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Die Entstehung des synodalen Gründungsmythos

Was waren die Beweggründe für den Synodalen Weg? Und wie kam es zu den Themen, über die jetzt so heftig gestritten wird? Immer wieder wird diesbezüglich auf die MHG-Studie verwiesen. Aber die Missbrauchsstudie gibt nicht her, wozu man sie heranzieht. Dafür gibt es blinde Flecken in der Debatte, über die die Autoren der Studie nicht sprechen wollen. Etwa über homosexuelle Subkulturen im Klerus.
Die von den deutschen Bischöfen in Auftrag gegebene MHG-Studie
Foto: Harald Oppitz/KNA | Missbrauch mit dem Missbrauch? Die wissenschaftliche Qualität der MHG-Studie steht in der Kritik. Die Studie gibt nicht her, wofür man sie heranzieht.

Immer wieder wurde während der ersten Synodalversammlung in Frankfurt am Main auf die MHG-Studie Bezug genommen. Grund genug, noch einmal innen zu halten und zu fragen: Was waren eigentlich die Beweggründe für den Synodalen Weg? 

Sinngemäß lässt sich in etwa folgende Auskunft erhalten: Angesichts der erschütternden Ergebnisse der Missbrauchsstudie und des damit einhergehenden Vertrauensverlustes kam man nicht daran vorbei, Themen wie die priesterliche Lebensform, die kirchliche Sexualmoral und das ordinierte Leitungsamt auf den Prüfstand zu stellen. Das auf Drängen des ZdK nachträglich hinzugefügte Forum zu Stellung der Frau in der Kirche, kreist bislang ebenfalls stark um Macht- und Ämterfragen.

Warum gerade diese Themen?

Aber warum eigentlich gerade diese Themen? Das Internetportal katholisch.de berichtete, dass für die Themenwahl die Ergebnisse der Missbrauchsstudie maßgebend gewesen seien: „Die Gründe [des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker] waren laut den Forschern unter anderem: Zölibat, Klerikalismus und die kirchliche Sexualmoral… Die Themen des Weges orientieren sich stark an den Erkenntnissen der Forscher: die Macht der Kleriker, der Zölibat und die Sexualmoral der Kirche.“

Die Studie gibt nicht her, wozu man sie heranzieht

Auf den ersten Blick scheint diese schlüssig. Bei genauerer Betrachtung kommen jedoch Zweifel auf. Die Studie gibt im Grunde nämlich nicht her, wofür man sie heranzieht. Um allen Missverständnissen zu wehren, halten die Autoren bereits in der Einleitung fest: „Alle Befunde sind rein deskriptiv. Aufgrund der Forschungsmethode ist ein statistischer Nachweis kausaler Zusammenhänge zwischen einzelnen Phänomenen oder Variablen nicht möglich.“

Die Missbrauchsstudie mag vieles sein; eines will sie gar nicht sein: eine valide Ursachenanalyse. Dazu kommt, dass bislang keine Studien vorliegen, die einen aussagekräftigen Vergleich zwischen der katholischen Kirche und anderen Institutionen erlauben würden.

Worauf beruht die Erzählung von der Genese des synodalen Aufbruchs? 

So steht die Frage im Raum: Beruht die Erzählung von der Genese des synodalen Aufbruchs – der synodale Geburtsmythos – am Ende auf dem Unvermögen, die von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebene Studie gründlich zu lesen?

Nun, ganz so einfach liegen die Dinge auch wieder nicht. Die Missbrauchsstudie benennt in der vorangestellten „Zusammenfassung“ Themenfelder, die weiterer Erforschung bedürften, weil sie in der Literatur kontrovers diskutiert würden. Genannt wird etwa die Rolle des Zölibats. Darüber hinaus werden diverse Empfehlungen gegeben. Der aufmerksame Leser kommt allerdings nicht umhin sich zu fragen, wie diese Empfehlungen wohl zustande gekommen sein mögen. Sie ergeben sich nämlich nicht schlüssig aus den übrigen Teilprojekten der Studie. 

Medizin und Moral werden vermengt

Einige dieser Empfehlungen erwecken einen seltsamen, um nicht zu sagen dilettantischen Eindruck. Das gilt etwa für die vernichtende Kritik der Sexualmoral der Kirche. Dieselbe meinen die Autoren allen Ernstes mit dem unbedarften Verweis auf „Erkenntnisse der modernen Sexualmedizin“ mit einem Handwisch vom Tisch fegen zu können. Man fragt sich: Wissen die Autoren Medizin und Moral nicht zu unterscheiden? Oder meinen sie, die kirchliche Lehre qualifiziere Homosexualität als Krankheit? Wie dem auch sei. Die Autoren erwecken alles in allem den Verdacht, ziemlich verquere Vorstellungen von der kirchlichen Sexualmoral zu haben.

In der besagten Studienzusammenfassung begegnen noch zahlreiche andere irritierende Aussagen. So werden angeblich „idiosynkratische Terminologien“ wie jene einer „tief verwurzelten homosexuellen Neigung“ – eine in kirchlichen Dokumenten begegnende Formulierung – ohne ersichtlichen Grund und sachliche Berechtigung als „jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren[d]“ abqualifiziert. Im nächsten Satz wird diese rein beschreibende, noch gar nicht wertende Terminologie sogar mit einer intoleranten „Haltung“ in Zusammenhang gebracht.

Die Mehrheit der kirchlichen Missbrauchsopfer sind männliche Jugendliche

Dagegen sind andere, ins Auge fallende Ergebnisse der Studie nicht einmal eine Empfehlung zu weiterer Untersuchung wert. Zu nennen wäre etwa der Umstand, dass die übergroße Mehrheit der kirchlichen Missbrauchsopfer männliche Jugendliche sind. Die Autoren beeilen sich zu versichern, dass das vielschichtige Phänomen Homosexualität, zu dem auch homosexuelle Subkulturen zu zählen sind, kein Risikofaktor ist. 

Der Umstand, dass die verfügbaren Missbrauchsstudien aus dem kirchlichen und nicht-kirchlichen Bereich (von doch überaus signifikanten Korrelationen abgesehen) bis dato keine Kausalzusammenhänge nachweisen können, wird kurzerhand als Beleg für das eigene (Vor)Urteil ausgegeben. In Wahrheit handelt es sich freilich um einen weiteren Beleg für die methodologische Unbedarftheit der Autoren. Denn es gilt der erkenntnistheoretische Grundsatz: „Die Abwesenheit eines Nachweises ist nicht der Nachweis von Abwesenheit.“

Teils offener Anti-Klerikalismus

Was sie anderen vorwerfen, tun die Autoren der Studie selbst in großem Stil. So bemühen die Autoren mehrfach das Konzept der „sexuellen Unreife“, was ein diagnostisch ungebräuchlicher Terminus ist. Auch den Gebrauch des missverständlichen Ausdrucks „Klerikalismus“ hätte man ebenfalls besser unterlassen. Wie verschiedene mediale Stellungnahmen deutlich gemacht haben, eignet er sich bestens als Projektionsfläche für einen teils latenten, teils offenen Anti-Klerikalismus. Zu einer sachlichen Diskussion trägt er leider nicht bei. Noch eine ganze Reihe weiterer absonderlicher und deplatzierter Aussagen wäre zu nennen. Die genannten Beispiele sollen hier aber genügen.

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Die Missbrauchsstudie ist akzeptabel, wo sie auf deskriptiver Ebene verbleibt. Dort, wo sie diese Ebene verlässt – wie in der Zusammenfassung –, hat sie sich nicht ohne Grund den Vorwurf mangelnder wissenschaftlicher Seriosität und Sorgfalt eingehandelt. Die vorangestellte Zusammenfassung der Studie bezeichnete Manfred Lütz als ihren „wissenschaftlichen Tiefpunkt“. In sie seien „so gut wie alle wissenschaftlich unbelegten, aber populären Forderungen eingegangen. Es bleibt dabei unklar, wer die Verantwortung für diese Zusammenfassung übernimmt. Man kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass irgendein Wissenschaftler so etwas schreibt.“

Hinter den Themen steht eine kirchenpolitische Agenda  

Eine jüngere Studie Jörg Fegerts, ärztlicher Direktor der Ulmer Kinder- und Jugendpsychiatrie, ergab übrigens, dass die Zahl der Missbrauchsfälle im Sport nahezu doppelt so hoch sei wie in der katholischen Kirche. Was folgt daraus für die kirchliche Missbrauchsprävention? Wohl kaum, dass wir uns bei aller Berechtigung, systemische Fragen in den Blick zu nehmen, in kirchenspezifische Themen verbeißen und aus der Missbrauchsdebatte voreilig eine Kirchendiskussion machen sollten, in der konservative und progressive Kräfte einander bekriegen.

Halten wir fest: Die MHG-Studie legitimiert die Themenwahl des Synodalen Wegs aufgrund ihres begrenzten Anspruchs und ihrer fachlichen Mängel jedenfalls nicht in dem Sinn, wie das manche gerne hätten. Was an praktischen Direktiven übrig bleibt, sind vage Vermutungen sowie gut gemeinte Empfehlungen, die wenigstens zum Teil vor allem die Erklärungsnot und Vorurteilsbefangenheit ihrer Autoren widerspiegeln.

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Diese Überlegungen nähren den Verdacht, dass nicht Besonnenheit und Sachverstand, sondern kirchenpolitische Agenden treibende Kräfte bei der Wahl der Themen waren. Dazu passt übrigens auch, dass das Thema der Evangelisierung, welches Papst Franziskus der Kirche in Deutschland ans Herz gelegt hat, bislang stiefmütterlich behandelt wurde.

Mythen werden zu Tatsachen stilisiert

Zurück zum Anfang. Die Zahl der minderjährigen Opfer sexuellen Missbrauchs durch Kleriker ist zweifelsohne erschütternd. Es steht außer Diskussion, dass professionelle Maßnahmen der Missbrauchsprävention zu ergreifen sind. Der gute Wille ist hierzulande sicher vorhanden, aber es mangelt an Besonnenheit. Solange empirisch nicht belegte Mutmaßungen und Mythen so lange wiederholt werden, bis sie für erwiesene Tatsachen gehalten werden, nimmt man weder die Opfer sexuellen Missbrauchs noch seriöse wissenschaftliche Studien zur Thematik ernst.

Alles in allem erinnert das Ansinnen, Reformmaßnahmen zu beschließen, bevor die Ursachenzusammenhänge gründlich genug erforscht und verstanden sind, an jenen eiligen Taxipassagier, der auf die Frage des Taxilenkers: „Wo soll's denn hingehen?“, antwortete: „Egal, Hauptsache 's geht schnell!“

Der Autor, P. Dominikus Kraschl OFM, ist Professor für Philosophie und Philosophiegeschichte an der Theologischen Hochschule Chur. - Mehr zum Thema erfahren Sie in "Welt&Kirche", der Sonderbeilage der Tagespost zum Synodalen Weg. Die Sonderpublikation ist erhältlich beim Johann Wilhelm Naumann Verlag, Würzburg. 
 

 

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