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Der Vatikan zwischen allen Stühlen

Mit „Fiducia supplicans“ haben sich Papst Franziskus und sein Glaubenspräfekt der Kritik von allen Seiten ausgesetzt. Warum das ein Grund zur Dankbarkeit ist.
Papst Franziskus und die Rezeption von "Fiducia supplicans"
Foto: IMAGO/IPA/ABACA (www.imago-images.de) | Die Kirche darf Papst Franziskus für die Approbation dieses Schreibens durchaus dankbar sei. Es ist möglich, mit ihm korrekt umzugehen.

Ja, „Fiducia supplicans“ („flehendes Vertrauen“), die von Papst Franziskus approbierte „Erklärung über die pastorale Sinngebung von Segnungen“, stiftet Verwirrung – auch wenn sie das erklärtermaßen gar nicht beabsichtigt. Die Frage ist nur: warum? Weil es sich bei ihr um einen theologisch unannehmbaren, in sich widersprüchlichen und/oder unverständlichen Text handelt? Oder vielleicht doch eher wegen der Hartherzigkeit seiner Rezipienten?

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Zunächst: Der Text als solcher mag kein „großer Wurf“ sein. Zumindest haben weder die Stringenz der Gedankenführung noch die Formulierungen den Autor dieser Zeilen an irgendeiner Stelle zum Zunge-Schnalzen verleitet. Auch sein Unterhaltungswert ist recht begrenzt. Nur: Ist es die Aufgabe eines solchen Schreibens, seine Leser zu unterhalten? Und dürfen seine Autoren nicht auch dann mit jenem „Vorschuss an Sympathie“ rechnen, „ohne den es kein Verstehen gibt“ (Papst Benedikt XVI.), wenn sie Papst Franziskus dienen?

 „Herabsteigender“ und „aufsteigender“ Segen

Nach der gewissenhaften Lektüre des Textes kann es keinen berechtigten Zweifel daran geben, dass der Text weder die kirchliche Lehre über die Ehe noch die Sexualmoral der Kirche auf den Kopf stellt. Im Gegenteil: Die Gültigkeit von beidem wird vielmehr bekräftigt und bestätigt. Wie der Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, Victor Manuel Kardinal Fernández, in der „Präsentation“ schreibt, bestehe der „Wert des Dokuments“ darin, „einen spezifischen und innovativen Beitrag zur pastoralen Bedeutung von Segnungen zu liefern“ und „das klassische Verständnis von Segnungen zu erweitern und zu bereichern“.

Unterschieden wird sodann zwischen einem von Gott zu den Menschen „herabsteigenenden“ Segen, der erfordere, „dass das, was gesegnet wird, dem Willen Gottes entspricht“ (Nr. 9), und einem „aufsteigenden Segen“, der „vom Menschen ausgeht und sich auf seine Mitmenschen ,erstreckt‘“ (Nr. 17). Diese letztere Form könne auch von allen Menschen erbeten werden, einschließlich solcher, die in irregulären Beziehungen leben. Nach Ansicht des Heiligen Vaters drückt die Bitte um einen solchen Segen die „Bitte um Gottes Hilfe aus, eine Bitte, besser leben zu können, das Vertrauen auf einen Vater, der uns helfen kann, besser zu leben“ (Nr. 21).

Realist oder Romantiker

Die Segensbitte bezieht sich also nicht auf die irreguläre Beziehung, sondern auf die Personen, die in einer solchen leben. Auch sie darf die Kirche laut „Fiducia supplicans“ der unendlichen Liebe Gottes versichern. Unter Berufung auf die heilige Therese von Kinde Jesu wird sodann erklärt, dass „allein das Vertrauen“ zu jener Liebe führe, „die alles schenkt. Mit dem Vertrauen fließt die Quelle der Gnade in unser Leben über …. Die angemessenste Haltung ist daher, das Vertrauen unseres Herzens außerhalb von uns selbst zu verankern: in der unendlichen Barmherzigkeit eines Gottes, der grenzenlos liebt …. Die Sünde in der Welt ist unermesslich, aber nicht unendlich. Die barmherzige Liebe des Erlösers hingegen ist wahrhaft unendlich“ (Nr. 22).

Natürlich kann man sich fragen, ob denn diejenigen, die einen solchen Segen erbitten, tatsächlich Gottes Hilfe für die Besserung des eigenen Lebens erbitten, oder ob sie nicht stattdessen vielmehr nach einer das Gewissen beruhigenden Form der Legitimation ihres ungeordneten Lebens suchen. Und wer mehr Realist als Romantiker ist, wird wohl annehmen müssen, dass das Zweite deutlich häufiger vorkommen wird. Auch darf man sich fragen, ob Paare, die in irregulären Verhältnissen leben, zwischen einem „herabsteigenden“ und einem „aufsteigenden“ Segen unterscheiden, wenn sie eine Segnung erbitten. Mehr noch, ob die Geistlichen dies tun, die mit einer solchen Segensbitte konfrontiert werden. Realisten werden auch hier beides mit „eher nicht“ beantworten müssen.

Anstoß nehmen an einem neuen Kanal der Gnade?

Folgt aus all dem aber nun auch, dass man diesen als Paare auftretenden Menschen einen solchen „aufsteigenden Segen“ verwehren muss? In „Fiducia supplicans“ wird diese Frage jedenfalls mit Nein beantwortet, und dafür gibt es gute Gründe, auch wenn diese dort gar nicht alle ausgeführt werden. Zunächst einmal infiziert der mögliche Missbrauch eines Gutes oder einer Regelung niemals deren rechten Gebrauch. Daher muss der mögliche Missbrauch einer Regelung auch nicht – jedenfalls nicht zwingend – von dem berücksichtigt werden, der sie erlässt.

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Es ist ein Gebot der Klugheit, Missbrauch, wo möglich, einen Riegel vorzuschieben. Nur ist das oft gar nicht möglich. Und wer etwas Gutes unterlässt, aus Angst es könne auch missbraucht werden, der macht sich der Unterlassung schuldig und kann sich nicht darauf zurückziehen, einen Missbrauch verhindert zu haben. Verantwortung trägt jeder nur für seine Taten. Im Gleichnis von den Talenten trifft der Zorn des Herrn denjenigen Verwalter, der sein Talent vergräbt, statt mit ihm zu wirtschaften. Die Kirche wirtschaftet gewissermaßen mit der Gnade Gottes. Mit der „Erweiterung“ des „klassischen Verständnisses von Segnungen“ soll offenbar ein neuer Kanal der Gnade Gottes für jene eröffnet werden, denen die anderen versperrt sind.

Wie es in der Erklärung heißt, könne diese Art von Segen „allen angeboten“ werden und ihnen vermitteln, dass sie „trotz ihrer Fehler gesegnet bleiben“ und dass „der himmlische Vater weiterhin ihr Wohl“ will und hofft, „dass sie sich schlussendlich dem Guten öffnen“ (Nr. 27). Es gebe „verschiedene Anlässe, bei denen Menschen spontan um einen Segen bitten, sei es auf Wallfahrten, an Wallfahrtsorten oder sogar auf der Straße, wenn sie einem Priester begegnen“. Solche Segnungen richteten „sich an alle, niemand kann ausgeschlossen werden“ (Nr. 28). Daher könne ein geweihter Seelsorger – auch wenn es verboten sei, für diese Fälle „Verfahren oder Riten“ zu aktivieren – sich dem Gebet jener Personen anschließen, die, „obwohl sie sich in einer Verbindung befinden, die in keiner Weise mit der Ehe verglichen werden kann, sich dem Herrn und seiner Barmherzigkeit anvertrauen, seine Hilfe erflehen und sich zu einem besseren Verständnis seines Planes der Liebe und des Lebens führen lassen wollen“ (Nr. 30).

Wer daher an „Fiducia supplicans“ Anstoß nimmt, hat Grund sich zu fragen, ob er nicht in die Rolle des daheimgebliebenen, rechtschaffen lebenden Sohnes schlüpft, der im Gleichnis vom verlorenen Sohn seinem heimgekehrten Bruder die Zuneigung und Aufmerksamkeit neidet, die der Vater diesem entgegenbringt. In „Fiducia supplicans“ machen sich der Papst und sein ihn ausführlich zitierender Präfekt, wie es scheint, auf die Suche nach dem verlorenen Söhnen. Sie gehen an die Ränder und versichern jene der rückhaltlosen Liebe Gottes, die ihr Leben anders eingerichtet haben, als Gott es nach der Lehre der Kirche für gut und richtig erachtet. Man fühlt sich an Jes 42,3 erinnert, wo es heißt: „Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus.“

Niemand ist nur Sünder. Niemand ist völlig frei von Sünde und Schuld

Offenbar fühlen sich die dabei Zurückgelassenen nicht ausreichend wertgeschätzt und „gesehen“. Zugegeben, es ist sehr menschlich, für das Gute, das man tut, Beachtung finden zu wollen und das Schlechte, das man unterlässt, verurteilt sehen zu wollen. Aber es ist eben weder der Weg Gottes, noch zeugt es von einem besonders reifen Christentum. Das Gute zu tun, welches ohne die Gnade Gottes, dem Menschen mit seiner zur Sünde neigenden Natur gar nicht möglich ist, ist Belohnung genug. Es gibt nämlich streng genommen für den Menschen gar nichts Größeres, als „richtig“ zu sein, also im vollkommenen Einklang mit dem Willen Gottes zu leben. Und wer könnte schon behaupten, dies träfe auf ihn zu?

Der Evangelist Matthäus berichtet von einem Dialog Jesu mit den Pharisäern, die Anstoß daran nehmen, dass Jesus Gemeinschaft mit Zöllnern und Sündern pflegt. Der Herr antwortet: „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Geht und lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer! Denn ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder“ (Mat 9,12-13). So wie Jesu den Pharisäern, so ruft uns Papst Franziskus immer wieder eine unbestreitbare Tatsache ins Gedächtnis: Niemand ist nur Sünder. Und niemand ist völlig frei von Sünde und Schuld. Und weil das so ist, unterscheiden sich die Menschen aus der Perspektive Gottes auch nicht fundamental voneinander, sondern immer nur graduell. Was des einen ungeordnete Sexualität ist (die es im Übrigen auch in Ehen geben kann), ist des anderen Stolz, Neid, Habgier, Trägheit et cetera. Und da überdies nur Gott in den Herzen der Menschen zu lesen vermag, gibt es tatsächlich auch für niemanden „Anlass zu einem narzisstischen und autoritären Elitebewusstsein, wo man anstatt die anderen zu evangelisieren, die anderen analysiert und bewertet, und anstatt den Zugang zur Gnade zu erleichtern, die Energien im Kontrollieren missbraucht“ (Nr. 25). Zugegeben, es sind harte Worte, die das Dokument hier seinen Lesern zumutet. Aber, macht sie das falsch?

Grund zur Dankbarkeit

Die Kirche darf Papst Franziskus für die Approbation dieses Schreibens durchaus dankbar sei. Es ist möglich, mit ihm korrekt umzugehen. Wer dies verweigert und es stattdessen für seine eigenen Interessen instrumentalisiert, wird sich dafür einmal vor seinem Schöpfer verantworten müssen. Es ist nicht Aufgabe des Papstes, den Missbrauch von etwas, das auch in rechter Weise gebraucht werden kann, unter allen Umständen zu verhindern. Wohl aber gehört es zu den vorrangigen Aufgaben eines Pontifex, jenen Brücken zu bauen, die sich weit von dem entfernt haben, was nach der Lehre der Kirche für gut und richtig befunden werden kann.

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