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Die ökologische Ethik ist eine Ethik des Nicht-Tuns

Die ökologische Ethik ist eine Ethik des Nicht-Tuns. Sie misst die ethische Qualität menschlichen Verhaltens ausschließlich an den Dingen, die man zu tun vermeidet. Christen sollten eine differenziertere Sichtweise haben.
Greta Thunberg
Foto: Armando Franca (AP) | Jetzt macht sie als Cover-Girl einer Modezeitung auf sich aufmerksam: Klimaaktivistin Greta Thiunberg.

Es gibt keine Helden der Tat, sondern nur Helden des Verzichtens.“ So formuliert es Albert Schweitzer (1875–1965) in seiner 1931 erschienenen autobiographischen Schrift „Aus meinem Leben und Denken“. Es war mitnichten seine erste. Der berühmte Arzt und Theologe hatte bis dahin bereits dreimal zur Feder gegriffen, um der Öffentlichkeit den Gang seines Lebens zu erläutern. Interessant ist dabei, dass Schweitzer in jüngeren Jahren eine ganz andere Einstellung zu diesem Thema hatte. So entspricht seine frühe Charakterisierung Jesu als eines gewaltigen Genies, das die Welt aus den Angeln hebt, ganz den Topoi der romantischen Heldenverehrung des 19. Jahrhunderts. Aber auch persönlich ist der junge Schweitzer voll teutonischen Tatendrangs. An seine spätere Ehefrau Helene Bresslau schreibt er 1905: „Ich fühle nur eins, dass ich handeln will.“ Welche Ursachen es genau waren, die zu seinem Sinneswandel führten, mag hier unbeachtet bleiben. Viel wichtiger ist, dass dieser persönliche Umschwung Schweitzers einen gesamtgesellschaftlichen Umschwung unserer Zeit geradezu vorwegnimmt. Das Verzichten ist zur Grundlage der ökologischen Ethik geworden.

Die ökologische Ethik ist eine Ethik des Nicht-Tuns. Sie misst die ethische Qualität menschlichen Verhaltens ausschließlich an den Dingen, die man zu tun vermeidet. Als Maßstab hierfür dient der sogenannte CO2-Fußabdruck, also die Menge an Kohlendioxid, die ein Mensch produziert, direkt oder indirekt. Die ethische Formel ist denkbar einfach: Je niedriger mein CO2-Wert, desto besser bin ich – also in etwa wie bei einem Golf Handicap. Tatsächlich ist dieser Vergleich passender, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Der beste Golfspieler ist derjenige, der bis zur Beendigung des Platzes die wenigsten Schläge benötigt. Der beste Mensch ist derjenige, der bis zur Beendigung seines Lebens am wenigsten Kohlendioxid produziert, also derjenige, der am wenigsten Auto fährt, am wenigsten heizt, am wenigsten Fleisch ist, am wenigsten atmet.

Die Ethik des Nicht-Tuns kannten schon die Pharisäer

Ganz so neu ist diese Ethik des Nicht-Tuns allerdings auch wieder nicht. Wie so oft gilt auch hier die biblische Weisheit, dass es nichts Neues unter der Sonne gibt, und tatsächlich finden wir die antike Entsprechung dieses Verhaltens bereits in der Heiligen Schrift. Natürlich machte man sich damals keinerlei Gedanken über methanausstoßende Kühe oder alternative Strohhalme. Aber es gab bereits eine Gruppe von Leuten, deren oberstes Gesetz darin bestand, bestimmte Dinge nicht zu tun. Und es gab damals schon jemanden, der sie auf die Unsinnigkeit dieser Haltung hingewiesen hat:

„Von dort ging er [Jesus] weiter und kam in ihre Synagoge. Und siehe, dort saß ein Mann, dessen Hand verdorrt war. Sie [die Pharisäer] fragten ihn: Ist es am Sabbat erlaubt zu heilen? Sie suchten ihn nämlich anzuklagen. Er aber sprach zu ihnen: Wer von euch, der ein einziges Schaf hat, wird es nicht packen und herausziehen, wenn es ihm am Sabbat in eine Grube fällt? Wie viel mehr ist ein Mensch als ein Schaf? Darum ist es am Sabbat erlaubt, Gutes zu tun. Dann sagte er zu dem Mann: Streck deine Hand aus! Er streckte sie aus und die Hand wurde wiederhergestellt – gesund wie die andere. Die Pharisäer aber gingen hinaus und fassten den Beschluss, Jesus umzubringen.“ (Matthäus 12, 9–14)

In dieser kleinen Geschichte offenbart sich der Kern des Konflikts zwischen Jesus und den Pharisäern. Für Letztere dreht sich alles um die starre Befolgung von Regeln, und zwar Regeln des Vermeidens: kein Umgang mit unreinen Menschen, keine Arbeit am Sabbat, keine unreinen Speisen et cetera. Die positive Tatkraft, wie sie Jesus verkörpert, lehnen sie ab. Der Vergleich zu den heutigen Vertretern ökologischer Ethik springt ins Auge, allerdings nicht nur in Bezug auf die pedantische Einhaltung von Negativvorschriften. Typisch für beide Gruppen ist außerdem ihre Zugehörigkeit zur Oberschicht (vielleicht daher das Denken in Golfkategorien?) sowie ihre Heuchelei. Hollywoodgrößen, die im Privatjet zur Oscarverleihung fliegen, um dort für Hybridautos zu werben, sind ebenso wenig glaubwürdig wie eine Teenagerin, die über den Atlantik segelt statt zu fliegen, für die Rückholung des Schiffes jedoch fünf weitere Segler benötigt, die eigens dafür eingeflogen werden müssen.

„Die Parole des Teufels ist das Ewige Nein,
gegen das sich jeder Mensch, dem das Leben
etwas wert ist, in heiligem Trotz erheben muss“

„Ihr habt den Teufel zum Vater“ (Johannes 8, 44), wirft Jesus den Pharisäern mit brutaler Härte an den Kopf. Aber der Vorwurf ist nicht aus der Luft gegriffen, gerade in Bezug auf die negative Ethik der Pharisäer. Der Teufel hat nur die Macht zu zerstören, die Fähigkeit zu schaffen geht ihm ab. Stellt er sich dem Faust nicht mit folgenden Worten vor:

Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
Ist wert, dass es zugrunde geht;
Drum besser wär's, dass nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz, das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.
Und antwortet ihm der gelehrte Mann nicht:
So setzest du der ewig regen,
Der heilsam schaffenden Gewalt
Die kalte Teufelsfaust entgegen,
Die sich vergebens tückisch ballt!

Die Parole des Teufels ist das Ewige Nein, gegen das sich jeder Mensch, dem das Leben etwas wert ist, in heiligem Trotz erheben muss. Denn letztlich geht es bei alledem um nichts weniger als den Wert des menschlichen Lebens. In der ökologischen Ethik wird der Wert eines Menschen ausschließlich daran gemessen, wie gering der Schaden ist, den er der Welt zufügt. Da jedoch auch bei noch so großer Einschränkung immer ein gewisser Ausstoß von Kohlendioxid übrigbleibt, wäre die größtmögliche ethische Leistung wohl ein umweltverträgliches frühes Ableben. Das mag an dieser Stelle makaber und polemisch wirken, aber sind wir wirklich so weit von derartigen Vorschlägen entfernt? Ist es wirklich noch ein weiter Schritt bis dorthin, wenn bereits in aller Öffentlichkeit unter Beifall die These vertreten werden kann, es sei vorbildlich, um des Klimas willen auf die eigene Fortpflanzung zu verzichten? „Drum besser wär's, dass nichts entstünde“ – dieses mephistophelisches Wort könnte auch das Motto der Extinction Rebellion sein.

Keine Frage des Entweder–Oder, sondern des Abwägens

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch der Verzicht gehört zu den christlichen Tugenden, gerade erst haben wir ihn in der Fastenzeit durchlebt. Es ist auch keineswegs falsch, ökologische Kriterien in seine Lebensführung mit einzubeziehen. Im Gegenteil, die Besinnung auf die Ökologie gehört zu den revolutionären Errungenschaften unserer Zeit. Doch wie bei jeder Revolution kann es vorkommen, dass sie dazu übergeht, ihre eigenen Kinder zu fressen, dieses Mal leider in einem allzu wörtlichen Sinne. Auch hier drängt sich der Vergleich zu unserer biblischen Erzählung auf. Jesus lehnte das Sabbatgebot ja nicht grundsätzlich ab, aber er stellte das Gebot der tätigen Nächstenliebe darüber. Es ist also keine Frage des Entweder–Oder, sondern des Abwägens. Jesus selbst fasst es in seiner Anklage mustergültig zusammen: „Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel und lasst das Wichtigste im Gesetz außer Acht: Recht, Barmherzigkeit und Treue. Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen.“

Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen, und wenn beides gleichzeitig nicht möglich ist, muss man eine Entscheidung treffen. Insofern ist die Unterscheidung zwischen Helden der Tat und Helden des Verzichtens unsinnig. Ein Held ist jemand, der willens ist, seine eigenen Entscheidungen zu treffen und dabei Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.

Kurz gefasst
Die Formel der ökologischen Ethik ist einfach: Je niedriger mein CO2-Wert, desto besser bin ich. Für eine solche Ethik des Verzichts bringen Christen Verständnis auf. Gefährlich wird es aber, wenn die Haltung des Verzichts zu einem Dogmatismus der Verneinung anwächst, die sich sogar gegen den Menschen richten kann. Jesus zeigt: Man muss die Dinge differenziert sehen.

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