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„Triage-Gesetz“ : Voller Mängel

Das „Triage-Gesetz“ mag gut gemeint sein, gut gemacht ist es nicht.
„Triage-Gesetz“ mag gut gemeint sein, gut gemacht ist es nicht.
Foto: IMAGO/Adrian Wyld (www.imago-images.de)

Eigentlich könnte man annehmen: Wenn am Ende eines Gesetzgebungsverfahrens trotz gegenteiliger Interessen alle mit dem Ergebnis gleichermaßen unzufrieden sind, müsste der Gesetzgeber vieles richtig gemacht haben. Und in der Tat: Oft genug verhält es sich auch so. Im Falle des „Triage-Gesetzes“, das der Deutsche Bundestag am Donnerstagabend mit den Stimmen der Ampelkoalition beschlossen hat, ist es jedoch anders.

 „First come, first serve“

Das gewählte Kriterium der „kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ schützt Menschen mit Vorerkrankungen und Behinderungen allenfalls auf dem Papier vor einer als Diskriminierung empfundenen Benachteiligung. Denn in der medizinischen Praxis führen Vorerkrankungen und Behinderungen mit ziemlicher Regelmäßigkeit eben dazu, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit dieser Personen im Vergleich zu Menschen ohne Vorerkrankungen und Behinderungen als geringer eingeschätzt werden müssen. Im Falle nicht mehr ausreichender intensivmedizinischer Ressourcen, bei denen Ärzte die undankbare Aufgabe haben, entscheiden zu sollen, wem sie diese zukommen lassen und wem sie diese verweigern, werden Vorerkrankte und Behinderte sich weiter hintenangestellt sehen.

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Hier ließe sich einwenden, dass eine „gefühlte“ Diskriminierung noch keine tatsächliche ist, und die kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit ein Kriterium sei, dass objektiv nicht zu beanstanden sei. Und in der Tat: Dagegen ist wenig zu sagen. Außer: dass dies auch für andere Kriterien gilt, die jedoch nicht in Betracht gezogen wurden. Eines lautet: „First come, first serve“. Sich ihm zu verschreiben, würde gänzlich ausschließen, dass Vorerkrankungen und Behinderungen bei der Zuteilung begrenzter intensivmedizinischer Ressourcen eine Rolle spielen und könnte Menschen, die diese Last zu tragen haben, die Sorge nehmen, aussortiert zu werden.

Ex-Post-Triage: Eine ethisch abscheuliche Vorstellung

Man darf gespannt sein, was das Bundesverfassungsgericht am Ende dazu sagen wird. Denn die Aktionsplattform „Ability Watch“, die sich als Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen versteht, hat bereits angekündigt, den Gang nach Karlsruhe antreten zu wollen. Auch dass das „Triage-Gesetz“ die Zuteilung nicht ausreichender medizinischer Ressourcen nur in Pandemien regelt und nicht etwa auch bei Naturkatastrophen, wird zu Recht kritisiert und muss als weiterer Webfehler betrachtet werden.

Allein der Ausschluss der von Ärzteverbänden geforderten sogenannten „Ex-Post-Triage“ darf als Erfolg verbucht werden. Die Vorstellung, dass eine als medizinisch sinnvoll erachtete und daher begonnene Therapie bei einem Patienten abgebrochen wird, weil ihr Einsatz bei einem später hinzukommenden Patienten noch mehr Sinn zu machen scheint, oder aber von diesem vermutlich weniger lang benötigt wird, ist eine ethisch geradezu abscheuliche. Sie passt freilich zu einem Medizinbetrieb, der sich immer stärker auf die Maximierung abrechenbarer Leistungen fokussiert. Dass sich der Gesetzgeber hier den vehement vorgetragenen Interessen der Ärzteverbände erfolgreich verschlossen hat, sollte man dankbar gutheißen. Unter dem Strich bleibt dennoch: Das „Triage-Gesetz“ mag gut gemeint sein. Gut gemacht sähe es anders aus.

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Themen & Autoren
Stefan Rehder Bundesverfassungsgericht Deutscher Bundestag

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