Herr Domkapitular Hamers, die Ablösung der Staatsleistungen soll bald konkret werden. Inwieweit sind die katholischen Büros der Bundesländer jetzt schon eingebunden in die anlaufende Grundsätzegesetzgebung des Bundes?
Es gibt eine entsprechende Arbeitsgruppe beim Bundesinnenministerium. Darin vertreten sind auf katholischer Seite das Katholische Büro auf Bundesebene, einige katholische Länderbüros, vor allem jener Länder in Süd- und Ostdeutschland, in denen die Staatsleistungen eine große Rolle spielen, zudem einige Bistümer, die ebenfalls hohe Staatsleistungen bekommen. Mit am Tisch sitzt auch die Nuntiatur, weil die Frage der Staatsleistungen nicht nur Verfassungsrecht ist, sondern auch Materie der Konkordate.
Welche Aufgaben und Probleme sehen Sie im Zusammenhang mit den Staatsleistungen auf die Bistümer zukommen?
Weite Teile der Bevölkerung sind der Meinung, dass diese Zahlungen abgelöst werden müssen. Vielen fehlt das Verständnis für eine Fortsetzung der Zahlungen. Das müssen wir als Kirche zur Kenntnis nehmen.
Zugleich haben die Staatsleistungen insbesondere in ost- und süddeutschen Bistümern, aber auch in einigen westdeutschen Bistümern einen substanziellen Anteil an den Haushalten, so dass eine Ablösung die auskömmliche Finanzierung dieser Bistümer gefährden könnte. Daher muss eine Lösung gefunden werden, die die finanziellen Auswirkungen der Ablösung berücksichtigt und die zugleich den gesellschaftlichen Realitäten Rechnung trägt. Das ist die Ambivalenz und die Schwierigkeit, in der wir aktuell stehen.
Die Bistümer möchten ablösen, der Bund möchte ablösen, die Länder möchten nicht so gerne ablösen. Welche Konflikte und Reibungspunkte sehen Sie?
Wenn es zur Ablösung kommt, sind es die Länder, die die Zeche zahlen müssen. Doch der Bund macht auf der Grundlage der verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Ablösung seine alleinige Gesetzgebungskompetenz für ein Grundsätzegesetz geltend. Das führt zu Konflikten mit den Ländern, die eine stärkere Einbeziehung in die Planungen eines solchen Grundsätzegesetzes fordern. Angesichts der finanziellen Herausforderungen, die eine Ablösung für die Länder bedeuten könnte, ist es durchaus plausibel, dass die Länder bei dem Gesetzesvorhaben eher zurückhaltend sind. Im Landeshaushalt lässt sich eine wiederkehrende jährliche Leistung leichter abbilden als eine sehr viel höhere Einmalzahlung, um die dauerhaften Leistungen abzulösen. Dies gilt umso mehr, als die Länderhaushalte, ebenso wie der Bundeshaushalt, im Moment durch andere Ausgaben stark belastet sind.
Gesetzt den Fall, das Grundsätzegesetz ist verabschiedet und in Kraft getreten, was kommt dann auf Sie persönlich als Leiter eines katholischen Büros zu?
In Nordrhein-Westfalen ist die Staatskanzlei für Religions- und Kirchenfragen zuständig. Folglich müssten wir in Absprache mit den Bistümern dort nachfragen, ob und wie über eine Ablösung verhandelt werden soll. Ich gehe davon aus, dass das Land an seiner bewährten Praxis festhalten wird, solche Fragen mit beiden Kirchen gemeinsam zu verhandeln.
Wir haben von katholischer Seite schon vor einigen Jahren unsere Verhandlungsbereitschaft in dieser Sache erklärt. Angesichts der relativ geringen Staatsleistungen, die wir in Nordrhein-Westfalen bekommen, glauben wir, dass sich eine Lösung finden ließe.
Das heißt also, in Nordrhein-Westfalen ist das Klima hinsichtlich der Staatsleistungen relativ entspannt?
Wenn es um Geld geht, ist die Entspannung meist schnell dahin. Aber ernsthaft: Ich gehe davon aus, dass wir in Nordrhein-Westfalen zu einer guten Lösung kommen könnten. Dabei bin ich realistisch: Die konkrete Umsetzung wird sorgfältige Verhandlungen erfordern. Zudem ist das Land Nordrhein-Westfalen aktuell eines der Länder, die eher zurückhaltend sind. Das liegt an grundsätzlichen Erwägungen, da die Länder dem Bund vorwerfen, er habe sie zu spät in die Überlegungen einbezogen.
Die Länder fühlen sich vom Bund überfahren?
Die Länder fühlen sich nach meiner Wahrnehmung nicht ausreichend berücksichtigt.
Es heißt von Seiten der Länder, man möchte das gute Verhältnis zur Kirche nicht belasten. Inwiefern würde so eine Ablösung das gute Verhältnis zur Kirche belasten können?
Es würde dadurch belastet, wenn Länder und Kirchen sich nicht auf eine adäquate Ablösesumme einigen könnten. Zudem ist nicht auszuschließen, dass angesichts gesellschaftlicher Veränderungen und angesichts einer immer größeren Zahl von Menschen, die kirchenfern oder -ablehnend sind, Forderungen laut werden, dass die Staatsleistungen lange genug bezahlt worden sind und eingestellt werden sollen. Das ist für die Zukunft nicht völlig auszuschließen. Auch wenn wir einen Rechtsanspruch auf eine Ablösezahlung haben, muss eine solche Rechtsposition politisch durchzusetzen sein. Nach meinen Erfahrungen mit hiesigen Landesregierungen unterschiedlicher Couleur ist das derzeit nicht zu erwarten. Im Gegenteil bin ich für Nordrhein-Westfalen zuversichtlich, dass wir in dieser Frage eine gute und tragfähige Lösung hinbekommen.
Gibt es angesichts der unterschiedlichen Finanzkraft der Bistümer in Nordrhein-Westfalen auch unterschiedliche Interessen, die dann eventuell harmonisiert werden müssten? Oder ziehen die Bistümer an einem Strang?
In allen fünf Bistümern unseres Landes machen die Staatsleistungen einen relativ geringen Anteil am Haushalt aus – anders als in vielen anderen Bistümern. Zudem werden die Beträge in erster Linie als Zuschüsse für die Gehälter des Domklerus und der Bischöfe aufgewandt. In der Bewertung der Staatsleistungen gibt es zwischen den fünf Bistümern keine großen Differenzen.
"Die Frage ist auch, in welcher Form abgelöst wird.
Die Ablösung kann in Geld erfolgen.
Möglich wären auch Staatsanleihen.
Auch der seinerzeit enteignete Grundbesitz
könnte theoretisch zurückgegeben werden."
Das heißt also, die Erträge aus der Ablösesumme müssten die Gehälter der Bischöfe und Domkapitulare erwirtschaften?
Die Staatsleistungen werden zur Gänze an die Bistümer ausgezahlt. Im Bistum Münster werden sie teilweise an das Domkapitel als Zuschuss zu den Gehältern des Domklerus weitergereicht. Im optimalen Fall werden die Staatsleistungen nach dem Äquivalenzprinzip abgelöst. Das bedeutet, die Ablösung muss ein Äquivalent zu den bisher erbrachten Leistungen sein. Folglich müsste im Grunde ein Kapitalstock gebildet werden, der eine ausreichende Rendite hervorbringt. Bei fünf Prozent Rendite wäre das das 20-fache von dem, was wir jetzt bekommen.
Die Frage ist auch, in welcher Form abgelöst wird. Die Ablösung kann in Geld erfolgen. Möglich wären auch Staatsanleihen. Auch der seinerzeit enteignete Grundbesitz könnte theoretisch zurückgegeben werden. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass ein nicht unerheblicher Teil dessen, was 1803 enteignet wurde, heute in der Hand des Adels und damit in privater Hand ist. Da würde sich die Rückgabe schwierig gestalten.
Angenommen, es kommt nur Geld. Das Geld entsprechend anzulegen, wäre aber schon eine gewisse Herausforderung?
Ja, das Vermögen dann gut anzulegen, kann eine Herausforderung sein. Aber ich bin gewiss, dass in den nordrhein-westfälischen Bistümern gut und verantwortungsvoll mit dem Vermögen gewirtschaftet wird.
Wäre eine Barauszahlung auf einen Schlag etwas, das dem Finanzdirektor einer Diözese schlaflose Nächte bereiten würde?
Eine solche Zahlung auf einen Schlag ist nahezu ausgeschlossen. Diskutiert werden Zahlungsmodalitäten, die für eine gewisse Zeit einen doppelten Satz der Staatsleistungen vorsehen, die dann eingestellt werden.
Der Weg zur Ablösung der Staatsleistungen zeigt sich als ein Lernprozess. Wo kann man sich denn etwas abschauen?
Es lohnt ein Blick in die Länder, in denen die Kirche für Vermögensverluste entschädigt worden ist – insbesondere in Osteuropa. Dort sind zum Teil auch Vermögenswerte rückübertragen worden.
Bei all dem müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die Frage der Ablösung, ihrer Höhe und ihrer Modalitäten eine heftige Diskussion in der Bevölkerung auslöst. Wir können in der Diskussion auf unseren Beitrag zum Gemeinwohl und auf unsere zahlreichen Einrichtungen der Daseinsvorsorge verweisen. Nur müssen wir dabei berücksichtigen, dass diese Einrichtungen zumeist zum weitaus größten Teil staatlich refinanziert werden. Das wird uns in der Diskussion immer wieder vorgehalten – auch wenn wir in viele Einrichtungen eigene Mittel investieren, die wir vor allem aus der Kirchensteuer generieren.
Also schmieden wir mit der Ablösung auch hinsichtlich der Kommunikation ein heißes Eisen?
Es ist eine große kommunikative Herausforderung, den Gesamtkomplex Ablösung der Staatsleistungen dem Großteil der Bevölkerung überhaupt plausibel zu machen. Inzwischen gehören über 50 % der Bevölkerung keiner der beiden großen Kirchen mehr an. Damit ist das Verfahren nicht nur eine große kommunikative Herausforderung, sondern auch ein politisch heißes Eisen.
Zur Person

Antonius Hamers, promovierter Jurist und Theologe,
ist Leiter des katholischen Büros Nordrhein-Westfalen.
Domkapitular am Hohen Dom St. Paulus zu Münster und
Lehrbeauftragter am Institut für Kanonisches Recht der Universität Münster.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.