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Bätzing: Kirche und Politik sitzen im gleichen Boot

Der Glaube „droht zu verdunsten“, meint der DBK-Vorsitzende. Wie der europäische Nuntius Noël Treanor sieht er die Kirche trotzdem in politischer Verantwortung.
Georg Bätzing auf dem Sankt Michael-Jahresempfang
Foto: Gordon Welters (KNA) | „Schön, dass Sie alle hier sind! Ich danke Ihnen dafür. Dieser Dank ist sehr ernst gemeint, denn angesichts des Zustands der Kirche kann man sich ja schon fragen, ob man zum Empfang der Katholiken gehen soll.“ Georg ...

Vor dem Hintergrund der rekordhohen Austrittszahlen aus der katholischen Kirche hat der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, die bleibende Bedeutung der Kirche für den gesellschaftlichen Zusammenhalt beschworen. Die Kirche werde „nicht müde“, eine Integrationsleistung „für unsere Gesellschaft zu erbringen“.

Vor etwa 500 Gästen, darunter auch Bundeskanzler Olaf Scholz, sagte Bätzing am beim St. Michaelsempfang des katholischen Büros in Berlin, die „alten Logiken der strukturellen Zugehörigkeit“, die von einem „Gegenüber von Klerus und Laien und von strengen kollektiven Normen“ und „drohenden Sanktionen“ geprägt gewesen seien, funktionierten nicht mehr. Als Institution brauche die Kirche mehr Transparenz, Partizipationsmöglichkeiten und nachvollziehbare Selbstverpflichtung; dies sei beim Synodalen Weg „im Blick“ gewesen. „Neue Formen“, die dies berücksichtigten, würden Zusammenhalt und Zusammenleben fördern, und somit die gesellschaftlichen Erosionsprozesse aufhalten. Als Kirche sitze man daher mit der Politik „im gleichen Boot“. Die Fähigkeit der Kirche, Menschen für das Evangelium zu gewinnen, nehme mit jeder Generation ab; der Glaube an Gott drohe „zu verdunsten“, so Bätzing wörtlich. Doch die „Bindungsfrage“ stelle sich „in ähnlicher Weise“ auch in „Politik, Vereinen, Ehrenamt“.

Verantwortung tragen in Zeiten der Krise

Auch „in Zeiten der Krise und des Umbruchs“ wolle sich die Kirche nun „nicht zurückziehen“, sondern „Verantwortung tragen“. Man wolle sich in Zukunft daran messen lassen, für den Schutz des Lebens einzutreten, und die Würde und Rechte derjenigen verteidigen, die am Rand der Gesellschaft stünden: „Benachteiligte, Kranke, Menschen mit Beeinträchtigung, Flüchtlinge“. Dabei spiele es keine Rolle, „wie unsere Anliegen im politischen Diskurs tatsächlich aufgegriffen werden oder mit wem wir uns gut oder schlecht stellen“. Entscheidend sei, sich aus dem Glauben heraus „für die Menschen und das Wohl der Gesellschaft“ einzusetzen. Eine Kirche, die sich von der Gesellschaft fernhalte, sei nicht vorstellbar, wobei es nicht „primär die entscheidende Rolle“ spiele, „wie viele Mitglieder wir haben.“

In ähnlicher Weise äußerte sich auch der Apostolische Nuntius bei der europäischen Union, Erzbischof Noël Treanor, der als Gastredner geladen war. „Wichtig“ nannte Treanor in seinem Vortrag „die Orientierung, die die christliche Botschaft in die Politik hineinzugeben vermag.“ Dazu gehöre „der Schutz des menschlichen Lebens, des geborenen wie ungeborenen, des einheimischen wie des zugezogenen oder geflüchteten“, aber auch der Schutz „globaler Gemeingüter“ und die „Bewahrung der Schöpfung“. Die Kirche werde den Dialog suchen, um sich für eine bessere Welt einzusetzen. Tragende Pfeiler einer solchen seien, so der nordirische Bischof, eine „stabile europäische Union und Frieden in Europa“.

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Besorgt äußerte sich Treanor in diesem Zusammenhang über den Zustand der europäischen Demokratien. Diese seien betroffen von einer „Polarisierung der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung“, die mit einem Vertrauensverlust in demokratische Institutionen einhergehe. Die Kirche sei dabei in der Verantwortung, „dem Extremismus, dem Populismus, und jeglicher Form von Menschenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten“. Doch „nicht nur die Feinde der Demokratie, sondern auch ihre Freunde“ trügen zum Vertrauensverlust bei, wenn „Behauptungen (…) als Fakten präsentiert, der Wettbewerb der besten Argumente (…) in Teilen durch Stimmungsmache ersetzt und die Kunst des demokratischen Kompromisses aufgegeben“ werde.

„Wir alle“, so Treanor, sind aufgerufen, „präzise mit Fakten umzugehen, Komplexität nicht zugunsten unserer eigenen Meinung praktisch zu verkürzen, sondern sie besser zu kommunizieren und zu erklären.“ Ein gutes Beispiel sei die Energie- und Wärmewende: „Wir müssen uns ihrer Notwendigkeit stellen und den Menschen ohne Scheu sagen, dass diese Wende unser aller Leben im Alltag betrifft, es ändern wird und es auch ändern muss. Zugleich muss für diejenigen, die bei diesem Transformationsprozess unserer Unterstützung bedürfen, gut erkennbar sein, dass sie diesen Prozess nicht alleine stemmen müssen und Unterstützung erhalten.“

Zum St. Michaelsempfang lädt das katholische Büro in Berlin im Auftrag der deutschen Bischofskonferenzen jedes Jahr hochrangige Gäste aus Kirche, Politik, Gesellschaft und Medien ein. Der Empfang ist nach dem Erzengel Michael, dem Schutzpatron Deutschlands, benannt und gilt als das wichtigste regelmäßige Treffen zwischen Vertretern von Politik und Kirche in Deutschland. (jra)

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