Weisheit und Gelassenheit sind die Markenzeichen kluger Seelsorger. Der ehemalige Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, erklärte dieser Tage, er sehe „weder Risiken noch Gefahren“ in der Feier der „alten Messe“. Das Entspannungssignal des 82-jährigen Kardinals fällt nicht vom Himmel: Ende Oktober werden Traditionalisten aus aller Welt zur Summorum-Pontificum-Wallfahrt in der Ewigen Stadt eintreffen und das Heilige Jahr als das begehen, was es ist: ein Fest der Vielfalt des Katholischen.
Die Aufregung, die sich nach dem Motu proprio „Traditionis custodes“, das die Feier der alten Messe einschränkte, bei den Anhängern der überlieferten Form des römischen Ritus bemerkbar machte, hat sich inzwischen gelegt. Die Rezeptionsgeschichte des Dokuments zeigt, dass niemand zweimal in denselben Fluss steigt. Auch die Liturgiegeschichte wiederholt sich nicht einfach.
Flashback in die 70er-Jahre
Zweifellos hat der päpstliche Vorstoß bei älteren Gläubigen einen Flashback in die traumatischen 70er-Jahre, als die Feier der alten Messe faktisch verboten war, ausgelöst. Doch tatsächlich hat Papst Franziskus der Tradition nicht das Wasser abgegraben. Die wenigsten Bischöfe streiten heute passioniert über liturgische Fragen. Jeder Hirte, dem an der Verbreitung des Glaubens liegt, wird sich gut überlegen, ob er einen Motor der Neuevangelisierung in seinem Bistum abwürgt.
Wer sich in Seminaren und auf Jugendwallfahrten umschaut, kann beobachten, wie sehr die Gläubigen von den Traditionalisten profitieren. Unter den jungen Priestern schätzen viele den überlieferten Ritus, und dasselbe gilt für die Laien, die ihre Sonntagspflicht erfüllen.
Der dümmste aller Einwände gegen die Traditionalisten, demzufolge sie im Grunde vorkonziliar tickten, dürfte nördlich der Alpen mit dem Synodalen Weg obsolet geworden sein: Wer die rechtlich nullwertigen Beschlüsse des Synodalen Wegs parallel zur Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ liest, staunt, wie weit sich Anhänger des Novus ordo vom Sakramentenverständnis und Kirchenbild der Konzilsväter entfernen können. Das konziliare Feuer der katholischen Erneuerung wird heute von altrituellen Gläubigen zuverlässiger gehütet als in synodalbewegten Reformgemeinden mit demonstrativ gehisster Regenbogenfahne und Segnungsangebot für gleichgeschlechtliche Paare.
Unvoreingenommene Neugier ehrlicher Gottsucher
Der Nährboden, auf dem der alte Ritus heute wächst, besteht nicht aus der Nostalgie vermeintlich Ewiggestriger, sondern aus der unvoreingenommenen Neugier ehrlicher Gottsucher, denen sich das Mysterium in der überlieferten Form besser erschließt. Jungen Kirchenfernen öffnet der Ritus die Tür zur Konversion, auch weil die Chancen, gläubige Gleichaltrige und Familien mit Kindern zu treffen, in den altrituellen Gemeinden vergleichsweise höher sind: Wer würde einem Taufbewerber, der sich trotz des Gegenwinds der säkularen Gesellschaft für die katholische Kirche entscheidet, das Wirken des Heiligen Geistes absprechen, weil er die altrituelle Personalgemeinde einer Pfarrgemeinde samt BDKJ-Gruppe und kreativem Liturgieausschuss vorzieht?
Sowohl die Corona-Pandemie als auch die Mentalität der Generation Z, die sich weiter munter zu Tradiwallfahrten anmeldet und mit den Füßen abstimmt, haben die Resilienz der Anhänger des alten Ritus unter Beweis gestellt. „Traditionis custodes“ ist zu einer Fußnote der Kirchengeschichte geworden, während die Traditionalisten im Heiligen Jahr allen Grund zum Feiern haben. Auch der Petersdom steht ihnen dieses Mal wieder für die Feier des Messopfers offen. Damit schließt sich eine Wunde. Kardinal Bagnasco ist zuzustimmen: Wenn die Dinge ruhig und in wohlwollender Haltung aller angegangen würden, sollte es keine weiteren Probleme geben. Dass die alte Messe wieder ihren Platz in der Kirche hat – wer wollte das bestreiten?
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.









