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Jedes fünfte Kirchenmitglied will austreten

Droht eine Vergreisung? Vor allem junge Kirchenmitglieder wollen austreten. Warum die Krise auch eine Chance sein kann.
Kirchenaustritt-Wegweiser im Innenhof des Freiburger Rathauses.
Foto: IMAGO/Winfried Rothermel (www.imago-images.de) | Kirchenaustritt-Wegweiser im Freiburger Rathaus. Vor allem junge Leute treten aus, Studien zufolge oft wenn erstmals Kirchensteuer erhoben wird.

Eine Studie der Bertelsmann Stiftung hat ergeben, dass fast ein Viertel der Kirchenmitglieder in Deutschland einen Austritt in Erwägung zieht. Ein Fünftel hat dem in regelmäßigen Abständen erscheinenden „Religionsmonitor“ zufolge die feste Absicht, auszutreten. Unter den Austrittswilligen sind Katholiken mit 57 Prozent leicht überrepräsentiert. Die Mitglieder, die einen Austritt lediglich erwägen, sind zu zwei Dritteln katholischen Glaubens.

Mit dem Alter nimmt die Kirchenbindung zu: während unter den 16- bis 24-jährigen 41 Prozent eine feste Austrittsabsicht angaben, waren dies unter den über 70-jährigen lediglich fünf Prozent. Im Vergleich zur Erhebung im Jahr 2012 sank die Religiosität in allen abgefragten Parametern. Nur noch 38 Prozent der Befragten gaben an, „stark“ an Gott zu glauben. 2012 waren es noch 47 Prozent gewesen. Die Zahl der Befragten, die angaben, sich selbst „gar nicht“ als religiös einzuschätzen und „nie“ zu beten, stieg um jeweils rund 10 Prozentpunkte.

Unter den Austrittswilligen gaben 81 Prozent an, durch Skandale das Vertrauen in religiöse Institutionen verloren zu haben. Die Bertelsmann Stiftung interpretiert diese Zahl zusammen mit dem überproportionalen Anteil der Katholiken an den Austrittswilligen als Auswirkung der Missbrauchsskandale und der „fehlenden Reformbereitschaft der römischen Kurie“, wie es in dem Bericht wörtlich heißt. Der „Religionsmonitor“ wird von der Stiftung alle 5 Jahre erhoben. Die Bertelsmann Stiftung ist Mehrheitseigentümer des Medienkonzerns Bertelsmann, zu dem unter anderem die RTL Sendergruppe und das Magazin „Stern“ gehört.

Passive Mitglieder fallen weg

Die große Anzahl an Kirchenaustritten bietet laut „Tagespost“-Autor Stefan Hartmann eine Chance für die Kirche, weil eine große Anzahl von „passiven Mitgliedern“ wegfallen würden, auf die sich der Kirchenapparat bisher gestützt habe. „Anstatt etwa den möglicherweise riskanten Versuch zu unternehmen, die Kirchenfernen zu aktivieren und ins kirchliche Leben einzubinden, arbeiten Pastoraltheologen und Religionssoziologen seit Jahrzehnten daran, das Phänomen der „distanzierten Mitgliedschaft“ als eine legitime Option darzustellen, die zu respektieren und sogar wertzuschätzen sei.“

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Die Kirche müsse, so Hartmann, nicht Mitglieder, sondern Jünger anwerben. Eine Kirche, die vorrangig die Bedürfnisse und Befindlichkeiten ihrer Mitglieder im Blick habe, könne schwer missionarisch wirken. Das zeige sich schon auf lokaler Ebene, wenn die Angebote der Pfarrei ganz auf die Interessen und Vorlieben eines kleinen Kreises von Unentwegten zugeschnitten seien.

Hartmann räumt ein, dass der Prozess von der Großkirche zur entweltlichen Kirche schwer vorstellbar und schmerzhaft sei. Es reiche nicht, die Kirche im Maßstab zu verkleinern. Zugehörigkeit könne nicht mehr über formale Mitgliedschaft, sondern müsse durch persönliche Beziehung und aktive Teilnahme am religiösen und sozialen Leben der Gemeinde darstellen.

Das Ziel sei letztlich die „entweltlichte“, „von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche“, wie Papst Benedikt XVI. sie sich im Jahr 2011 im Freiburger Konzerthaus ausmalte, die sich „besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden“ könne. DT/sdu/jra

Stefan Hartmanns ganze Analyse der Kirchenaustrittswelle finden Sie in der nächsten Print-Ausgabe der „Tagespost“.

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