyrill handelt“. Dieser glaube, für die Ukraine verantwortlich zu sein, handle aber nicht als Hirte. „Da war kein Gebet für den Frieden, sondern die Übernahme der Sprache Putins.“ Die russische Kirche agiere „als Dienerin des Staates“. Insgesamt sei das orthodoxe Bekenntnis in Russland „eher ein kulturelles Phänomen“, und weniger eine religiöse Praxis.
Für die orthodoxen Gläubigen in der Ukraine sei es „eine Zumutung, im Gottesdienst weiter für Patriarch Kyrill zu beten, nachdem dieser klar auf Putins Seite steht“. Darum würden jetzt viele Gemeinden das Moskauer Patriarchat verlassen und sich der autokephalen Orthodoxie anschließen. „Da er ganz die Sicht Putins referiert, wird Kyrill in der ukrainischen Gesellschaft keine Akzeptanz mehr finden“, so Mykhaleyko gegenüber der „Tagespost“. Als Gegenpol zu Kyrill gewinne der Ökumenische Patriarch Bartholomaios an Gewicht. DT/sba
Lesen Sie einen ausführlichen Hintergrund zur Krise der Orthodoxie angesichts des Kriegs in der Ukraine in der kommenden Ausgabe der Tagespost.