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Die Weisheit des Kardinal Bellarmin

Robert Bellarmin kämpfte dafür, dass Gottes Schöpfung nicht auf Natur reduziert wird, die durch Wissenschaft vollends erfasst wird. Von Dieter Hattrup
Sonnenuntergang Sankt Peter Ording
Foto: dpa | Ein Sonnenuntergang: Für Robert Bellarmin zeigt sich in ihm die Macht Gottes.

Zu allen Zeiten ist der Mensch im Streit. Seine Lage kann man mit der Erbsünde oder mit Darwin erklären. Auch die Kirche befindet sich im Streit, da die Ecclesia militans erst nach dem Leben auf der Erde in den himmlischen Frieden einziehen kann. „Es muss Streit geben unter euch“, sagt der Apostel im 1. Brief an die Korinther. Allerdings erscheint er in doppelter Gestalt. Im guten Streit kämpfe ich für die Wahrheit, im bösen kämpfe ich für meine Interessen. Der erste geschieht in Worten, der zweite eher in Waffen, weshalb über diesem Streit das Wort Jesu schwebt: „Wer das Schwert ergreift, wird durch das Schwert umkommen.“

Nun ist das Gute vom Bösen niemals ganz zu trennen, aber es gibt doch von Gott berufene Heilige, die sich fast nur für die Wahrheit einsetzen und kaum für sich selber. Zu diesen zähle ich den heiligen Robert Kardinal Bellarmin, der zwar viel gestritten hat, aber vor allem für die Wahrheit. Bellarmin ist ein Italiener der Renaissance-Zeit, doch weit von deren Ich-Lust entfernt. Er wurde 1542 geboren und trat mit 18 Jahren in den neuen Orden der Jesuiten ein, wo er – durch Lehrer und durch sich selbst erzogen – zu Frömmigkeit und Bescheidenheit heranwuchs. Er starb im Jahre 1621. Klug war er von Hause aus, weshalb es ihm zufiel, in den geistigen Kämpfen der frühen Neuzeit eine große Rolle zu spielen. Bekannt geworden ist er im Zwist mit den Protestanten, die nicht nur die immer notwendige Reform der Kirche betrieben, sondern dabei auch eine neue Kirche gegründet hatten, weshalb in Europa die Kirche plötzlich gespalten war. Das Recht zu dieser neuen Kirche bestritt Bellarmin den Protestanten, allerdings nur mit Worten, nicht mit Waffen. Trotzdem war er gefürchtet, denn er hatte wirkliche Argumente zur Hand: Er las die Schriften der Gegner. Meistens kommt die Kritik nur von außen. Wenn mir die Meinung eines anderen nicht gefällt, lehne ich sie ab und damit oft auch den anderen selbst. Die Argumente schaue ich mir selten an. Bei Bellarmin war das anders, er übte zwar heftige Kritik, aber er urteilte von innen her.

2. Weniger bekannt ist die naturwissenschaftliche Seite Bellarmins, mit der er sich auf hohem Niveau bewegte, weshalb er in der Debatte um Galilei mithalten konnte. Er hatte selbst Astronomie studiert und gelehrt, deshalb kannte er Kopernikus und Galilei von langer Hand her. Im Jahr 1609 kommt Bewegung in den 50 Jahre alten Streit. Galilei tüftelt in Padua an einer neuen Wissenschaft von der Natur. Er ist von der Frage umgetrieben, ob die neue Wissenschaft, die mit Instrumenten die Natur beobachtet und bearbeitet, alle Wirklichkeit beschreiben kann. Ist alle Wirklichkeit nur Natur? Padua gehörte zur Republik Venedig. Für diese Handelsnation stand an erster Stelle das Geschäft, nicht die Wissenschaft, noch weniger Gott. Galilei stellte in Venedig sein neues Rohr vor, das ferne Dinge in die Nähe holen kann. Besonders die militärischen Vorteile des Rohres wusste Galilei den Herren von Venedig schmackhaft zu machen. Zwei Stunden früher, sagte er, könne man mit dem Fernrohr die feindliche Flotte erkennen. Wir sehen also: Schon bevor die Wissenschaft mit der Forschung beginnt, wird sie in einen schmerzhaften Konflikt zwischen Wahrheit und Interesse gezogen.

Wo bleibt der Platz für Gott?

3. Im Jahr 1610 schreibt Galilei ein Büchlein „Sidereus nuncius“ („Der Sternenbote“). Es enthält die gedruckten Bilder dessen, was er mit dem neuen Fernrohr am Himmel gesehen hat: Die vier Monde um den Jupiter, Berge auf dem Mond, Flecken auf der Sonne und einiges mehr. Bellarmin ist entsetzt, nicht weil er die Bilder für falsch, sondern weil er sie für richtig hält. Wenn der Mensch alles erkennt, kann er dann auch alles ergreifen? Wo bleibt da der Platz für Gott? Denn ob die Erde sich bewegt oder die Sonne – das erkannte Robert Bellarmin sofort –, ist eine Frage zweiten Ranges. Beim neuen Weltbild des Kopernikus war Bellarmin also bereit einzulenken, wenn es einen Beweis für die Bewegung der Erde wirklich gäbe. Darin war er vielen Philosophen seiner Zeit voraus, die einfach ablehnten, durch das Rohr zu schauen. So beschränkt war er nicht. Denn wenn Gott uns einen Schöpfungsauftrag gibt, dann gehört dazu auch die Herstellung geeigneter Mittel, um die Schöpfung Gottes im Großen und Kleinen erkennen zu können.

4. Bellarmin wandte sich aber gegen den blanken Optimismus Galileis. Dieser hatte um 1610 keinen Beweis für die Erdbewegung in Händen. Das sieht er selbst ebenso. Denn erst 22 Jahre später bringt er in seinem „Dialogo“ von 1632, am 4. Tag, den endgültigen Beweis für die Bewegung um die Sonne, nämlich die Erscheinung von Ebbe und Flut. Wie er meint! Aber er hatte unrecht, da die Gezeiten garantiert nicht durch die Bewegung der Erde um die Sonne entstehen, sondern durch die Schwerkraft des Mondes. Gegen ihn hat Bellarmin also recht, wenn er einen echten Beweis forderte, bevor die Kirche die heiligen Schriften anders auslegt.

5. Auf eine noch andere Weise hat Bellarmin gegen Galilei recht gehabt, was erst im 20. Jahrhundert sichtbar geworden ist. Kann die Wissenschaft die Natur vollständig mit Gesetzen erfassen? Galilei sagte „ja“ und freute sich, Bellarmin sagte „vielleicht“ und zitterte. Galilei ist der erste Titan der Naturwissenschaft; er glaubte an die notwendige Kausalität aller Bewegungen in der Natur, auch wenn der Mensch jetzt erst wenige kennt. Die Betonung liegt „auf alle Bewegungen“. Aber hat der Titanismus eines Galilei recht? Bellarmin wollte dem Titan Galilei einen Riegel vorschieben. Er verfasste 1618 eine Gegenschrift: „Die Erhebung der Seele zu Gott durch die Betrachtung der erschaffenen Dinge“. Er spürte, wie Galileis neue Wissenschaft die Schöpfung Gottes auf bloße Natur reduzieren musste. Er hatte dieser Reduktion allerdings keine geeigneten Mittel entgegenzusetzen, weil er die von Galilei beanspruchte Kausalität in der Natur nicht einschränken konnte.

Die Liste der Titanen nach Galilei ist lang. Die Entscheidung in dem großen Kampf zwischen ihm und Bellarmin fiel erst im 20. Jahrhundert, als Einstein seinen Kampf gegen den würfelnden Gott verlor. Danach konnte die Wissenschaft in ein ausgewogenes Verhältnis zur Theologie gesetzt werden. Bellarmin hatte behauptet, man könne an den machtvollen Bewegungen der Sterne den noch mächtigeren Schöpfergott erkennen. In der Schrift von 1618 heißt es: „Mich selbst kam einmal die Neugier an zu erfahren, wieviel Zeit die Sonne brauche, um ins Meer unterzusinken. Beim Beginn ihres Unterganges fing ich an, den Psalm Miserere zu beten, und ich war noch kaum zweimal damit fertig geworden, so war die Sonne auch schon ganz untergegangen. Sie hatte also in der kurzen Zeit, da ich zweimal den Psalm Miserere betete, einen Raum von weit mehr als siebentausend Meilen durchlaufen. So etwas würde niemand glauben, wenn es nicht der Augenschein bestätigte.“ Dann nennt er jeden Menschen einen bloßen Klotz, der an dem Sonnenuntergang nicht die unendliche Macht des Schöpfers bewundern will.

6. Allerdings führt die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts eher zu einer anderen Eigenschaft Gottes. Die Quantenphysik mit ihren Prinzipien von Zufall und Notwendigkeit lässt die Freiheit des Schöpfergottes erkennen, der mit dieser Freiheit die Welt erschaffen und seinen Geschöpfen Anteil an dieser gegeben hat. Robert Bellarmin ahnte also mehr als viele berühmte Naturforscher der Neuzeit, und er ahnte richtig.

Der Autor ist Professor für Dogmatik und promovierter Mathematiker.

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