Mit ihren jüngsten Schriften scheint die amerikanischen Feministin Judith Butler den demokratischen Diskurs zu verlassen. Ihr Haupthema ist nicht mehr die Geschlechtertheorie, sondern sondern das gefährdete Leben. Das klingt verdienstvoll, aber die Ausgestaltung der Gedanken sind befremdlich. Die von Hegel beeinflusste Butler hat diese Theorie in „Gefährdetes Leben, politische Essays“ (2005) beschrieben, verstärkt aber noch in ihren späteren Schriften „Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen“ (2010) und in „Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung“ (2016).
Der Mensch als soziales Konstrukt
Doch das Verbindende mit ihren frühen Schriften ist der Gedanke des sozialen Konstrukts. Jetzt sind nicht mehr nur die Geschlechter solche sozialen Konstrukte, sondern es ist der Mensch überhaupt. Jeder Mensch ist gefährdet, weil er unter den Bedingungen sozialer Raster steht. Ob jemand als Rebell oder Freiheitskämpfer eingestuft wird, entscheidet nicht nur über seine Gefährdung, sondern auch darüber, ob er betrauert wird – für Butler ein entscheidender Aspekt.
So selbstverständlich das klingt, so wenig sind es die Konsequenzen, die Butler zieht. Sie plädiert für ein nicht-Handeln, letztlich damit für ein Verschwinden des Subjekts. Deutlich wird das, wenn sie den französischen Philosophen Foucault zitiert: „Du wirst das Subjekt einer Manifestation oder Wahrheit nur werden, wenn du verschwindest oder dich als realen Körper und als reale Existenz zerstörst.” Butler glaubt, wenn es kein Ich und kein Du mehr gibt, seien die ethisch-rechtlichen Probleme gelöst. Das kann aber nur als Verachtung denjenigen gegenüber angesehen werden, die um politische Anerkennung ringen und nun kapitulieren sollen. Butler selbst kapituliert vor der Anstrengung des Denkens.
DT/ari
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