Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Kommentar um "5 vor 12"

US-Impfpflicht gekippt: Lektion in Sachen Demokratie

Das Urteil des US-Supreme Courts zur Impf- und Testpflicht in Unternehmen stärkt die verfassungsmäßigen Rechte des Kongresses und der Bundesstaaten. Und zeigt der Erlass-Politik ihre Grenzen auf.
US-Präsident Bidens Impfpflicht gekippt
Foto: Alex Brandon (AP) | US-Präsident Joe Biden verliert vor dem Supreme Court: Mit ihrem Urteil zeigen die Höchstrichter der so hemdsärmeligen wie bequemen Erlass-Politik ihre Grenzen auf.

Die Gewaltenteilung ist ein hohes Gut. Sie muss auch in der Pandemie erhalten bleiben. So und nicht anders muss das Urteil gelesen werden, mit welchem die konservative Mehrheit der Richter am Obersten Gerichtshof der USA, die von US-Präsident Joe Biden erlassene Impf- und Testpflicht für Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten Ende vergangener Woche kippte.

Regierung überschreitet Befugnisse

In ihrer Begründung betonte die Mehrheit der Richter, dass sie nicht über eine Impfpflicht als solche befunden hätten, sondern darüber, wer nach geltendem Recht befugt sei, eine solche anzuordnen. Zuständig für die Gesundheitsvorsorge seien die Bundesstaaten und Kommunen. Mit dem Erlass der „Occupational Safety and Health Adminstration“ (OSHA) habe die Biden-Administration ihre Befugnisse überschritten. Die hatte verfügt, dass Unternehmen mit mehr als 100 Angestellten, dafür Sorge zu tragen hätten, dass diese entweder vollständig geimpft sind oder aber regelmäßig getestet würden.

Lesen Sie auch:

In ihrem Urteil machen die Richter deutlich, dass es durchaus rechtskonforme Möglichkeiten für die Anordnung einer Impf- respektive Testpflicht gegeben hätte. So hätte der Kongress in den vergangenen zwei Jahren, in denen die Pandemie andauert, durch Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes einer Bundesbehörde wie der OSHA die Macht verleihen können, eine Impf- und Testpflicht anzuordnen.

Gewaltenteilung ist kein demokratietheoretischer Luxus

Natürlich fehlt es nicht an Stimmen, die meinen, das Urteil des US-Supreme Courts sei allenfalls etwas für demokratietheoretische Feinschmecker und helfe bei der Bekämpfung der Pandemie nicht weiter. Davon sollte sich jedoch niemand beeindrucken lassen. Denn dass die sich pragmatisch dünkende „Kann-man-das-nicht-einfach-mal-machen“-Fraktion in Krisen Zulauf erfährt, ist weder eine neue Erfahrung, noch auf die USA beschränkt. In Wirklichkeit sind Gewaltteilung und „checks and balances“ aber kein Luxus, den sich demokratische Gesellschaften bei schönem Wetter leisten und auf die sie verzichten könnten, sobald der Wind heftiger pfeift. Für repräsentative Demokratien sind sie vielmehr konstitutiv und dafür gedacht, ein Gemeinwesen auch bei schwerem Wetter sicher durch den Sturm zu navigieren.

Mit ihrem Urteil zeigen die Höchstrichter der so hemdsärmeligen wie bequemen Erlass-Politik, mit der auch die Administrationen von Donald Trump und Barack Obama das Parlament zu umgehen pflegten, nun die Grenzen auf.

Beitrag zur Überwindung der Spaltung

Man kann das Urteil auch als Beitrag der konservativen Richtermehrheit zur Überwindung der Spaltung des Landes betrachten. Denn auch wenn die Erlass-Politik als Antwort auf diese Spaltung verstanden werden kann, so zementiert sie diese doch und führt dazu, dass sich jeweils nur ein Teil von der Politik vertreten fühlt. Tragfähige Lösung müssen, wenn sie Bestand haben sollen, von den Parlamenten errungen werden. Das gilt für die USA genauso wie für die Demokratien Europas.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Stefan Rehder

Kirche

In der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) ist ein Streit um das Pfarramt für Frauen entbrannt. Im äußersten Fall droht die Spaltung.
22.04.2024, 16 Uhr
Vorabmeldung