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Märchenonkel oder Mystiker

Der Karl-May-Verlag führt die Orient-Reihe um Kara Ben Nemsi mit neuen Autoren weiter. Sie treffen den vertrauten Ton.
Themenpaket Karl May
Foto: dpa | Ein Blick auf Karl Mays Gesammelte Werke in seiner Villa in Radebeul bei Dresden. Nun können neue Bände dazugestellt werden.

Er reitet wieder durch die Wüste, durchs wilde Kurdistan und durch das Land der Skipetaren: Kara Ben Nemsi. Der Karl-May- Verlag in Bamberg hat sich entschlossen, die Orient-Reihe seines Haus-Autors fortzusetzen. Die neun neuen Bände, die unter der Überschrift „Karl Mays Magischer Orient“ herausgekommen sind, wurden von unterschiedlichen Autoren verfasst – darunter einige prominente Namen wie die Bestseller-Verfasserin Tanja Kinkel oder andere, die eher in der Fantasy-Szene bekannt sind wie Thomas Le Blanc, Alexander Röder, Karl-Ulrich Burgdorf, Friedhelm Schneidewind oder Jacqueline Montemurri.

Sie treffen alle den typischen Karl-May-Ton, den Fans sofort wiedererkennen werden: Klar, im Mittelpunkt steht immer die eigentliche Abenteuergeschichte, doch dazwischen sind jene charakteristischen reflektierenden Passagen eingestreut, in denen der Ich-Erzähler, also Kara selbst, über Land und Leute nachdenkt, mal eher beobachtend, vor allem aber auch, um ins Grundsätzliche auszuholen: Was ist das Gute? Wie bekämpft man das Böse? In welchem Verhältnis stehen Glaube und Vernunft zueinander?

Mehr als nur eine Abenteuergeschichte

Darüber dachte Kara Ben Nemsi schon nach, als noch Karl May ihn auf seine Reisen durch den Orient schickte, verbunden mit der Suggestion, die Abenteuer seien tatsächlich erlebt worden, nämlich von ihm selbst. Obwohl die Orte, an denen sich die Abenteuer ereignen, in jedem Atlas zu finden sind, spielt die Geschichte aber doch eigentlich in einem Märchenland.

Das war auch schon bei Karl May so. Nur hatte der erst in seinen späten Lebensjahren den Mut, sich als das erkennen zu geben, was er tatsächlich war: Diese Reisen, von denen er seinen Lesern erzählte, gingen nur auf den ersten Blick in ferne Weltgegenden. May, der ja vor seiner Karriere einmal Lehrer gewesen, aber wegen Betrügereien im Gefängnis gelandet war, will die Leser auf einen Weg zu einer neuen Innerlichkeit führen. Natürlich mit pädagogischen Absichten: Ihr Gewissen sollen sie schulen, aber auch ihre Aufmerksamkeit für die unsichtbare Welt, aus der sie die Kraft ziehen können, den Alltag zu bewältigen, indem sie ihn verzaubern.

Die Autoren der neuen Bände sind hier viel freier: So brauchen nicht mehr die Tarnung des dokumentarischen Reiseberichtes. Bei ihnen entdeckt Kara Ben Nemsi nun die Magie des Orients direkt. Dabei tauchen viele alte Bekannte auf: Karas alter Gefährte Hadschi Halef Omar genauso wie der spleenige englische Lord David Lindsay. Diese typischen May-Charaktere, die für humorvolle Einlagen sorgen, werden durch neue Figuren ergänzt: Die junge Djamila, eine Piratentochter, die im Fortgang der Reihe, natürlich auch dank des guten erzieherischen Einflusses Karas, zu einer jungen Dame heranwächst. Oder Scheich Haschim, der durch magische Fähigkeiten beeindruckt.

Vertraute Dramaturgie mit gleicher Lese-Sogwirkung

Auch bei den Schurken gibt es ein Wiedersehen: Der Schut taucht noch einmal auf, der freilich aber von dem neuen Erz-Schuft Al-Kadir in seiner Bösartigkeit noch einmal getoppt wird. Das alles liefert genug Stoff für unterhaltsame Lese-Abende. Die neuen Bände haben dank ihrer vertrauten Dramaturgie die gleiche Lese-Sogwirkung wie die alten May-Werke: 400 Seiten in zwei Tagen sind gar kein Problem.

Aber zu einem echten May gehört eben nicht nur die Abenteuergeschichte. Schaffen es die neuen Autoren auch, in den reflektierenden Passagen des Ich-Erzählers an das Ursprungswerk anzuknüpfen? Die Frage ist wesentlich, denn echte May-Fans überblättern eben diese Abschnitte nicht, sie haben erkannt, dass in ihnen die eigentliche Botschaft des Autors steckt.

Mays Kindliche Naivität fehlt

Den Ton treffen Mays Nachfolger ganz gut. Aber es fehlt ihnen etwas, was May besonders ausgezeichnet hat: seine fast schon kindliche Naivität. May selbst sah sich vor allem in seinem letzten Lebensjahren als einen verkannten Mystiker. Denn aus seiner eigenen tiefen Innerlichkeit zog er seine erzählerische Kraft. In seiner kurz vor seinem Tod erschienenen Autobiographie hat May erzählt, wie er als Kind erblindet war, aber die Märchen seiner Großmutter schenkten ihm Lebensmut. Da er nichts sehen konnte, stellte er sich eben die Welt vor. Später als Schriftsteller konnte er die reale Welt zwar erkennen, aber auch jetzt stellte er sich eine bessere vor. Und genau von der hat er erzählt. Zum Schluss seines Lebens – May starb 1912 – entwickelte er sogar eine gewisse politische Energie. In seinem letzten Vortrag warnte er vor einem großen Krieg.

Dieser missionarische Ansatz ist den neuen Autoren fremd. Sie beschränken sich darauf, spannende und unterhaltsame Geschichten zu erzählen. Allerdings tun sie dies mit großem Respekt vor dem Ur-May. Der Gefahr, Karl May zu parodieren, erliegen sie nie. Das ist schon ziemlich viel. Noch besser wäre, wenn diese neue Reihe auch jüngere Leser auf diesen Autor neugierig macht. Denn dieser Karl May, der gerne ein Mystiker gewesen wäre und immer mehr als ein Märchenonkel war, hat auch der Gegenwart noch viel zu erzählen.

Karl Mays Magischer Orient, 9 Bände. Karl-May-Verlag Bamberg/Radebeul, 2018/19, zwischen zwölf und 16 Euro.

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Sebastian Sasse Literatur und Rezensionen

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