Da ist dieses böse Wort doch tatsächlich gefallen: Bürgerkrieg. Andreas Rödder, der Mainzer Geschichtsprofessor, der einmal zum CDU-Vordenker der Ära Merz zu avancieren schien und jetzt zu den Köpfen des liberal-konservativen Thinktanks R21 gehört, sagte Ende vergangener Woche im Interview mit „Euronews“: „Ein Verbotsverfahren, das zum Wegfall sämtlicher Stimmen für die AfD und somit flächendeckend zu rot-rot-grünen Parlamentsmehrheiten führt, wäre aber der sichere Weg in den Bürgerkrieg.“
Ein Satz, bei dem eigentlich jeder Leser zusammenzucken muss. Und zwar egal, ob er eher rechts oder links gestrickt ist. Hier wird er als Bürger angesprochen. Denn ein verantwortungsvoller Bürger kann nicht wünschen, dass die ideologischen Grundsatzstreitigkeiten, von vielen Kulturkämpfe genannt, irgendwann von der Debatte vom Katheder aus, vor allem aber in den sozialen Netzwerken, tatsächlich in den heißen Kampf auf der Straße umschlagen.
Die Lage war noch nie so ernst
Historiker wie Rödder wissen aus der Geschichte, wie schnell solche Prozesse in Gang gesetzt werden. Deswegen sollte man solche Mahnungen nicht vorschnell als den geschickten Versuch abtun, mit der eigenen These in die Schlagzeilen zu kommen. Sie kommt vielmehr gerade genau zum richtigen Zeitpunkt: Denn die Lage war noch nie so ernst. Sie ist es deswegen, weil man die Krise zwar ständig im Mund führt, aber vollkommen unernst, ja im Grunde kindisch an die Lösung der Probleme herangeht.
Symptomatisch für diese Stimmung ist das gescheiterte ARD-Sommerinterview mit Alice Weidel. Die Claqueure des sogenannten „Zentrums für politische Schönheit“ stehen gewissermaßen stellvertretend für eine Haltung, die zwar von ganz links kommt, sich aber mittlerweile auch in Teilen der bürgerlichen Mitte breitgemacht hat: Es ist eine Mischung aus überbordender Selbstgerechtigkeit und der Unfähigkeit zur korrekten Analyse der Lage. Der eigene Moralismus hat dabei die Funktion, von der Notwendigkeit zu befreien, über das eigene Handeln nachzudenken. Es reicht, in der AfD „das Böse“ zu identifizieren. Der Protest in jeder Form ist aus dieser Sicht dann legitim, weil man ja selbst für „das Gute“ steht.
Der nächste analytische Schritt, darüber nachzudenken, warum Menschen bei dieser Partei ihr Kreuz machen, fällt dann nicht nur weg, er muss gar nicht mehr erwogen werden. Gar ein Einwand wie der von Rödder, dass viele sich zu Recht sorgen, ein Parteiverbot könnte zu rot-rot-grünen Mehrheiten auf immer führen, wird dann sowieso nicht mehr verstanden.
Das Problem sind nicht die ideologischen Ränder
Wie gesagt, das Problem in der aktuellen Lage sind nicht die ideologischen Ränder. Sie spitzen, das ist quasi ihre natürliche Aufgabe, die Debatte zu. Das Problem liegt in der Mitte, beim deutschen Michel, der heute nicht mehr Zipfelmütze trägt, sondern weiße Sneaker und sich gerne als junger Start-up-Unternehmer gibt.
Aber das Zipfelmützige im Denken ist der Bionade-Bourgeoisie von heute geblieben. Ihr moralistischer Aktivismus ist in Wirklichkeit intellektuelle Trägheit, hinter ihrem Willen, die Gesellschaft umzubauen, steckt eigentlich ein Biedermeier-Sinn. Mit dieser Haltung kann man die Probleme in diesem Land nicht lösen. Diese Leute müssen endlich runter von ihrem hohen Ross. Sie geben sich als brave Bürger, in Wirklichkeit tragen sie aber zur Eskalation der Lage bei.
Zumindest einige kritische Äußerungen nach der Sommerinterview-Pleite lassen darauf hoffen, dass vielleicht der eine oder andere langsam ins Zweifeln gerät. Wir brauchen allerdings – siehe Rödder – jetzt ein schnelles Umdenken.
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