Der Auftrag, die Staatsleistungen abzulösen, ist über 100 Jahre alt. Nun soll es konkret werden. Herr Hense, von welchem Zeitrahmen sprechen wir, wenn wir den Prozess der Ablösung in den Blick nehmen?
Die genaue Dauer kann niemand hundertprozentig prognostizieren. Nicht von ungefähr dürfte die Ablösung seit 100 Jahren nicht realisiert worden sein. Ich kann jetzt also nicht sagen, ob das zehn, 20 oder 40 Jahre dauern wird. Was nun begonnen wurde, ist, wie Max Weber sagt, das Bohren dicker Bretter. Wir lernen gerade, wie kompliziert es ist, den Ablösungsauftrag der Verfassung einzulösen.
Es gab bereits 1924 einen ersten Versuch dazu. Damals blieb es beim Referentenentwurf. Wie viel weiter sind wir jetzt?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Der Referentenentwurf aus dem Jahre 1924 ist gleichsam ein Benchmark. Es wird mitunter vermutet, dass er wegen seiner zeitlichen Nähe zur Verfassungsgebung 1919 dem Willen des Verfassungsgebers besonders entspreche. Danach hat es lange gedauert, bis es neue Entwürfe gab. 2012 gab es einen Entwurf der Fraktion „Die Linke“ und in der letzten Legislaturperiode zwei Gesetzentwürfe, die aber versandet sind. Die Koalitionsvereinbarung 2022 hat einen neuen Anstoß gegeben.
Es geht nun aktuell, wie schon 1924, um eine Grundsatzgesetzgebung. Wird in diese Phase der Gesetzgebung der Heilige Stuhl schon involviert oder ist das zunächst eine rein innerstaatliche Angelegenheit?
In der Phase der Bundesgrundsätzegesetzgebung ist die Beteiligung des Heiligen Stuhls eine Notwendigkeit. In Artikel 18 des Reichskonkordats ist diese Rechtsposition des Heiligen Stuhls normiert. Es heißt dort, dass vor der Ausarbeitung der für die Ablösung aufzustellenden Grundsätze rechtzeitig zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Reich ein freundschaftliches Einvernehmen herbeigeführt werden soll. Das gilt wegen der religionsverfassungsrechtlichen Parität auch für die evangelische Kirche und die altkatholische Kirche als Empfänger von Staatsleistungen im Sinn des Grundgesetzes.
Inwieweit sind dann in dieser Phase auch schon die Bistümer involviert?
Es ist durchaus bekannt, dass es Gespräche zwischen dem Staat und sämtlichen betroffenen kirchlichen Akteuren gibt. Und man kann wohl davon ausgehen, dass natürlich innerhalb der Religionsgesellschaften alle sich gegenseitig informieren, die möglicherweise davon betroffen sind. Auch wenn es derzeit keine förmlichen Beteiligungsmöglichkeiten gibt, weil wir noch in einem Diskussionsprozess sind, sind zumindest alle über den Stand der Entwicklung informiert.
"Bis jetzt haben sich alle Ministerpräsidenten
wohl eher sehr skeptisch gegenüber
dem Vorhaben des Bundes geäußert."
Man liest zuweilen, einzelne Bundesländer wären gar nicht so begeistert von der Ablösung. Kann man sagen, wer mehr und wer weniger bereit ist, die Ablösung in Angriff zu nehmen?
Es lässt sich ein Trend ablesen. Die Kirchen zeigen sich gesprächsbereit. Der Bund ist daran interessiert, seinen Verfassungsauftrag zu erfüllen, indem er ein Bundesgrundsätzegesetz verabschiedet. Auch wenn das Grundsätzegesetz noch nicht die Ablösung selbst ist, so gilt es doch als wichtige Etappe.
Die Bundesländer als Ablösungsschuldner, die am Ende die entsprechenden Summen aufbringen müssen, sehen dies anscheinend anders. Bis jetzt haben sich alle Ministerpräsidenten wohl eher sehr skeptisch gegenüber dem Vorhaben des Bundes geäußert.
Gehen wir davon aus, das Werk gelingt und es kommt zu einer Grundsatzgesetzgebung. Was muss ein solches Gesetz aus Ihrer Sicht zwingend enthalten?
Dies gleicht einer Quadratur des Kreises. Tatsächlich stellt sich die Frage: was sind die notwendigen Grundsätze für die Ablösung? Das Bundesgrundsätzegesetz muss ja später durch eine Landesgesetzgebung ausgeführt und ausgefüllt werden. Die Lage in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland ist sehr heterogen. Von den Hansestädten, die keine Staatsleistungen im Sinne der Verfassung zahlen, bis hin zum Bundesland Baden- Württemberg, wo die Staatsleistungen sehr hoch sind, stellt sich die Situation sehr unterschiedlich dar.
Wie können die Unterschiede berücksichtigt werden?
Man kann davon ausgehen, dass nicht zu viel geregelt werden darf, da es nur um die Aufstellung von Grundsätzen geht. Der Bund ist bei der Frage der Ablösung der sog. „ehrliche Makler“. Dies bedeutet, es muss auch eine gewisse Einheitlichkeit der Ablösungsgrundsätze gewährleistet sein. Wie weit die Einheitlichkeit im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit gewahrt werden kann, ist eine schwierige Frage. Grundsätze sollen nicht jedes Detail regeln. Die Länder müssen für die Konkretisierung hinreichend Spielräume haben. Insofern könnte ein Gesetz so aussehen, dass es die Staatsleistungen als Regelungsgegenstand definiert. Hinsichtlich der Landesgesetzgebung könnte das Bundesgesetz regulierend vorgeben, dass es auf der Landesebene nicht einfach zu einer – rechtlich durchaus denkbaren – einseitigen Ablösung kommen soll, sondern stattdessen die einvernehmliche Ablösung vorgeschrieben wird. Ferner wird die bundesgesetzliche Regelung eine Regelung enthalten, bis wann die Ablösung zeitlich realisiert werden sollte.
Viel konkreter wird es nicht?
Ein weiterer Aspekt wären die Modalitäten der Ablösung. Da wird schon jetzt immer wieder in der Diskussion der eine oder andere zahlenmäßige Faktor genannt. Es ist aber fraglich, ob das Festschreiben eines Faktors nicht die Zuständigkeit und Befugnis des Bundes letzten Endes übersteigt und darüber hinaus zu sehr auf die Einmalzahlung als Ablösungsmodalität fixiert ist. Diesbezüglich haben die finanzmathematischen und ökonomischen Diskussionen im Kontext der Ablösung gerade erst begonnen.
Man kann an diesen - hier nur sehr oberflächlich angedeuteten - Aspekten, schon feststellen, welch komplexe und komplizierte rechtliche Materie mit den Staatsleistungen und ihrer Ablösung verbunden ist. Es ist also nicht möglich, durch ein paar Federstriche des Gesetzgebers diese Ablösung einfach mal eben en passant zu erledigen.
Wird es für die Länder einen Zwang zur Ablösung und Fristen geben?
Schon der Referentenentwurf aus dem Jahr 1924 sah solche Fristen vor. Man ging damals von zehn Jahren und dann noch einmal zehn Jahren als Fristverlängerung aus. Da merkt man, um auf Ihre Eingangsfrage zu kommen, dass man schon zum damaligen Zeitpunkt eher von Jahrzehnten als von Jahren ausging.
Neben der Möglichkeit von Einmalzahlung oder Ratenzahlungen wird auch die Verstetigung von Zahlungen diskutiert. Wäre auch diese Möglichkeit rechtlich gegeben?
Was da im Einzelnen wirklich verfassungskonform ist, würden wir wahrscheinlich verbindlich erst erfahren, wenn das Bundesverfassungsgericht irgendwann dazu gesprochen hat. Die Option, die Sie mit Verstetigung umschreiben, war im Gesetzentwurf von 1924 ausdrücklich vorgesehen. Das wird auch von Befürwortern dieser von Ihnen so getauften Verstetigungslösung angeführt, die sich dazu eben auf die besondere zeitliche Nähe zum Verfassungsgeber und dessen Intention berufen.
Auch wissenschaftlich gibt es die Diskussion schon länger, jedenfalls in einer bestimmten Variante, dass nämlich durch die beständige Neuregelung von Staatsleistungen durch neue Staatskirchenverträge so etwas eingetreten sei wie eine „De-facto-Ablösung“ (Josef Isensee), die die alten Rechtstitel letzten Endes beseitigt und durch neue ersetzt habe. Womit gleichsam schon eine Erfüllung des Verfassungsauftrages gegeben wäre. Der Freistaat Sachsen versteht seine staatskirchenvertragsrechtliche Regelung exakt so. Es ist aber auch ein offenes Geheimnis, dass das unter Juristen durchaus umstritten ist.
Einige Bistümer bestreiten wesentliche Teile des Bistumshaushaltes aus den Staatsleistungen. Welche Verantwortung ergibt sich daraus bei der Konkretisierung der Ablösung?
Das muss mitbedacht werden. Es kann nicht auf eine Insolvenz eines Bistums hinauslaufen. Am Ende muss so etwas wie ein voller Ersatz hergestellt werden, sodass es schlussendlich zu keinem finanziellen Schaden kommt. Das ist nicht nur reine Finanzmathematik, es ist auch eine juristische Fragestellung. Die Ablösung muss so gestaltet sein, dass man aus der Ablösungssumme die entsprechenden Erträge erwirtschaften kann. Das Äquivalenzprinzip zu normieren, ist sicherlich ein verfassungsrechtliches Erfordernis für die Bundesgesetzgebung.
Könnte der Staat zur Not auch einseitig ohne Beteiligung der Kirchen ablösen?
Der Staat könnte nur dann einseitig ablösen, wenn er sich dabei auf eine gesetzliche Grundlage berufen könnte. Der Verfassungsauftrag sieht ein Grundsätzegesetz vor und eine Konkretisierung durch die Länder, zudem gibt es staatskirchenrechtliche Verträge, die auf einvernehmliche Lösungen zielen. Es entspricht nicht unserer religionsverfassungsrechtlichen Ordnung, es zum Krach kommen zu lassen, sondern es ist eine auf Ausgleich bedachte Ordnung, wo man immer anstrebt, Probleme einvernehmlich zu lösen.
Zur Person:

Ansgar Hense ist Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands
und Professor der Rechts- und Staatswissenschaftlichen
Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
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