Pilgern in Hoffnung
Liebe Leserinnen und Leser,
„Pilger der Hoffnung“: Vielleicht kommt es Ihnen auch so vor, als sei das Motto des Heiligen Jahres 2025 zu seinem Ende hin schon ein wenig überstrapaziert. Und doch lässt sich jede Adventszeit kaum besser beschreiben als eine Zeit des Hoffens und Wartens, aber eine aktive: Das Ersehnte kommt auf uns zu in dem Maße, wie wir uns auf das Ersehnte hinbewegen.
Wo auch immer Sie gerade stehen: Der diesjährige „Tagespost“-Adventskalender begleitet Sie mit einem täglichen Impuls zu den biblischen Tageslesungen und Interpretationen zu adventlicher Kunst in Bild und Ton auf Ihrem Weg zum Ziel.
Einen gesegneten Adventsbeginn wünscht im Namen der gesamten Tagespost-Redaktion
Ihre Franziska Harter
Chefredakteurin
MIT DER BIBEL DURCH DEN ADVENT
Tageslesung: Jes 2, 1-5
Diese stille, eilige Zeit
Der Advent bietet die Chance, die Dinge vom Ende her zu betrachten Von Pfarrer Guido Rodheudt
„Wenn die stille Zeit vorbei ist, wird es auch wieder ruhiger!“ Dieses Karl Valentin zugeschriebene Dictum fasst punktgenau das zusammen, was die meisten von uns Jahr für Jahr im Advent empfinden. Der Anspruch der Zeit vor Weihnachten, besinnlich zu sein, gelingt selten bis nie. Der Grund liegt in der fast vollständigen Ablösung der Vorweihnachtsfolklore von den Inhalten der Adventszeit. Denn die lassen eigentlich überhaupt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass es in diesen Tagen um eine innere und wenig äußerliche Einstellungsprüfung geht.
Hier auch zum Anhören:
Wir sind aufgerufen, uns zu fragen, ob unser Glaube und unser Lebenswandel, der aus ihm folgen soll, darin übereinstimmen, in der Erwartung der Ankunft Jesu Christi zu leben. Hier bietet der Advent eine ungeahnte Chance – vorausgesetzt, man schafft es, inmitten der Inszenierung zwanghafter Gemütlichkeit auf das zu hören, was uns heute in der Tagesliturgie aus dem Buch Jesaja verkündet wird.
Pilgerfahrt der Völker auf den Berg des Herrn
Da ist von der Pilgerfahrt der Völker auf den Berg des Herrn die Rede. Eine Wanderschaft, die nicht zu einem fixierten Ort dieser Erde unterwegs ist, sondern, die den inneren Weg aller bezeichnet, die verstanden haben, dass die Geschichte der Menschheit daraus Ziel und Sinn empfängt, dass sie sich auf ein sicheres Ende zubewegt, auf ein Ende, das sie erfüllt und vollendet. Die Geschichte ist insgesamt ein Advent, eine Zeit, die auf ihr Ende vorbereitet und einstellt.
Darin liegt jedoch keinerlei depressives Moment, kein Aufruf zur Tatenlosigkeit und zum Endzeitjammer, sondern – ganz im Gegenteil – die freudige Hoffnung, dass auf dem Berg des Herrn alles anders sein wird und dass dort jene Ruhe und Sicherheit herrschen, die wir hier in unseren Alltagen so schmerzlich vermissen und wo die Menschen nicht das Schwert gegeneinander erheben werden. Als gläubiger Mensch lebt man daher mit dem Blick auf das Ende der Zeit anders, weil man weiß, dass der Tag des Herrn, an dem die Zeit ihr Ende finden wird, keinen Abend mehr kennt.
Der Autor leitet die Pfarrei St. Gertrud in Herzogenrath (Bistum Aachen).
WEIHNACHTEN IM BILD

Stern auf dem Kölner Dom
Ein helles Licht im Steindickicht der Türme, Reiter und Fialen. Von Constantin Graf von Hoensbroech
„Als sie den Stern sahen, hatten sie eine überaus große Freude“, berichtet Matthäus über die Magier aus dem Morgenland, denen der Stern als Wegweiser bis zum Kind in der Krippe voranging. Der Stern wies den ersten Christuspilgern den Weg; der Stern, der den Vierungsturm des Kölner Doms bekrönt, weist Pilgern bis heute den Weg. „Gottes Stern, halte Wacht über Land und Leute, der du in Köln am Hohen Dom strahlst golden über Stadt und Strom“, lautet der Beginn der vierten Strophe des vom Kölner Domkantor Oliver Sperling sowie dem Kölner Diözesanpriester Christoph Biskupek im Jahr 1998 komponierten und getexteten Pilgerlieds „Gottes Stern, leuchte uns“ (die ersten drei Strophen im Gotteslob Nr. 259).
Das Lied ist eine zeitlose Zusammenfassung des Glaubens und Hoffens in der Advents- und Weihnachtszeit – nicht nur für die Menschen am Rhein. Vielmehr für alle Menschen guten Willens, die sich beispielsweise durch ihre Pilgerschaft zu einem der bedeutendsten Reliquienschätze der Christenheit in der Kölner Kathedrale ein „Näher zu Dir, mein Gott“ ersehnen.
1860 vom damaligen Dombaumeister eigenhändig aufgesetzt
Schon im Mittelalter, als die heutige Kathedrale für die Aufbewahrung der Gebeine der Weisen aus dem Morgenland noch längst nicht fertiggestellt war, gab es bereits einen Stern, der den Pilgern den Weg wies und an die im Evangelium geschilderte Huldigung in Bethlehem erinnerte. Der heutige 19-zackige Kupferstern wurde 1860 vom damaligen Dombaumeister Ernst Theodor Zwirner eigenhändig auf dem Turm aufgesetzt. Als Zeichen der Zuversicht und „Himmelslicht der Schöpfung“, wie es im erwähnten Lied heißt, wird der Stern von Bethlehem auf dem Kölner Dom immer ab der Heiligen Nacht bis zum Ende der Weihnachtszeit besonders illuminiert.
Selbst wenn er nicht eigens angestrahlt wird, ist es stets faszinierend, von unten nach oben zu schauen und nach dem Stern inmitten des gotischen Felsmassivs zu suchen. Unaufdringlich erinnert er daran, wie es am Schluss des Kölner Pilgerlieds heißt: „Gottes Volk, sei selbst der Stern, Zeichen Gottes nah und fern. Wir haben seinen Stern gesehen und bringen die Freude.“ Eben nicht nur zur Weihnachtszeit.
Der Autor ist Publizist und schreibt zu Gegenwartskunst und Kulturgeschichte.
ADVENTLICHE KLÄNGE
Kostbare Trilogie der Erwartung
Mit Johann Sebastian Bach gelingt der Zugang zum Wesen des Advents. Von Sebastian Küchler-Blessing
Zu den mir liebsten Werken für die Adventszeit zählen sicherlich die drei Choralvorspiele „Nun komm der Heiden Heiland“ von Johann Sebastian Bach. Sie sind in den Chorälen nach verschiedener Art, umgangssprachlich „Leipziger Choräle“ genannt, überliefert, und beleuchten die Luther-Übertragung des ambrosianischen „Veni redemptor gentium“ aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und in verschiedener Form:
Das zweimanualige BWV 659 führt die Choralmelodie als kolorierten, also vielfach verzierten und ausgestalteten Cantus firmus im Sopran durch: Über einem dahinschreitenden Bass sind zwei Stimmen vielfach polyphon gegen- und miteinander geführt. Über diesem Gewebe zieht, von scheinbar unendlichem Atem getragen, die Choralmelodie hin, als ob der Morgenstern von der Menschwerdung Christi künde.
Meditation über das Wunder der Menschwerdung Gottes
Demgegenüber, so delikat im Musizieren wie in der Anlage einzig dastehend, ist BWV 660, à due Bassi e Canto fermo. Diese Vortragsanweisung lautet übersetzt „für zwei Bässe und Cantus firmus“. Die beiden Bassstimmen erklingen in eng verschlungenem Dialog und erinnern an das „Quoniam tu solus sanctus“ der h-Moll-Messe: Dort stehen zwei sehr aktiv musizierende Fagotte gegen die Sopranstimme des Jagdhorns. Zurück zu BWV 660: Mit stark verziertem Cantus firmus im Sopran mag das Gesamt an die dritte Strophe des Luther-Choral gemahnen: „Sein Lauf kam vom Vater her/ Und kehrt wieder zum Vater, / Fuhr hinunter zu der Höll/ Und wieder zu Gottes Stuhl.“
In Organo pleno schließlich ist BWV 661 zu musizieren – und scheint wie der trinitarische Lobpreis in lateinischem Original und Luthers Fassung vom Lobe Gott Vaters, Gott Sohns und Gott Heiligen Geists zu künden. Wie der „Urgrund allen Seins“ steht hier die Choralmelodie im Pedal.
Drei völlig unterschiedliche Vertonungen ein- und derselben Choralmelodie, drei völlig unterschiedliche musikalische Formen, drei völlig unterschiedliche Betrachtungsweisen. Wunderbar, wie jedes einzelne in sich aufs Schönste ausgearbeitet ist, wunderbar, wie die drei Choralvorspiele zusammenwirken. Noch wunderbarer aber vielleicht ist, was in der Choralsammlung folgt: „Allein Gott in der Höh sei Ehr“, allerdings ganz und gar nicht von vordergründigem Gloria-Jubel der Engel bei den Hirten erfüllt, vielmehr, im Adagio, als Meditation über das Wunder der Menschwerdung Gottes.
Der Autor ist Domkantor am Dom zu Essen, Kathedralkirche des Ruhrbistums.
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