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Ablösung der  Staatsleistungen ohne Gegenleistung?

Der alte Zopf des Kirchensozialismus  gehört ab. Eine  Replik auf Bernhard Emunds .
Beendigung der Staatsleistungen
Foto: Peter Steffen (dpa) | Die Forderung nach Beendigung der Staatsleistungen an die Kirchen wird immer wieder erhoben.

Schon lange fordern Kirchenkritiker hierzulande die Beendigung der sogenannten Staatsleistungen an die großen Kirchen. Und zwar ohne irgendeine Gegenleistung. Jetzt fordert dies mit Bernhard Emunds auch ein katholischer Lehrstuhlinhaber. Emunds ist Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an der Hochschule St. Georgen und Leiter des dortigen Nell-Breuning-Instituts. Seine Thesen haben gleich für positive Schlagzeilen gesorgt. Worum geht es? Was sind die Argumente? Und wie sind sie einzuordnen?

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Definition der Staatsleistungen

Zunächst zu den Staatsleistungen: Hierbei geht es derzeit um etwa 600 Millionen Euro, die der deutsche Staat an die evangelische und die Katholische Kirche zahlt   als Ausgleich für begangenes Unrecht vor allem im 19. Jahrhundert. Sprich: für gewaltige Enteignungen von Kirchengütern, mit denen die Kirchen hätten weiter wirtschaften und Erträge erzielen können. Die Entschädigungsleistungen sowie das angestrebte Ziel ihrer Ablösung durch eine Einmalzahlung an die Kirchen sind im Grundgesetz festgelegt.

Auch Tschechien kannte ein ähnliches System von Staatsleistungen, welches ein Ausgleich für das durch den Sozialismus begangene Unrecht an den Kirchen sein sollte. Der tschechische Staat hat diese inzwischen durch die Zahlung einer Ablösesumme beendet. Ausdrückliche Kirchengegner wie der sogenannte "Bund der Freigeister" oder die "Humanistische Union" fordern in Deutschland dagegen die Beendigung der Leistungen ohne Ablösesumme. Das mag nicht verwundern, da diese ausdrücklich atheistischen Vereinigungen schon lange propagieren, die Gesellschaft solle sich die Kirchen sparen und auch die Kirchensteuern sowie alle kirchlichen Privilegien abschaffen. Wenn nun aber ein einflussreicher katholischer Sozialethiker ebenso eine ersatzlose Streichung der Staatsleistungen fordert, lässt das aufhorchen. 

Gründe nicht zu vermitteln

Was sind nun seine Argumente? Die Gründe für die Staatsleistungen seien heute nicht mehr zu vermitteln. Gleiches gelte für eine mögliche hohe Ausgleichszahlung des Staates an die Kirche. Hier spricht Emunds ausdrücklich nur von der Katholische Kirche und führt die Missbrauchsskandale wie die mangelnde Glaubwürdigkeit der Kirche an. Es sei nicht hinzunehmen, dass der Staat "ohne Gegenleistung" der Kirche Geld überweise. Es sei ein Gebot pragmatischer Klugheit, dass die Kirche deshalb auch auf die Zahlung von Milliarden als Ablösesumme verzichte. Das brächte ihr ansonsten nur wieder einen neuen "Shitstorm" ein.

Staatsleistungen an die Kirche
Foto: Adobe Stock; Leonie Roth | Staatsleistungen an die Kirche

Der ersatzlose Wegfall der Zahlungen gefährde nicht die Finanzen der Kirche, machen sie doch nur etwa vier Prozent im Vergleich zu den Kirchensteuereinnahmen aus. Auch werde die Kirche unweigerlich weiter schrumpfen. Dadurch würden sich die Kosten für ihre Aufgaben immer weiter reduzieren. Die Kirchensteuer solle also erhalten bleiben, so Emunds, und deren Verwendung vor allem von Laien in den entsprechenden Gremien kontrolliert werden. Hierzu wünscht sich der Nachfolger von Friedhelm Hengsbach SJ neben einer Offenlegung aller kirchlichen Vermögenswerte auch eine finanzielle Zentralisierung kirchlicher Finanzen und Vermögen, Kontrolle und Verwaltung. Das schaffe Transparenz, stärke die Finanzierung gemeinsamer Prioritäten und trage dazu bei, dass finanziell schwächere Diözesen aus einem gemeinsamen Topf solidarisch unterstützt werden. 

Ein Anachronismus

Das klingt zunächst plausibel, vor allem angesichts der kirchenkritischen öffentlichen Meinung. Und gemeinsam mit dem Kölner Kirchenrechtler Christoph Ohly konstatiere ich, dass die Staatsleistungen tatsächlich ein "Anachronismus" sind. 

Es gilt tatsächlich, dem Wunsch des Grundgesetzes folgend, bald einen guten Weg zu deren Beendigung zu finden. Die ausdrücklich pragmatische Forderung, auf eine Ablösesumme zu verzichten, setzt aber nun nicht nur die evangelische Kirche unter Druck. Sie unterschätzt zugleich die damit betretene schiefe Bahn der Kirchenfinanzierung insgesamt. Die Kirchenkritiker werden natürlich jubeln und gleich als nächstes die Abschaffung der Kirchensteuer und anderer Privilegien fordern. Welche Argumente will Emunds dann noch dagegenhalten, wenn er doch behauptet, die Kirche erbringe dem Staat für seine Wohltaten keine Gegenleistung? Eigentlich muss er konsequent doch nach dem ersten auch den zweiten Schritt fordern: nämlich die Abschaffung der Kirchensteuer und anderer Privilegien.

Das tut er aber nicht. Geht es ihm vielleicht darum, an der Kirchensteuer deshalb noch festzuhalten, weil an ihr viele Arbeitsplätze hängen? Ginge er konsequent weiter den beschrittenen Weg kirchlicher Selbstbescheidung, würde er für seine Thesen sicher nicht den gewünschten Applaus ernten, stattdessen vielmehr einen Aufschrei des Protestes bei vielen Mitarbeitern der Kirche. Solche Motivation wäre zweifellos auch eine pragmatische.

Falsche Argumente

Bedauerlich an der Argumentation ist, dass die Katholische Kirche wieder einmal reduziert wird auf Missbrauch, Unglaubwürdigkeit, Intransparenz und ihre vermeintlich unumkehrbare Schrumpfung. Damit werden die hinlänglich bekannten Klischees bedient. 

Kirche ist aber viel mehr als das. Sie leistet mit zahllosen wunderbaren Menschen im Haupt- und Ehrenamt und Gottes Geist so viel Gutes nicht allein im diakonisch-caritativen Bereich, sondern auch in der Seelsorge. Hier hätte als erfrischende Note ein Akzent der Wertschätzung für diesen gelebten Schatz der Kirche im Dienst der Menschen und des Gemeinwohls gut getan. 

Der säkulare Sozialphilosoph Charles Taylor betont gerade, dass die Kirche einen wichtigen Beitrag auch für eine überwiegend säkulare Gesellschaft erbringt. Denn sie stiftet Sinn und Trost, öffnet die Tür zur Transzendenz, begründet am besten die menschliche Würde, Vergebung und ein friedliches Miteinander. Diese hierzulande im Geist pragmatischer Anschlussfähigkeit an das Säkulare oft vergessene "Gegenleistung" verdient gerade von Theologen und Kirchenvertretern eine anerkennende Ermutigung. Ein Christ folgt auch nicht einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung einer verschwindenden Kirche. Denn entgegen solcher Depression lebt die Hoffnung, dass wir trotz allem, wie der Aachener Bischöfe Klaus Hemmerle einst sagte, Wegbereiter statt Nachlassverwalter sind. Mit Gottes Geist im Herzen und an unserer Seite.

Wo bleibt die Subsidiarität? 

Weniger pragmatisch als ideologisch sind nun die Forderungen nach kirchlicher Zentralisierung und Kontrolle von Finanzen und Vermögen. Selbstverständlich braucht es eine solidarische Unterstützung der ärmeren Bistümer. Nirgendwo findet sich bei Emunds aber der Gedanke der Subsidiarität. Ob da eine etatistische Finanz- und Vermögensunion nach Vorbild der europäischen Schuldenunion, wie sie Hengsbach und Emunds einst forderten, wirklich die Lösung ist?

Die Übertragung des neu-sozialistischen Denkens auf die Kirche vertraut auf eine wohlmeinende und allwissende Zentralgewalt. Anreize für subsidiäre Effizienz und Wirtschaftlichkeit sind da nicht zu finden. Der Kirche stünde es aber gut an, mit ihrem Geld gut zu wirtschaften. Und dazu gehört auch die Berücksichtigung von Anreizen zur Wirtschaftlichkeit: in Verantwortung vor den Kirchensteuerzahlern und vor allen, für die die Kirche ihre Mission in unserer Gesellschaft erfüllt. Denn dadurch werden Ressourcenverschwendung und eine zentralistisch agierende Avantgarde vermieden. Das ist zumindest aus einer freiheitlichen Sicht sozial- und wirtschaftsethisch geboten.


Fazit:

Emunds hat recht, wenn er eine auch kirchliche Diskussion über die sinnvolle Beendigung der Staatsleistungen anstößt. Die Argumente zum Verzicht auf Ablösezahlungen verkennen aber Wesen und gelebten Auftrag der Kirche in der Gesellschaft. Ein kurzfristiger Applaus von der falschen Seite wird schnell verpuffen. Solcher Pragmatismus wird auf der damit betretenen schiefen Bahn zu noch nicht absehbaren Einschränkungen kirchlichen Engagements führen   zum Schaden der Menschen und des Gemeinwesens. Der geforderte Kirchensozialismus wird dagegen konsequent ideologisch eingefordert. Solches Denken erscheint mir   wie die Staatsleistungen   als hoffentlich bald überwundener Anachronismus.


Der Verfasser lehrt Christliche Sozialwissenschaften an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie.

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