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Syrer ist nicht gleich Syrer

Abschieben nach Syrien? In unserem Land leben sowohl Anhänger der Verfolger wie die Verfolgten. Bei Christen oder Drusen sollte man genau hinschauen.
Politikredakteur Sebastian Sasse, Johann Wadephul
Foto: DT / IMAGO / photothek | Mit seinem Deutschland-1945-Vergleich sorgte Außenminister Wadephul in der Union für Kopfschütteln. Immerhin ist Deutschland der Wiederaufbau ja auch gelungen.

Es gibt auch viele Christen, die eine härtere Migrationspolitik fordern. Und das ist völlig in Ordnung. Im wahrsten Sinne des Wortes: Von Papst Franziskus stammt die Einsicht, dass es in der Flüchtlingsfrage darum gehen müsse, Ordnung und Humanität zusammenzuführen. Heißt: Migration muss kontrolliert sein, es muss klare Kriterien für die Aufnahme, aber eben auch für die Zurückweisung geben. Sonst gerät nämlich die Ordnung in dem aufnehmenden Land durcheinander. Und damit ist am Ende auch keinem Flüchtling geholfen.

Deswegen begrüßen viele Christen, dass die neue Bundesregierung einen anderen Weg in der Migrationspolitik eingeschlagen hat als ihre beiden Vorgängerinnen. Gleichzeitig stehen sie aber auch in der Pflicht, sich einzumischen, wenn in der Gesellschaft darüber diskutiert wird, welche Gruppen auf den Abschiebelisten ganz oben stehen. Und hier spielt die christliche Sicht auf den Menschen eine wichtige Rolle. Die Christen wissen, dass Menschen Wesen sind, die sich auf Transzendenz hin ausrichten. Sie werden nicht nur durch das geprägt, was in ihrem Pass steht, sondern durch das, was sie glauben. Und wenn dieser Glaube in dem Land, in das sie abgeschoben werden können, verfolgt wird, dann muss das berücksichtigt werden. Ansonsten sind alle schönen Worte zum Thema Religionsfreiheit, die man aus der deutschen Politik hört, am Ende doch nur Sonntagsreden. Eine erste Bewährungsprobe ist hier der Umgang mit Syrern, die nach Deutschland geflüchtet sind.

In Deutschland leben sowohl die Anhänger der Verfolger wie die Verfolgten

Es ist eigentlich ganz einfach: Syrer ist nicht gleich Syrer. Und das muss beachtet werden, wenn nun überlegt wird, wer nach Syrien abgeschoben werden kann. Die Gruppe der Syrer, die nach 2015 nach Deutschland gekommen ist, ist keine homogene Gruppe. Deswegen ist auch unterschiedlich, was sie bei einer Rückkehr in ihre Heimat von dem neuen Regime dort zu erwarten hätten. Da gibt es einmal die Christen oder auch die Drusen. Ihnen droht von den neuen Machthabern nichts Gutes. Wir in Deutschland müssen begreifen: In unserem Land leben sowohl die Anhänger der Verfolger wie die Verfolgten. Diejenigen, die mit dem neuen Regime sympathisieren, die müssen tatsächlich so schnell wie möglich zurück. Die Straffälligen sowieso.

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Anders sieht es mit denen aus, die keine Nähe zu den neuen Machthabern in Damaskus haben. Es sind diejenigen, die auch schon unter dem alten IS-Terror gelitten haben, und jetzt schauen sie mit natürlicher Skepsis auf den angeblich geläuterten Übergangspräsidenten Ahmed Al-Sharaa.
Stichwort Übergangszeit: Zumindest diese Phase muss man abwarten, um endgültig urteilen zu können, in welche Richtung sich die Zukunft Syriens entwickeln wird. Und sicher, es ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn auch Angehörige der bedrohten Gruppen sich dazu entschließen sollten, in ihre Heimat zurückzukehren, um dort die Weichen mitzustellen. Wir dürfen aber nicht die individuelle Bedrohungslage einfach ignorieren.

Die Wadephul-Diskussion ist typisch deutsch

Und dann gibt es auch noch einen egoistischen Grund: Gerade die christlichen Syrer, die hier bei uns leben, integrieren sich in der Regel gut. Nicht nur das: Sie sind langfristig ein wichtiger Faktor, der mit dazu beiträgt, dass das christliche Element in unserem Land lebendig, sichtbar und fruchtbar bleibt. So sehr wir als Glaubensgeschwister uns dafür einsetzen müssen, dass auch die Christen in Syrien langfristig nicht verschwinden, wir können diese Brüder und Schwestern auch in unserem Land gut gebrauchen. Religionsfreiheit ist ein Gradmesser für die Rechtsstaatlichkeit eines Landes. Sie ist deswegen in der Flüchtlingsfrage zu berücksichtigen. Das gehört auch zu Ordnung und Humanität.

Schließlich: Die Diskussion, die nach dem in der Tat falschen Vergleich von Außenminister Johann Wadephul mit Deutschland nach 1945 immer noch in Atem hält, ist typisch deutsch. Sie hat nur wenig mit der tatsächlichen Lage in Syrien, sondern dafür viel mit der mentalen Lage hier bei uns zu tun. Deutschland ist eben immer noch ein gebrochenes Land mit einem gebrochenen Gesichtsbewusstsein. Das bestimmt auch unsere Außenpolitik. Aber lassen wir das nicht die Syrer ausbaden. Sie können nichts für die Schatten, die immer noch über der deutschen Seele liegen.

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