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Beruf Pfarrer: Hirte, Vater, Bräutigam

Der Pfarrer ist mehr als ein Verwalter – Liebeserklärung an einen unterschätzten Beruf.
Abbé François Dedieux
Foto: Archiv

Wer über die Kirche spricht und denkt, dass Reformen angebracht, ja notwendig wären, muss sich immer die klare Aussage des heiligen Papstes Paul VI. vergegenwärtigen: „Die Kirche (…) ist da, um zu evangelisieren“ (Evangelii Nuntiandi, 14). Diese Aussage wurde von seinen Nachfolgern weitgehend übernommen, bis hin zu Papst Franziskus. In seinem programmatischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ (Die Freude des Evangeliums) befasst er sich in dieser missionarischen Perspektive mit der Pfarrei und ihrem Hirten: „Die Pfarrei ist keine hinfällige Struktur; gerade weil sie eine große Formbarkeit besitzt, kann sie ganz verschiedene Formen annehmen, die die innere Beweglichkeit und die missionarische Kreativität des Pfarrers und der Gemeinde erfordern. (…) Durch all ihre Aktivitäten ermutigt und formt die Pfarrei ihre Mitglieder, damit sie aktiv Handelnde in der Evangelisierung sind. Sie ist eine Gemeinde der Gemeinschaft, ein Heiligtum, wo die Durstigen zum Trinken kommen, um ihren Weg fortzusetzen, und ein Zentrum ständiger missionarischer Aussendung.

Zwei tief miteinander verbundene Realitäten

Wir müssen jedoch zugeben, dass der Aufruf zur Überprüfung und zur Erneuerung der Pfarreien noch nicht genügend gefruchtet hat, damit sie noch näher bei den Menschen sind, Bereiche lebendiger Gemeinschaft und Teilnahme bilden und sich völlig auf die Mission ausrichten.“ (Nr. 28)

In der Kirche sind wir so daran gewöhnt, über die Pfarrei und den Pfarrer zu sprechen, dass wir manchmal bei oberflächlichen und wenig dynamischen Begriffsbestimmungen stehenbleiben. Was ist eine Pfarrei? Was ist ein Pfarrer? Ist das für die Kirche einfach nur eine Weise, sich zu verwalten und zu organisieren? Die Pfarrei und der Pfarrer sind zwei so tief miteinander verbundene Realitäten, dass sie ohne einander nicht existieren können. Die Pfarrei ist die Gestalt der Weltkirche auf einem Teilgebiet und der Pfarrer ist die Gestalt Christi, des Guten Hirten und Bräutigams der Kirche. Die Kirche ist nichts ohne Christus.

Pfarrei ist Abbild des Leibes Christi

Vor fast einem Jahrhundert schrieb Pater Athanasius Wintersig, ein Mönch der Abtei Maria Laach: „Zwar nicht in so vollkommenem Sinne wie das Bistum, aber dennoch wirklich und wesentlich ist die Pfarrei ein Abbild, eine organische, das Leben des Ganzen in sich spiegelnde und beschließende Zelle des Leibes Christi, welcher die Kirche ist“ („Pfarrei und Mysterium“, in: Jahrbuch für Liturgiewissenschaft, Bd. 5, 1925). Einige Ausdrücke sollten sich in den Texten des Konzils wiederfinden.

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Die Kirche setzt sich, wie wir wissen, weder nur aus Priestern noch nur aus Laien zusammen. Sie ist ein Leib – der Leib Christi –, in dem jedes Glied wichtig ist und seinen Platz hat. Wir kennen sehr wohl die Versuchung, uns dem anderen widersetzen oder seinen Platz einnehmen zu wollen, und manchmal erliegen wir ihr leider auch. Angesichts des Spalters, dessen Werk wir erkennen können, sobald es Widerstand, Unstimmigkeiten, Störungen, Lüge oder Willen zur Macht gibt, besteht die Kirche, vor allem seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, auf einer Ekklesiologie der Gemeinschaft.

Pfarrer und Gläubige sind gesandt zu evangelisieren

Auf unserer bescheidenen Ebene – denn es hilft nicht, große Reden darüber zu schwingen, was die Kirche sein sollte, wenn wir nicht nach dem Evangelium leben – können wir in diese Ekklesiologie der Gemeinschaft eintreten, indem wir wiederentdecken, was die Pfarrei und der Pfarrer sind. Es ist der Weg des Evangeliums, der uns für die Gemeinschaft mit Gott und untereinander öffnet. Gemeinsam – jeder entsprechend dem Charisma, das er vom Heiligen Geist und dem Auftrag, den er von der Kirche empfangen hat – sind der Pfarrer und seine Gemeindemitglieder gesandt, die Menschen des Gebiets zu evangelisieren, das die Pfarrei bezeichnet.

Mit anderen Worten: Die Kirche – und das trifft auch auf unsere Pfarreien zu, die Zellen der Kirche sind – wird die Schwierigkeiten und Spannungen, die sie erfahren kann, nur ausräumen können, wenn wir aufhören, einander anzusehen, indem wir uns miteinander vergleichen so wie Kain und Abel. Nur indem wir annehmen, was Gott aus jedem gemäß dem Geschenk der Gnade gemacht hat, und indem wir gemeinsam in einer Bewegung der Anbetung auf Christus schauen sowie auf die anderen, zu denen wir gesandt sind, um Christus zu verkünden, können wir wirklich gemeinsam vorangehen.

Pfarrei als „kirchliche Familie“

Wir gehen also gemeinsam auf Christus zu, indem wir unsere Pfarreien zu echten eucharistischen Gemeinschaften machen. Und wir gehen gemeinsam auf die anderen zu, indem wir unsere Pfarreien zu echten missionarischen Gemeinschaften machen. Das Konzil verwendet den Ausdruck „kirchliche Familie“, um von der Pfarrei zu sprechen (Dekret Apostolicam Actuositatem über das Laienapostolat, 10). So begreifen wir, dass die Gemeinde weder eine Verwaltungseinheit noch eine Gebietseinteilung ist. Sie ist vor allem eine Gemeinschaft, genauer eine Gemeinschaft von Brüdern, der ein Vater vorsteht.

Der Pfarrer hat eine ganz besondere und unersetzbare Rolle. Er ist der „eigene Hirte“ einer Pfarrei, so wie der Bischof der „eigene Hirte“ einer Diözese ist. Das bedeutet, dass er in seinem eigenen Namen handelt in Gemeinschaft mit seinem Bischof. Er „vertritt den Bischof“, sagt das Konzil (vgl. Sacrosanctum Concilium, 42). Das Wesentliche, das man über den Bischof im Hinblick auf seine Beziehung zur Diözese sagen kann, lässt sich analog auf den Pfarrer im Hinblick auf seine Pfarrei anwenden. So ist der Pfarrer Hirte einer Pfarrgemeinschaft, die er zum Himmel zu führen hat, Bräutigam dieser Pfarrei, der er für immer gegeben ist, und Vater dieser Pfarrfamilie, über die er wacht. Diese drei Dimensionen sind wichtig. Sie verdienen eine genauere Ausführung.

Der Pfarrer ist Horte und Dirigent

Der Pfarrer ist Hirte. Das heißt nicht, dass er alles macht und die gläubigen Laien ihm nur wie dumme Schafe zu folgen haben! Er hat nicht alle Vorzüge, Kompetenzen oder Charismen. Aber er hat den Auftrag – und die damit verbundene Gnade – erhalten, den Teil des Gottesvolks zu führen, der ihm anvertraut ist, und mit ihm zum Himmel zu ziehen, manchmal vor der Herde, manchmal in ihrer Mitte und manchmal an ihrem Ende, wie Papst Franziskus zu sagen pflegt. Trotz seiner Schwächen und seiner Sünden, die ihn auf seine notwendige Bekehrung verweisen, ist er ein Zeichen Christi, des Guten Hirten.

Er ist wie ein Dirigent, der jedem Instrument erlaubt, die Sinfonie entsprechend seiner Klangfarbe zu bereichern. Die Ausführung des Werks ist umso schöner, je größer der Einklang der Musiker ist. Dasselbe gilt für unsere Pfarrgemeinden. Was würden wir über einen Geiger sagen, der die Noten des Trompeters spielen, auf den Dirigenten verzichten und die Bombarde zum Schweigen bringen wollte? Der Pfarrer spielt eine ganz wichtige Rolle bei der Beurteilung der Charismen, die der Heilige Geist den Mitgliedern seiner Gemeinde zum Wohl und Wachstum der Kirche gewährt hat.

Der Pfarrer ist Bräutigam und Vater

Der Pfarrer ist Bräutigam. Der selige Alain de Solminihac, Bischof von Cahors in Frankreich im siebzehnten Jahrhundert, hat zu Ludwig XIII. gesagt: „Sire, Sie haben mir kein Bistum geschenkt, Sie haben mich einem Bistum geschenkt“. Jeder Hirte – und folglich jeder Pfarrer – sollte dasselbe von sich sagen. Trotz aller Unzulänglichkeiten von Vergleichen können wir vom Pfarrer als dem Bräutigam seiner Pfarrei sprechen. Das stellt uns natürlich Fragen hinsichtlich unserer Art und Weise einander anzunehmen. Er ist Zeichen Christi, des Bräutigams der Kirche, der sich ihr hingegeben hat.

Der Pfarrer ist Vater. Er ist Vater all seiner Gemeindemitglieder, auch wenn er diese Vaterschaft auf ganz besondere Weise lebt, wenn er in der Osternacht die Erwachsenen tauft. Wie der heilige Josef hinsichtlich der Jungfrau Maria entdeckt er sich selbst als glücklicher Vater derer, die seine Gemeinde mitbringt und die in ihr durch den Heiligen Geist hervorgebracht worden sind. Diese Söhne und Töchter Gottes sind ihm anvertraut, damit er seine väterliche Aufgabe wahrnehme – ohne beherrschenden Einfluss natürlich, falls das klargestellt werden muss –, sie auf ihrem Weg des Wachstums und der Freiheit zu begleiten.

Die Pfarrei als Geheimnis der Kirche

Die Aufgabe des Pfarrers ist schön. Unsere Pfarreien sind schön. Die Verbindung zwischen einer Pfarrei und ihrem Pfarrer ist schön. Das ist das Geheimnis der Kirche. Diese Schönheit ist oft unter den Schichten unserer Sünde, unseres Hochmuts, unserer Konflikte oder unserer zunehmenden Erschlaffung und unseres Mangels an Eifer begraben. Wir haben die Kirche manchmal mit einer weltlichen Organisation verwechselt – wenngleich diese notwendig ist – und vergessen, dass ihre Daseinsberechtigung die Evangelisierung und ihr Zweck der Himmel ist.

Und somit den Pfarrer als Verwalter einer Struktur angesehen. Es ist jedoch das durch das Konzil hervorgehobene Geheimnis der Kirche, dass wir aufgefordert sind, mit dem Pfarrer in unserer Gemeinde zu leben. Eine strahlende Gemeinde, geführt von einem Hirten, der sein Leben für sie hingibt wie ein Mann für seine Ehefrau, in der jeder sich dem Charisma entsprechend engagiert, das er vom Heiligen Geist empfangen hat, wie eine Familie, offenbart auf lokaler Ebene das Geheimnis der Kirche und entspricht ihrer Berufung, die Welt in einem Teilgebiet zu evangelisieren. Sie ist ein Licht, das nicht verborgen ist, sondern auf einem Leuchter erglänzt.

Übersetzung aus dem Französischen von Claudia Reimüller.
Der Autor ist seit 2002 Pfarrer der Gemeinde Saint-Urbain-Sainte-Marie in La Garenne-Colombes (Hauts-de-Seine) und hat kürzlich im Artèges-Verlag das Buch „Curé à durée indéterminée“ (Pfarrer auf unbestimmte Zeit) publiziert.

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